Kitschig und erlogen. Fall Relotius oder Fall mit System?

Nur, weil jemand ein schlechter Reporter ohne jedes Berufsethos ist, ist das Genre der Reportage nicht mitverantwortlich.

Der Fall Relotius ist eine unglaubliche Fälschergeschichte. Und die Kakophonie der Kommentare dazu, die jetzt zu hören sind, klingt wie eine Reportage von Claas Relotius selbst: großes Kino, mit viel Übertreibung, haarsträubendem Unsinn und ganz viel Kitsch. der standard Robert Misik in seinem sonntäglichen Videoblog, diesmal zum Fall Claas Relotius.

Simpel, wie immer, die Rechten: Für die ist Relotius nur ein Beweis für die „Lügenpresse“. Weniger simple Gemüter schieben die Sache auf ein System, das Leute wie Relotius belohne oder gar produziere, wieder andere auf das Genre der Reportage mit literarischem Anspruch. So als hätte ein System den seltsamen Typen beim Hamburger Magazin dazu gezwungen, seine Reportagen zu erfinden. Nein: Relotius hat gegen alles verstoßen, was eben „dieses System“ in Form von Berufsethos und Compliance-Vorschriften an Regeln zu bieten hat, und zwar auf so haarsträubende und auch unsinnige Weise, dass man an seinem Verstand mit Recht zweifeln muss.

Er ist aber auch ein schlechter Reporter gewesen, weil er Kitsch produziert hat, der die Sehnsucht der Menschen nach Märchen befriedigte – weil er stets Geschichten ohne Grautöne produzierte, in denen keine echten Menschen mit ihren Widersprüchen vorkamen, sondern nur Karikaturen. Nur, weil jemand ein schlechter Reporter ohne jedes Berufsethos ist, soll das Genre der Reportage jetzt mitverantwortlich sein? Oh Gott, wie ich diesen Unsinn schon nach drei Tagen hasse. Gibt’s eigentlich kein Thema mehr auf der Welt, das nicht sofort für haarsträubende Generalisierungen und Vertrotteltheiten benutzt wird?

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Das Monster Globalisierung bändigen

Noch immer kommen uns ideologisch verbohrte Marktpropheten mit der Erklärung, dass Deregulierung und global integrierte Märkte mit so wenig Regeln wie möglich den Wohlstand aller heben und Prosperität sichern würden. Dabei hat uns diese Ideologie an die Schwelle zum Abgrund gebracht. Die ganz normalen Menschen wissen natürlich längst, dass das nicht stimmt, weil es immer irgendjemanden gibt, der es billiger macht als sie, und sie auf der Strecke bleiben – und wählen, auch als Revolte gegen die Globalisierung, Rechtspopulisten und Rechtsradikale, stimmen für Brexit oder Clowns wie Donald Trump. Sie wissen, wie der US-Ökonom Dani Rodrik schreibt, dass es natürlich immer Gewinner und Verlierer gibt – und sie zu den Verlierern zählen. Denn die Geschichte zeigt, so Rodrik: „In der Realität kriegen die Verlierer nie etwas von den Zuwächsen der Gewinner ab.“ Selbst Larry Summers, als Finanzminister unter Bill Clinton so etwas wie der Posterboy der globalen Marktliberalisierung, hat das heute eingesehen, indem er sagt: „Im Kern ist die Revolte gegen die Globalisierung nicht eine Folge von Dummheit. Es ist ein Gespür, und gewiss kein völlig unberechtigtes, dass die globale Integration von Eliten für Eliten vorangetrieben wird mit wenig Beachtung der Interessen normaler Leute.“ „Der Kapitalismus soll netter werden“, titelte unlängst die deutsche „Zeit“ und fügte hinzu: „Die Mächtigen der Welt haben ein neues Projekt: Sie wollen den Gegnern der Globalisierung mit Umverteilung den Wind aus den Segeln nehmen.“ Nun ja, der Glaube an die Lernfähigkeit verbohrter Ideologen und Technokraten, die noch immer verstaubten Glaubenssätzen aus den 90er-Jahren des vergangenen Jahrtausends anhängen, will nicht recht aufkommen. Aber klar ist: Wenn es nicht gelingt, die normalen Menschen vor den Verheerungen liberalisierter und global integrierter Märkte zu schützen, dann wird uns der ganze Krempel um die Ohren fliegen.

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Gibt es ein linkes Sparen?

Gastautor Niki Kowall fragt: Sind Schulden links? Oder wäre im Gegenteil so etwas wie ein linker Sparkurs möglich? Seine These: Durch vermögensbezogene Steuern kann bei weitem nicht genug Geld zusammengekratzt werden. Ein progressiver Konsolidierungskurs will den Staat nicht kaputtsparen, sondern sinnvolle Prozess- und Organisationsreformen im staatlichen Bereich. Nicht die Reduktion der Staatsquote, sondern die optimalere Verwendung vorhandener Ressourcen steht im Vordergrund. Mehr von Niki Kowall finden Sie hier.

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Budget 2011: Sinnloses Blutvergießen und vergebene Chancen

Was steckt genau drin im Sparbudget? Gastautor Niki Kowall hat sich den Haushaltsentwurf im Detail angesehen. Und je genauer man hinsieht, umso deutlicher wird, dass man kaum zu sagen vermag, was am Budget skandalöser ist: die soziale Ungerechtigkeit oder die politische Phantasielosigkeit. Alles was Werner Faymann durchgesetzt hat ist ein minimaler Anstieg der vermögensbezogenen Steuern von 0,5 auf 0,8 Prozent des BIP. 

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Die bildungsfernen Türken…

Wer substantiell über die Zusammenhänge von Migration, Sprachproblemen und Deklassierung sprechen will, sollte das gelesen haben. Herbert Langthaler von der Asylkoordination hat dieses Interview für die Zeitschrift „Asyl Aktuell“ mit der Soziolinguistin Katharina Brizi´c geführt. Ich fand es so wichtig, dass ich Herbert Langthaler bat, es hier verbreiten zu dürfen.

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Mitten in der Krise – Ein „New Deal“ für Europa.

Von Stephan Schulmeister

(in Zukunft möchte ich dieses Blog regelmäßig auch für Gastautoren öffnen. Den Anfang macht der Wiener Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister mit einem Auszug aus seinem Buch >Mitten in der Krise – Ein „New Deal“ für Europa<, das am kommenden Freitag erscheint)

Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, Armut und Klimawandel „im Ganzen“ bekämpfen.

Im – langsam untergehenden – Zeitalter des Neoliberalismus halten sich Ökonomen und Wirtschaftspolitiker bei der Diagnose von Problemen an zwei Grundsätze. Erstens: „Wo ein Problem in Erscheinung tritt, dort liegen auch seine Ursachen“. Zweitens: Jedes der großen Probleme wie Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit oder Klimawandel wird isoliert betrachtet und bedarf dementsprechend einer „Spezialtherapie“.

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Was zur Wahl steht – Von Isolde Charim

Am Sonntag ist Nationalratswahl. Gut möglich, dass es einige Überraschungen gibt. Denn das die Wochen der Falschrede keine exzentrischen Reaktionen des Publikums nach sich ziehen, ist kaum vorstellbar. Als Einstimmung hier unter der Rubrik "Fremde Federn" ein Kommentar von Isolde Charim aus dem aktuellen Falter.

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