Die überforderte Gesellschaft

Corona, Terror, Angst und Isolation: 2020 verlangt sehr vielen Menschen psychisch sehr viel ab.

Was war das für eine vergangene Woche, wie sehr hat sie uns unter Stress gesetzt! Es begann mit der Regierungspressekonferenz, bei der der neue Lockdown Light verkündet wurde. Am Ende des Montags sollten die neuen Ausgangsbeschränkungen und sonstige Regeln in Kraft treten. Noch bevor es so weit war, erschütterte der Terroranschlag die Wiener Innenstadt. Erst eine Nacht von Panik, dann Tage von Schock. Weiter ging es mit den US-Wahlen mit einem Herzschlagfinish, die in einer weiteren Destabilisierung der letzten verbliebenen Supermacht enden können – die also weit weg von uns stattfinden, uns aber dennoch betreffen. Und dann die Horrormeldungen über weiter steil ansteigende Corona-Infektionen, der beginnenden Überforderung unseres Gesundheitssystems. Medizinisches Personal ist am Limit. Drohen auch bei uns demnächst Bilder wie im Frühjahr in Norditalien?

All das sind zunächst einmal Nachrichten in den Medien. Aber manche berühren unseren Alltag direkt – die Anti-Seuchen-Maßnahmen haben ja direkte Auswirkungen, viele werden krank oder haben kranke Angehörige und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie treffen viele direkt ins Mark. Andere dieser Nachrichten berühren uns mehr indirekt: Wer am Montag nicht in der Innenstadt war und wer keine toten oder verletzten Angehörigen oder Freunde hat, ist vom Terror ja nicht betroffen, aber jeder ist es emotional.

All das berührt uns und setzt uns unter Stress. Nach acht Monaten Pandemie und dem Gefühl der Unsicherheit ist das Nervenkostüm von vielen sowieso schon flattrig. Die Welt jenseits der eigenen vier Wände bekommt etwas Bedrohliches. Der Vorrat an Resilienz, also der inneren Ruhe, mit belastenden Umständen umzugehen, ist bei vielen schon aufgebraucht. Das wäre eigentlich der Moment, in dem man paar gute Freunde treffen müsste, sich gegenseitig zu stützen, oder um einfach einmal wieder locker zu werden und abzuschalten – aber in der Pandemie müssen wir uns ja möglichst isolieren.

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Social Media und Kommunikationstools wie WhatsApp sind in einer solchen Situation Segen und Fluch zugleich. Segen, weil wir schnell an Informationen kommen und uns auch mit anderen austauschen können, wenn wir im Corona-Hausarrest daheim herum hocken. Aber auch Fluch, weil wir dauernder Erregung ausgesetzt sind, oftmals keine Sekunde zur Ruhe kommen.

(Insider, November 2020)

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