Wenn ein Konservativer einsieht, dass die Linken recht haben…

Einem heftig im Internet herumgeposteten Essay verdanke ich den Hinweis auf einen ziemlich sensationellen Kommentar von Charles Moore, einer der großen Zentralfiguren der britischen Konservativen. Moore, Reagan-Anhänger der ersten Stunde und der offizielle Biograph von Margaret Thatcher, gesteht hier, dass er beginne, zu denken, „dass die Linke vielleicht doch Recht hat“. 
Jene Linke, die er – wie seine Mitstreiter und politischen Anführer – seit vierzig Jahren bekämpft hat. 
Moore schreibt: 
„Ich habe mehr als 30 Jahre gebraucht, um mir diese Frage zu stellen. Aber heute muss ich es tun: Hat die Linke doch Recht? … Die Reichen werden reicher, aber die Löhne sinken. Die Freiheit, die dadurch entsteht, ist allein ihre Freiheit. Fast alle arbeiten heute härter, leben unsicherer, damit wenige im Reichtum schwimmen. Die Demokratie, die den Leuten dienen sollte, füllt die Taschen von Bankern, Zeitungsbaronen und anderen Milliardären. … Die Kreditkrise hat gezeigt, wie diese Freiheit gekidnappt wird. Die Banken sind ein Spielfeld für Abenteurer, die reich werden, auch wenn sie Milliarden verfeuern. Die Rolle aller anderen ist, ihre Rechnung zu zahlen. …  Das alles ist eine schreckliche Enttäuschung für uns, die wir an freie Märkte glaubten, weil sie freie Menschen hervorbringen würden…“

Nicht zuletzt hat die haarsträubende ideologische Verbohrtheit der amerikanischen radikalen Republikaner dazu geführt, jene Konservativen zu entfremden, die noch einigermaßen vernünftig über die Realität nachdenken können, und die einfach nicht begreifen können, dass man einen Staatsbankrott herbeizuführen bereit ist, nur ein paar Phrasen wegen von „keine neuen Schulden, keine neuen Steuern, weniger Staat statt mehr Staat“. 
Das gibt offenbar auch Konservativen zu denken, jenen Konservativen, die fähig sind, zumindest nachzudenken und die deshalb auch in der Lage sind, zu begreifen, dass es keine allzu erfolgsversprechende Strategie ist, zu versuchen, die Schulden einer Nation zu reduzieren, indem man das Nationaleinkommen verringert. Weil: Das versteht ja jeder Mensch, es ist ja einfach logisch. Es reicht nicht, dumm oder uninformiert zu sein, um es nicht zu verstehen – man muss schon ein verbohrter konservativer Ideologe sein. 
„Die Ideologen des 21. Jahrhunderts kommen nicht von links, sie verbiegen die Realität von rechts – zur Not mit Gewalt“, schrieb Georg Diez dieser Tage auf Spiegel-Online. 
Nicht nur die amerikanischen Tea-Party-Irren sind dafür ein Indiz, sondern auch all die Rechtspopulisten und -Konservativen, die jene Wahnideen von der „Moslemgefahr“ in Umlauf brachten, die ein Anders Breivik dann nur mehr einen kleinen Dreh ins Verrückte weiter kurbelte, worauf sie ihn sofort zum einzelnsten Einzeltäter aller Zeiten erklärten. 
Diez schreibt:
„Das ist der Wahn, das ist die Ideologie am Beginn des 21. Jahrhunderts. Sie kommt von rechts. Ideologen sind aber vor allem dann gefährlich, wenn es ihnen gelingt, ihre verdrehte Weltsicht anderen aufzuzwingen. Ideologen haben einen Hauptfeind, und das ist die Realität. Heute sind es die extremen rechten Ideologen, die die Wirklichkeit bekämpfen. Die Pragmatiker stehen auf der Linken, das ist die eine überraschende Erkenntnis nach diesen ideologischen Schreckenswochen. (…) Und was passiert in der Zwischenzeit hier? Angela Merkels Satz „Multikulti ist gescheitert“ vom Oktober 2010 war ungefähr so logisch wie der Satz: „Die Wirklichkeit ist gescheitert.“ Aber das ist das Spiel von Ideologen: Die Realität mit Worten zu verbiegen.“
All das ist hochgefährlich, eben auch weil wir in einer hochgefährlichen Zeit leben. Angesichts der Spirale von Bankenkrisen, Konjunktureinbruch und Staatsschuldenkrise ist es ohnehin schwer, das Richtige zu tun. Aber es wird noch schwerer, wenn man immer auch die Obstruktion von irgendwelchen ideologisch Verbohrten zu gewärtigen hat. 
Ein paar Dinge liegen auf der Hand, wenn man ein bisschen makroökonomische Vernunft walten lässt: Etwa, dass man aus einer tiefen Krise nicht herauskommt, indem auch noch die Regierungen sparen. 
„Wo soll das Wachstum denn her kommen?“, fragt Paul Krugman in einer seiner jüngsten Kolumnen in der New York Times: 
„Die Konsumenten, die noch immer bedrückt sind von den Schulden, die sie während des Immobilienbooms aufgetürmt haben, sind nicht in der Lage, einzukaufen. Die Unternehmen sehen keinen Sinn darin, zu investieren, angesichts dieses Mangels an Konsumnachfrage. Und dank der Obsession der Konservativen mit dem Budgetdefizit, musste die Regierung, die die Wirtschaft unterstützten könnte und sollte, ihre Aktivitäten zurückfahren.“
Und, selbstverständlich: One doesn’t fit for all. Die USA haben ein hohes Budgetdefizit, das sich aber, wenn man die Steuergeschenke der Bush-Regierung an die Reichen zurücknimmt, leicht reduzieren ließe. Also, nicht das Defizit ist das Problem der USA, sondern die dümpelnde Wirtschaft, die hohe Arbeitslosenrate. Die USA könnten und müssten also weiter mit Deficit-Spending die Wirtschaft ankurbeln.
 
Einen solchen Ratschlag kann man Ländern wie Griechenland oder Portugal schwer geben. Ihre Ökonomien schmieren ab, aber sie sind erstens überschuldet und sind deshalb zweitens gar nicht mehr in der Lage, auf den Finanzmärkten die Mittel aufzunehmen, die sie bräuchten. Also, für diese Länder ist das kein Weg. Diese Länder müssen mit Mitteln der EU-Partner wieder auf Prosperitätskurs gebracht werden. 
Aber auch für die stabileren EU-Länder gilt: Eine weitere Erhöhung der Staatsschuldenquote ist kein vernünftiger Weg. Fiskalische Disziplin ist schon notwendig, schon allein, um die Regierungen nicht noch abhängiger von den Finanzmärkten zu machen. Wenn aber die Defizite nicht wachsen, Ausgabenkürzungen in kurzer und mittlerer Frist aber desaströse ökonomische Folgen haben, dann gibt es nur eine Möglichkeit: die Staatseinnahmen zu erhöhen. Und zwar durch die Einhebung von Vermögenssteuern. Deshalb sind diese nicht nur ein Gebot von Fairness und sozialer Gerechtigkeit, sondern auch wirtschaftlich unumgänglich. 
Nur durch eine solche mittelfristige Erhöhung der Staatsquote (die später dann am Besten auf eine Weise zurückgenommen wird, die nicht den Status Quo Ante wiederherstellt, sondern einen ausgewogeneren Mix aus Einkommens- und Vermögenssteuern) ist die gegenwärtige gefährliche wirtschaftliche Situation zu überwinden. Aber auf diese Weise ist sie relativ leicht zu überwinden, wenn man ein paar weitere ökonomisch wichtige Reformen herbeiführt. 
Eine wichtige hat mit der Europäischen Union und der Konstruktion der Währungsunion zu tun. Ein normaler, ökonomisch einigermaßen stabiler Nationalstaat kann eigentlich nicht bankrott gehen. Er verschuldet sich in eigener Währung und kann dann, sollte die Schuldenlast tatsächlich zu drückend werden, die Schulden langsam weginflationieren. Deswegen können die USA auch nicht bankrott gehen, es sei denn, politische Irre treiben den Staat absichtlich in die Pleite. Staaten wie Mexiko oder Argentinien schlitterten dagegen deshalb schnell in die Pleite, weil sie sich in Fremdwährung verschuldeten – und die Dollarschulden nicht los werden konnten. 
Die Euro-Länder sind ein eigentümliches Zwitterwesen. Sie verschulden sich in Euro, was ja ihre Eigenwährung ist, technisch aber eine Fremdwährung, da die Regierungen praktisch keinen Einfluss auf die Geldpolitik der EZB haben. Das hat auch Auswirkungen auf die Finanzinvestoren. Wer den USA Geld leiht, weiß, dass er sein Geld wieder zurückbekommt – im schlimmsten Fall eben durch Inflation verringert. Wer aber Griechenland oder einem anderen EU-Land Geld leiht, hat diese Sicherheit nicht. Das führt dann schneller zu Paniken an den Märkten. Insofern ist auch der EU-Rettungsschirm keine Verbesserung. Der Schirm kann nämlich nicht Geld drucken. Deswegen eben braucht die Europäische Union „mehr Europa“, also eine integrierte Finanzpolitik, deshalb auch braucht es „Eurobonds“, also Staatsanleihen der EU statt der Papiere der einzelnen EU-Staaten. Dann hätten die EU-Staaten nämlich wieder den Vorteil, den jene Länder haben, die sich in „Eigenwährung“ verschulden, gegenüber jenen, die das in „Fremdwährung“ tun. Um genau zu sein: Dann wäre Europa der mächtigste und prosperierendste Wirtschaftsraum der Welt und hätte ein sehr geringes Zinsniveau für Staatsanleihen. 
Ich könnte hier jetzt n
och stundenlang weiterschreiben und beschreiben, was getan werden könnte und müsste, was möglich wäre an praktikablen Lösungen in einer komplizierten Situation. Vielleicht wären manche Lösungen besser, manche schlechter, vielleicht würden manche in der Realität nicht ganz die positive Wirkung haben, wie man annahm, weil immer drei, vier unintendierte Nebenfolgen oder unerwartete Ereignisse hinzu kommen. So ist das immer, wenn man mit Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn über die wirkliche Wirklichkeit nachdenkt. 
Aber nicht diese Komplexitäten erschweren die Lösungen. Es sind immer die rechten Ideologen mit ihrem Wahn, mit ihren Drang, EINEN einzigen Schuldigen oder EINE einfache Lösung bei der Hand zu haben. Schuldig ist: Der Staat, die Linken, die Moslems, die Umverteilung, die Steuern. Die Lösung ist immer: Mehr Markt, Steuererleichterungen für die Reichen, unser Geld für unsere Leut‘, weniger Moslems, was auch immer. 
Sie mögen in ihrer Phantasiewelt glücklich werden. Aber sie sollen uns nicht in der realen Welt mit ihrem Irrsinn behelligen. 

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3 Gedanken zu „Wenn ein Konservativer einsieht, dass die Linken recht haben…“

  1. „Aber nicht diese Komplexitäten erschweren die Lösungen. Es sind immer die rechten Ideologen mit ihrem Wahn, mit ihren Drang, EINEN einzigen Schuldigen oder EINE einfache Lösung bei der Hand zu haben.“
    Machen sie nicht im Prinzip desselbe, Herr Misik?
    Es gibt keine Lösung.
    Die Wirtschaft ist derzeit anarchistisch. Jeder macht was er will und wie er es will. Man „erobert“ neue Märkte indem man die EU „erweitert“. Man lagert aus, was ja angeblich ein Segen für die armen Länder ist. Nur leider schafft man so Arbeitslose im eigenen Land. Die Kaufkraft sinkt, denn die nun billigen Produkte die man im Ausland erzeugt, können sich die Inländer auch nicht mehr leisten. Zuden gibt es ein Überangebot an Waren. Die Nachfrage geht zurück. Man „teilt“ Arbeit und schafft so eine breite Schicht, die von dieser Arbeit nicht mehr leben kann. Die Steuern sinken, aber man erhöht die Sozialhilfe (bei uns noch), was bedeutet, der Steuerzahler zahlt die Löhne. Man möchte viele Kinder im Land und holt sich deshalb Ausländer. Nur leider finden diese Kinder keinen Job und leben deshalb von der Sozialhilfe. Man freut sich über viele Studenten, mehr Bildung, längere Ausbildung, aber im Grunde sind das zu einem großen Teil nur versteckte Arbeitslose und die Unis wollen finanziert werden. Zahlt der (österr.) Steuerzahler, auch für Ausländer aus reicheren Staaten wie Deutschland. Aber das ist eben „EU-Gerechtigkeit“.
    Wir wollen ja alle Brüder und Schwestern sein, deshalb braucht man keine Zölle mehr, die eigene Betriebe schützen. Schließlich will man angeblich die Wirtschaft der armen Länder aufbauen. Nur leider dürfen die auch keine Zölle einheben und sie konkurrieren zudem mit anderen armen Ländern was den Standort von Betrieben betrifft. Deshalb verlangen sie auch keine Steuern von solchen Betrieben. Braucht man ja auch nicht, irgendjemand wird schon die Schulen, Krankenhäuser, etc. bezahlen. Da nimmt man eben einen Kredit von den Banken, den man nicht bezahlen kann, so wie unzählige Privatpersonen auch. Man kurbelt die Wirtschaft an, indem Banken Kredite vergeben, damit die (oft arbeitslosen) Schuldner Waren kaufen können, die man proudziert. Leider kommt das Geld nie zurück. Macht nichts, der Steuerzahler zahlt die Ausfälle der Banken, damit das System aufrecht erhalten werden kann. Hauptsache man verkauft. Schließlich soll jeder ein schönes Leben haben und in Saus und Braus leben. Auf die Tiere wird gepfiffen, die „produziert“ man, egal wie leidvoll das sein mag. Wichtig ist, dass alle Menschen genug zu Essen haben. Man vergiftet die Nahrung mit Umweltgiften. Macht ja nichts, es zählt die Quantität, nicht die Qualität. Wen interessiert es, wenn die Konsumenten in einigen Jahren Krebs haben? Das bringt der Pharmaindustrie Zuwächse und der Versicherte zahlt ja. Wenn nicht, dann zahlt der Staat.
    Nicht nur die Rechten sind Schuld an dem heutigen Zustand, sondern alle zusammen. Angefangen von den Politikern über die Wirtschaftstreibenden, bis hin zu den „kleinen“ Konsumenten. Die wundersame Brotvermehrung ist ein Märchen an die auch die Linken stur glauben. Man kann nicht mehr verteilen als man hat. Geld spielt da keine Rolle, denn das ist gerade heute nur noch eine Zahlenreihe auf einem Computer.
    Es wird niemals allen gut gehen. Es wird immer Gewinner und Verlierer geben und es wird immer so sein, dass viele nicht bereit sind, für andere zu arbeiten. Derzeit arbeiten viele für einige Reiche und für einige Arme. Sie erwirtschaften die Reichtümer anderer und sie finanzieren die Sozialhilfeempfänger und die Leute die nur mit Hilfe von Zuschüssen leben können. Gewinner gibt es also an beiden Rändern. Aber wenn diese Mittelschicht wegbricht, werden beide Seiten nicht mehr existieren können.

  2. Es sind immer die „linken“ Ideologen mit ihrem Wahn, mit ihren Drang, EINEN einzigen Schuldigen oder EINE einfache Lösung bei der Hand zu haben. Schuldig ist: die Rechte, die Kapitalisten, die Banken, die Manager, die Neoliberalen, die Konservativen, die Faschisten, die Neo-Nazis, die Blauen, die Schwarzen… us.w.
    Die Lösung ist immer: weniger Mark, Steuererhöhungen für alle, Sozialleistungen für alle auch wenn sie nichts bringen, mehr Geld – wenn es nicht hilft noch mehr Geld fordern, die Überwindung der Klassengesellschaft… und so weiter.
    Ich wäre ja bereit mit Linken einmal richtig zu reden nur wenn sie keine Fakten mehr haben verdrehen sie die Aussagen, verdrehen sie die Fakten und als aller letztes Mittel kommen dann die Unterstellungen, Beleidigungen und Schimpfwörter!
    MFG

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