Die Vereindeutigung der Welt

Die Dummen sind selbstsicher, die Klugen voller Zweifel. Das ist ein Malheur, aber in sich auch logisch.

Irgendwann, es ist über zwanzig Jahre her, kam ich im Anschluss an eine Preisverleihung neben dem unlängst verstorben, großartigen Caspar Einem zu sitzen. Die Älteren unter Ihnen werden sich noch erinnern, er war eine Zeitlang Innenminister, später dann Wissenschaftsminister. Einems Besonderheit bestand darin, dass er nicht nur sehr viel nachdachte, sondern dass man ihm das auch anmerkte. Er war ein unglaublich vernünftiger Mensch.

An diesem Abend saßen wir mit einigen Leuten um einen Heurigentisch, und eine der Preisträgerinnen hielt lange Monologe zur Wirtschaftspolitik. Sie konnte richtig und falsch immer ganz klar auseinanderhalten. Irgendwann beugte sich Caspar Einem zu mir und sagte: „Ich wäre gerne von meiner Meinung mal so überzeugt wie die von ihrer.“ Ich lachte, und sagte, so geht es mir auch.

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Heute begegnet man sehr oft Menschen, die eine eindeutige Meinung haben, aber sich um Fakten nicht sonderlich scheren. Aber ganz stimmt das ja nicht: Oft haben die dröllfzig Fakten zur Hand, aber eben nur jene, die ihnen passen. Den Großteil der Umstände ignorieren sie gerne. Die müssen ja erfunden sein, die müssen von irgendwelchen „Mainstream“-Medien verbreitet werden, von angepassten Mainstream-Wissenschaftlern, von bösen, hinterhältigen Verschwörungsnetzwerken in die Welt gesetzt sein. Verschwörungstheorien kursieren, weil sie die Welt auch so übersichtlich machen. Da gibt es Böse, dann gibt es Opfer (die Opfer der Bösen), und Sachverhalte, die sich plötzlich leicht erklären lassen, in einem simplen Ursache-Wirkung-Verhältnis. So wie jetzt die Impfgegner, für die sich die Dinge ganz einfach darstellen: Erstens gibt es Corona nicht (oder es ist ungefährlich), zweitens gibt es die Pharmafirmen, die auf unsere Kosten ihre Profite machen wollen (oder uns vergiften wollen), drittens eine Regierung, die uns einsperren will. Wenn man sich das so zurechtgelegt hat, dann wird die Welt ganz leicht in Schwarz und Weiß auflösbar. Aber natürlich neigen nicht nur Vollspinner dazu, eine übersichtliche Welt zu bevorzugen. Wir tun das alle, zumindest gelegentlich.

Es gibt einen Hang zur Vereindeutigung der Welt oder, umgekehrt, den „Widerwillen, Uneindeutigkeit auszuhalten“, wie das der deutsche Philosoph Thomas Bauer nannte. Der meinte, erstrebenswert wäre „Ambiguitätstoleranz“. Soll heißen: Die meisten Geschehnisse haben mehrere Aspekte, und außerdem wissen wir oft nicht genug für ein klares Urteil. Die Dinge sind uneindeutig, außerdem verändern sie sich dauernd.

So wie in dieser Corona-Lage. Regierende müssen Entscheidungen treffen, bei denen sie 300 Variable berücksichtigen müssen, die sich leider häufig widersprechen. Und sie müssen auch noch im Auge haben, dass sich diese Variablen in zwei Wochen schon wieder verändert haben können.

Es ist nicht klug, eine Vereindeutigung der Welt zu versuchen. Das Problem ist nur: Die, die immer genau wissen was genau richtig und was genau falsch ist, sind nicht klug, aber handlungsfähig. Das ist der Vorteil von simplen Wahrheiten, die meist simple Dummheiten sind. Wer dagegen weiß, dass die Dinge komplizierter sind, der kann am Ende so viele Für und Wider gegeneinander abgewogen haben, dass er am Ende nicht mehr weiß, was er tun soll. Ein kluger Mann hat einmal gesagt, das Problem der modernen Welt sei, dass „die Dummen selbstsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind“. Da ist schon etwas dran.

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