Ein Lob der Inkonsequenz

Warum ist es eigentlich positiv, wenn jemand stets „konsequent“ seine Ziele verfolgt? Ein Plädoyer für die Geschmeidigkeit.

Zackzack-Kolumne, November 24

Als vor einigen Wochen eine Reihe prominenter österreichischer Journalistinnen und Autoren auf aufsehenerregende Weise ihre Aktivitäten auf Elon Musks Plattform X (sorry, ich sag gewohnheitsmäßig immer noch Twitter) einstellten und gemeinsam auf die neue Plattform Bluesky übersiedelten, gab es die erwartbare rechte Nörgelei, es gab sogar regelrechtes Rumgeheule, und manchmal kam auch folgender Vorwurf:

Es sei „inkonsequent“, den Twitter-Account nur auf passiv zu stellen, vielleicht weiter im Geheimen mitzulesen, aber den Account nicht vollständig zu löschen.

Meine intuitive Antwort darauf war, dass das Leben ja sowieso nichts ist, durch das man mit Konsequenz gut durchkommt.

Aber was ist das eigentlich für eine seltsame Anforderung, dass man immer „konsequent“ sein müsse? Ein Lob der Inkonsequenz weiterlesen

Wir werden nicht gemütlich sein!

Mein Rede bei der heutigen Demonstration „Demokratie braucht Dich“ vor 320.000 Teilnehmern in München.

Hallo München!

Sie stehen heute hier, weil Sie Verhältnisse, wie sie in meinem Land herrschen, verhindern wollen.

Ich wiederum stehe heute hier, weil ich Ihnen von den Geschehnissen in meinem Land berichten will.

Aber ich verstehe diese Einladung, hier zu sprechen, auch als einen Akt der Solidarität.

Dass Ihr nicht wegseht, bei dem, was bei uns passiert.

So wie wir auf unsere Freundinnen und Freunde in der Slowakei schauen, wo eine nationalistisch-autoritäre Regierung die Freiheit und die Vielheit der Zivilgesellschaft zerstören will.

So wie in Ungarn, wo unsere Freundinnen und Freunde kaum mehr Luft zum Atmen haben, weil Viktor Orban das Land in eine Halb-Diktatur umgebaut hat.

So wie in den USA, wo sich in diesen Tagen in atemberaubender Rasanz buchstäblich ein Staatsstreich von Oben vollzieht.

Liebe Freundinnen und Freunde, wir leben in einer nicht ganz erfreulichen Zeit:

Über ganze Nationen senkt sich heute wieder ein eiserner Vorhang der Unfreiheit und der Angst, die in alle Poren kriecht.

Und eine Herrschaft der Niedertracht breitet ihre Macht aus. Wir werden nicht gemütlich sein! weiterlesen

„Kann die Demokratie das Internet überleben?“

Ein damals dystopischer – heute wohl leider eher hellsichtiger – Blick aus dem Jahr 2014.

Im Jahr 2014 hielt ich auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung einen Vortrag mit dem Titel „Kann die Demokratie das Internet überleben“. Ich wurde gebeten, diesen Vortrag zu suchen und online zu stellen und mit etwas Geschick hab ich ihn tatsächlich auf meiner Festplatte gefunden. Dass er gegen Ende hin eher nur über Überschriften als über ausformulierte Thesen verfügt, bitte zu entschuldigen. Es ist ja ursprünglich nur als Redemanuskript gedacht gewesen: 
Im Jahre 2011 wurde einer ägyptischen Familie eine Tochter geboren. Das Land stand damals unter dem Eindruck einer demokratischen Revolution, Hosni Mubarak war gerade gestürzt worden.
Und die Familie entschied, ihrer Tochter folgenden Namen zu geben:
Facebook Jamal Ibrahim.
Die kleine heißt jetzt Facebook.
Aber die Namensgebung ist natürlich ein Statement, und der ägyptische Vater – glaubt man den Berichten, erfolgte die Namensgebung auf sein Drängen – hätte die Namenswahl nicht getroffen, wäre er nicht der Meinung, Facebook, die Sozialen Medien, das Internet mit seinem Raum der Kommunikationsfreiheit und seinen Organisationsmöglichkeiten hätte einen wesentlichen Beitrag zur arabischen Demokratiebewegung geleistet. Einen wesentlichen Beitrag erstens überhaupt zur Entstehung einer Kultur öffentlicher Widerrede in autokratischen Ländern, einen wesentlichen Beitrag zur Lancierung von Protesten und einen wesentlichen Beitrag zur Organisierung derselben.

„Kann die Demokratie das Internet überleben?“ weiterlesen

Der menschliche Faktor

Aus den Regierungsverhandlungen dringt kaum ein Detail nach draußen. Das ist ein gutes Zeichen.

Jetzt verhandeln die Spitzen von ÖVP, SPÖ und Neos schon seit Wochen über eine Regierung – bis jüngst hießen die Treffen offiziell „Sondierungen“ – und im medialen Kommentatorenkreis wird herumgenörgelt, dass das alles zu langsam gehe. Faktum ist jedenfalls, dass wir nicht wissen, wie der Stand der Gespräche ist. Allerdings: Das ist schon einmal ein sehr gutes Zeichen. Ganz offensichtlich halten die Beteiligten still und lassen nichts nach draußen dringen. Sie wahren die Vertraulichkeit. Und auch wenn das für das aufgeregte Keppler im Fernsehen langweilig ist, ist es doch vor allem erfreulich. Wenn die künftigen Regierenden ein Vertrauensverhältnis haben, dann kann das nämlich für uns alle nur gut sein.

Der menschliche Faktor in der Politik wird gerne unterschätzt, dabei ist er oft eine der wichtigsten Sachen überhaupt. Natürlich gibt es immer ideologische Unterschiede, unterschiedliche Werte, unterschiedliche Wirtschaftsphilosophien und einfache Meinungsverschiedenheiten zwischen Parteien und deren Spitzenpolitikern. Aber der menschliche Faktor entscheidet, wie mit diesen Differenzen umgegangen wird. Ob man Kompromisse sucht oder sich wechselseitig erpresst. Ob man sich ausredet, bis ein Konsens da ist, oder sich ein Bein stellt. Ob man die beste Lösung für komplexe Probleme sucht oder die beste schnelle Schlagzeile, damit man wie ein toller Hecht dasteht. Der menschliche Faktor weiterlesen

Epoche der Angst

Krisen, Abstiegsängste, Trump-Wahl, Climate-Anxiety & der Bammel, seine Meinung zu äußern: Eine Tour durch das Gefährdungsgeschehen in der Gegenwartsgesellschaft.

Neue Zürcher Zeitung, November 2024

Im Glossar der Stichworte zur Gegenwart würden „Angst“ und das „Gefühl der Gefahr“ heute wohl sehr weit oben rangieren. Die Angst ist oft nicht einmal auf eine konkrete Bedrohung gerichtet, sondern mehr das, was Botho Strauß einmal in einer schlauen Formulierung „Terror des Vorgefühls“ nannte. Peinigende Intuition, dass der Boden schwankend wird. Nicht unbedingt ein apokalyptisches Weltgefühl, aber das Empfinden: Die Dinge werden schlechter, es kann einen jeden erwischen, ein paar Dinge können so richtig unbequem werden, und man hat die Sache auch nicht unter Kontrolle. Weder im Großen (als Gesellschaft), noch im Kleinen (als Individuum). Alles Mögliche ist bedrohlich, und, gewiss, alles auf unterschiedliche Weise. Die Angst, etwas Falsches zu sagen, ist etwas anderes als die Angst, ob die Innenstädte noch bewohnbar sein werden, wenn die nächsten Sommer noch einmal heißer werden, oder die Angst, ob man demnächst noch seine Rechnungen bezahlen kann – all das sind unterschiedliche Ängste.

Bloß: Unsere Welt ist gerade voll von ihnen. Epoche der Angst weiterlesen

Lasst frische Luft herein!

Warum unsere Regierungsverhandler aufhören müssen, wie „gelernte Österreicher“ zu ticken.

Es gibt diese sarkastische Redewendung vom „gelernten Österreicher“, ich denke, die meisten haben sie schon dann und wann gehört. Der „gelernte Österreicher“, so der Beiklang dieser Redewendung, der wisse, dass frohgemuten Absichtserklärungen zu misstrauen sei, aus guten Vorsätzen sowieso nie etwas wird, Ambitionen sowieso versumpfen und alle Anstrengungen, gut zu regieren, am Ende im landesüblichen Sumpertum verenden. Der „gelernte Österreicher“ erwartet meist das Schlimmste und ist in einem stoischen und freudlosen Gemütszustand. Er ist aus Erfahrung erwartungsarm.

Diese wurschtige Gestimmtheit und der Hang zum Herumgekepple ist natürlich auch eine nette Sache, sie macht den Charme des Österreichischen aus.

Dieser vorsorglich deprimierte Wirklichkeitssinn hat gute Gründe auf seiner Seite, nämlich das Wissen um die hiesigen Gepflogenheiten, ist aber andererseits selbst Teil des Problems, das er so gerne beklagt. Jede gute Absicht zerschellt an der Antriebslosigkeit dieses gelernten Österreichertums, an der Bequemlichkeit des Eh-Schon-Wissens, an der mangelnden Bereitschaft, etwaige Ambitioniertheiten zu bestärken, kurzum, er zieht selbst die Begeisterten und Motivierten runter. Womöglich sollten wir ja ein wenig versuchen, „verlernte Österreicher“ zu werden. Der große Victor Adler hat einmal den schönen Satz geschrieben, „wir wollen nicht gemütlich sein“, und damit hat er gerade das gemeint, diese landestypische Antriebslosigkeit. Lasst frische Luft herein! weiterlesen

Der Kampf gegen die Kunstfreiheit

Warum der rechte Extremismus immer rabiater gegen seinen „natürlichen Feind“ vorgeht, die freie Kunst.

Zackzack, Oktober 2024

Der Autoritarismus nimmt sich, meist eher früher als später, auch die freie, gesellschaftskritische Kulturszene vor. Diese will er lahmlegen, aushungern, deren Protagonisten ins innere Exil treiben oder am besten gleich ins Ausland. Denn die freie Kulturszene schafft, dort wo sie erfolgreich wirksam ist, eine gesellschaftliche Atmosphäre der Widerständigkeit, und ganz generell sind die Werte von Liberalität, Diversität, die Offenheit und die Unkontrollierbarkeit, die in den Kulturmilieus verbreitet sind, den „Werten“ rechter Extremisten, von Populisten, ja von Autoritären jeder Art diametral entgegengesetzt.

Also sofern in diesem Zusammenhang von „Werten“ gesprochen werden kann, weshalb man sie eher mit Gänsefüßchen versieht und mit spitzen Fingern anfasst.

Die FPÖ fordert jetzt etwa schon in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung des „woken“ Kulturevents „Eurovisions Song Contest“. Ja, lachen sie nicht: Selbst der Song-Contest, an sich eher eine harmlose Mainstream-Show, ist ihnen ein Dorn im Auge.

Die slowakische Tragödie

Ungarn ist in den vergangenen Jahren Vorreiter gewesen. Kritische Künstler können in Ungarn faktisch nicht mehr ökonomisch überleben, viele sind in den letzten Jahren ins Ausland gegangen, einige nach Österreich, die Mehrzahl nach Deutschland. Dort haben sie, sofern ihre Kunst im Medium Wort operiert, natürlich kein leichtes Leben. Der Kampf gegen die Kunstfreiheit weiterlesen

Allianz der Vernünftigen

Genug der Taktiererei: ÖVP, SPÖ und NEOS sollten jetzt zügig eine Koalition der Erwachsenen zustande bringen.

Herbert Kickl hat ja vor einiger Zeit in seiner unnachahmlichen Höflichkeit angekündigt, er werde dem Bundespräsidenten „den Schädel gerade richten“. Er hat ihn auch eine „senil“ und eine „Mumie“ in der Hofburg genannt. Nun, die Mumie scheint in ihrem Kopf noch recht wach zu sein. Und der Schädel sitzt auch ganz fest.

Herbert Kickl denkt sich wahrscheinlich, er hätte sich besser zeitgerecht mit dem Horrormovie „Der Fluch der Mumie“ auseinandergesetzt.

Der schlaue Alexander van der Bellen hat den Parteichefs jedenfalls die Zeit für endloses Taktieren elegant abgeschnitten, indem er einerseits auf die öffentlichen Beteuerungen hingewiesen hat, die wir alle vor und nach der Wahl gehört haben, aber etwas ironisch auch in Frage gestellt hat, ob sie das wirklich ernst meinen. Jedenfalls sollen sie das bis Freitag dieser Woche klären. Es ist aber nicht wahrscheinlich, dass die ÖVP bis Freitag von ihrem Nein zur Kickl-FPÖ abgeht oder Karl Nehammer ins Ausgedinge schickt. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass Kickl eine überraschende Karte aus dem Ärmel zieht und einen anderen Kanzlerkandidaten vorschlägt. Außerdem käme die Volkspartei sowieso in ordentliche Kalamitäten, wenn Kickl seinen Kanzleranspruch zurückziehen würde. Denn die FPÖ bliebe ja auch dann eine Kickl-FPÖ. Verrückte, Verschwörungstheoretiker, Tempelritter-Anhänger, Identitären-Fans und sonstige Rechtsradikale dominieren den Parlamentsklub der Freiheitlichen in einem Ausmaß, wie es das nicht einmal in der Vergangenheit gegeben hat.

Allianz der Vernünftigen weiterlesen

Rendezvous mit der Geschichte

Das Wichtigste ist jetzt, zu verhindern, dass das Land in ein autoritäres Orban-Regime kippt.

Zackzack, Oktober 2024

Dieses Wahlergebnis ist nicht einfach übel, es ist ein Schlag in die Magengrube und ein Fiasko. Ein demokratiepolitisches, ein menschenrechtliches, ein staatsbürgerliches, ein „Was immer sie wollen“-Fiasko.

Eine rechtsextreme Partei mit einem spinnerten Radikalinski als Anführer wird stärkste Partei. Eine, die die irrsten Verschwörungstheorien verbreitet und Identitäre im Kader hat, deren Funktionäre noch zwei Tage vor der Wahl SS-Treuelieder singen, bei deren Wahlparty fröhlich das White-Power-Zeichen gezeigt wird. Diese Partei könnte eine Regierung anführen, wenn es ihr irgendwie gelingt, die ÖVP ins Bett zu locken. Rendezvous mit der Geschichte weiterlesen

Far-Right surge in Austria: Is Europe headed for an authoritarian wave?

Austria’s far-right Freedom Party (FPÖ) has surged to dominance in national elections, with major implications for democracy and political stability.

Social Europe, Oktober 2024

After the shocking election results in the German „Länder“ of Saxony, Brandenburg and Thuringia, it is now Austria’s turn. The far-right Freedom Party (FPÖ) has become the dominant political force with 28.9 per cent of the vote, followed closely by the Conservatives with 26.3 per cent. The Social Democrats, in a distant third place, secured only 21.1 per cent, marking the poorest results in the party’s history.

A right-wing wave is sweeping through Europe, impacting countries from Austria to Italy to the Netherlands. While the Austrian result was somewhat expected, the scale of it is shocking. It represents a democratic, human rights, and politico-cultural disaster. Far-Right surge in Austria: Is Europe headed for an authoritarian wave? weiterlesen

Kein Rechtsrutsch, ein Rechtserdrutsch

Volkspartei und Sozialdemokraten sollten mit dem Taktieren und dem Gegeneinander aufhören.

Insider, 2. Oktober 2024

Der Sonntag war ein schwarzer Tag für Österreich. Dass die FPÖ auf Platz eins vorgestoßen ist, ist ein Erdbeben. Es gibt nichts zu beschönigen. Wie der Theaterautor Thomas Köck schon vor dem Wahltag formulierte, das ist „kein Ruck mehr, sondern eine mittlerweile jahrzehntelange Verschiebung sämtlicher demokratischer Grundprinzipien“. Kein Rechtsrutsch, sondern ein „Rechtserdrutsch“.

Die FPÖ hat noch in den allerletzten Wahlkampftagen in vollendeter Radikalität getrommelt: „Am Sonntag bringen wir das System zu Fall.“ Selbst am Tage der Wahlkampf-Schlussveranstaltung wurde bei einem Begräbnis eines Parteifunktionärs das alte SS-Lied gesungen. Spitzenleute der Partei waren mittendrin. Der Parteichef hat den Österreichern in einer Pandemie eine Pferdeentwurmungsmittel empfohlen. Menschen, die es eingenommen haben, sind gestorben. Es gruselt einem, dass 29 Prozent derer, die wahlberechtigt sind und zur Wahl gegangen sind, eine Partei gewählt haben, die sich derart selbst radikalisiert hat. Kein Rechtsrutsch, ein Rechtserdrutsch weiterlesen

Politik der Paranoia

Die Herbert-Kickl-Maschine: die FPÖ-Agitation ist wie aus dem Handbuch für „Falsche Propheten“. Sehr viel simpler geht schon kaum mehr.

Zackzack, September 2024

Es hat sich eingebürgert, Herbert Kickl für einen sehr gerissenen rechtsextremen Politiker zu halten. Seltsamerweise unterstellen ihm sogar Leute ein gewisses Talent, die seine Propaganda ablehnen. Andererseits ist er ein ziemlich lausiger Redner. Er schreit seine bekannten Formeln mit der immergleichen, gepressten Fistel-Stimme in den Saal, beherrscht kaum einen anderen Tonfall als den passiv-aggressiven Sound. Er versucht Witze zu machen, die selbst sein Publikum oft nicht lustig findet, setzt Pointen, die die Zuhörer verwirren, und wartet auf den Jubel, der dann nicht kommt und kriegt keinen Rhythmus hin. Gelegentlich schaut er wie eine Maus in der Lebendfalle und wundert sich, warum da kein Funke springt.

Kickls „Talent“ besteht also nicht in der Kunstfertigkeit seiner Rede, und auch nicht in den emotionalen Banden, die er mit seiner Zuhörerschaft knüpft oder seinem Sensorium für Stimmungen. Was er aber gut schafft, ist das extremistische und rechtspopulistische Vokabular perfekt zu setzen. Groll schüren, das Publikum aufganseln, eine Phantasiewelt entwerfen, in der Politik der Paranoia weiterlesen