Obamania

Barack Obama, schwarzer Shooting Star der Demokraten, löst einen regelrechten Hype aus: als erster Schwarzenführer, der nicht durch die Grenzen zwischen den Rassen geprägt wurde, sondern durch die Globalisierung und die Mischung der Kulturen. profil, Oktober 2004

 

Eigentlich ist er noch nicht viel mehr als ein kleiner Lokalpolitiker. Barack Obama, 42, ein kleiner Senator im US-Bundesstaat Illinois, der sich um einen Posten im Senat in Washington bewirbt, der im November neu besetzt wird. Doch schon ist der schlacksige schwarze Einwanderersohn mit den leicht abstehenden Ohren eine nationale Figur. Und auch global sorgt der strebsame Provinzpolitiker bereits für Schlagzeilen. Der "neue politische Superstar" habe eine veritable "Obamania" ausgelöst, formulierte die "Asia Times", die Superlativen ansonsten wenig zugeneigte "Frankfurter Allgemeine Zeitung" konstatiert erstaunt, dass den US-Demokraten wieder eine "Führungspersönlichkeit vom Schlage eines Bill Clinton, vielleicht sogar eines John F. Kennedy" zugewachsen ist, und die Londoner "Financial Times" titelt lapidar: "A Democrat Star is born".

 

Unmittelbarer Auslöser für den Hype war die Rede, die Obama vor der demokratischen Convention in Boston vor zwei Wochen gehalten hatte, ein elektrisierender, energiegeladener Vortrag, pathetisch, aber doch modern, eindringlich, und trotzdem nicht bierernst. Obama zeigte da sein seltenes rhetorisches Talent, erwies sich als eine Art gelungene Kreuzung aus Martin Luther King, Tony Blair und Joschka Fischer. Wer diese Rede gehört hat, wird sie so schnell nicht vergessen.

 

Doch wenngleich die Begeisterung, die Obama entgegenschlägt, mit seiner fesselnden, packenden Art zu tun hat, so deutet sie doch auch darauf hin, dass so jemand offenbar sehnlich erwartet wurde: ein moderner schwarzer Politiker, der die afroamerikanische Minderheit zu repräsentierten versteht, deren Mehrheit immer noch zu den Unterprivilegierten zählt, der die Forderungen der Zukurzgekommenen aber auf eine Weise zu formulieren vermag, die auch die weiße Mittelklasse anspricht, ein Politik aus einer Minderheit, kurzum, der auf der Höhe des 21. Jahrhunderts ist. "Ich bin in der afroamerikanischen Gemeinschaft verwurzelt, aber ich bin nicht durch sie begrenzt", formulierte Obama unlängst in einem Interview.

 

Obama verkörpert ein neues Paradigma schwarzer Politik. Geprägt wurde der Stil schwarzer Politik ursprünglich durch den charismatischen Bürgerrechtsführer Martin Luther King, der 1968 ermordet wurde. Seine Erben und Nachfolger, wie Jesse Jackson und Al Sharpton, die auch heute noch wichtige Fürsprecher der schwarzen Sache sind, wirken in Habitus und Rhetorik längst nicht mehr zeitgemäß, sind irgendwo im demokratischen Aufbruch der sechziger und siebziger Jahre steckengeblieben, erscheinen auch den meisten Liberalen mit ihrem Predigerton fast wie Karikaturen aus einer versunkenen pathetischen Ära. Amerikanische Schwarze, die etwas erreichen wollten, haben sich in den letzten Jahren fast demonstrativ abgesetzt von dieser Geschichte – haben, wie George W. Bush‘ Nationale Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice oder Außenminister Colin Powell individuell im (weißen) Establishment Karriere gemacht. Sie sind Politiker, die schwarz sind, aber keine schwarzen Politiker.

 

Obama verkörpert auch diese Geschichte und ist doch anders. Er ist ein brillant ausgebildeter Jurist, hat in Columbia und Havard studiert und danach die Angebote eleganter Anwaltskanzleien ausgeschlagen um sich als kleiner Bürgerrechtsanwalt in Chicago einen Namen zu machen. Seine Kunst besteht darin, wie das in der Sprache der US-Politik formuliert wird, so über die "exklusiven" Probleme der Schwarzen zu reden, dass er damit die "inklusiven" Werte des "amerikanischen Traums" beschwört. "Neben unserem berühmten Individualismus gibt es noch ein anderes Element in der amerikanischen Überlieferung", formulierte Obama in seiner Parteitagsrede: "Die Überzeugung, dass wir als eine Nation miteinander verbunden sind." Zur amerikanischen Grundüberzeugung, dass jeder es schaffen kann, gehöre aber freilich auch die Tugend, allen die Möglichkeiten zu geben, es zu schaffen. Es ist diese Art von Rhetorik, die die Schwarzen in den innerstädtischen Quartiere ebenso verstehen wie die Körndlbauern im Mittelwesten.

 

Dass Barack Obama den Ton so trifft, hat wohl vor allem mit seiner Biographie zu tun. Waren schwarze Politiker bisher durch die Geschichte der Segregation, der Rassentrennung und des Rassismus geprägt, so ist Obama mehr ein Kind der Globalisierung. Sein Vater kam aus Kenia in die USA, um hier zu studieren. Er verliebte sich in eine junge weiße Frau aus einer Arbeiterfamilie aus Kansas, mit der er zeitweise in Hawai lebte. Nach der Trennung seiner Eltern wanderte Barack Obama mit seiner Mutter und derem zweiten Mann in dessen Heimat, nach Indonesien aus – kehrte aber bald wieder zurück. Viele seiner Kinder- und Jugendjahre verbrachte er bei den Eltern seiner Mutter. Der Großvater verdiente seinen Lebensunterhalt als Arbeiter bei Ölfirmen und auf großen Farmen in Kansas. Obama tingelte zwischen den Kulturen: Kansas, Hawei, Südostasien, Chicago, ist in der Welt seiner weißen Großeltern ebenso zu Hause wie in der afroamerikanischen Community und in den gehobenen Sphären der Eliteuniversitäten. Er weiß, wie die jungen Schwarzen ticken, er kennt aber auch die Mentalität der weißen Unter- und Mittelschicht. "Was sie für wichtig halten, ihr Gefühl für das was richtig und was falsch ist, das kenne ich sehr gut", sagte Obama dem Reporter des "New Yorker" der mehr als erstaunt war, als er bei seiner Tour mit dem Politiker durch den Mittelwesten wortkarge, muskulöse weiße Bauern traf, die stolz ihre Obama-Buttons auf ihren Jacken trugen und mit denen Obama wie selbstverständlich umging, als hätte er sein Leben in ihrer Mitte verbracht. "Die sind wie meine Großeltern", sagt er. In mehreren Kulturen aufgewachsen, spricht Barack Obama die Sprache der unterschiedlichsten Milieus.

 

Man kann sich umgekehrt natürlich vorstellen, wie schwer er sich getan haben muss, seine Identität zu finden: als schwarzes Kid unter Weißen, als afroamerikanischer Bub mit weißer Mutter und indonesischem Stiefvater in Südostasien, und bei den Schwarzen, für die er angesichts dieses Backgrounds ein halber Weißer war. Aber er hat aus diesem Mangel an Eindeutigkeit ein Erfolgsrezept gemacht.

 

Bei vielen amerikanischen Schwarzen, den Nachfahren verschleppter Sklaven, sitzt das Gefühl jahrhundertelanger Erniedrigung, die Gewißheit, zu den Verlierern der Geschichte zu zählen, sehr tief. Obama, Sohn eines aus freien Stücken eingewanderten Afrikaners und einer Weißen, hat davon nichts. Er ist ein Spross des amerikanischen Traums, dem man von Kindertagen an beibrachte, dass man mit Ehrgeiz weit kommen kann. Er ging auf die besten Schulen und Universitäten und brachte es 1990 erstmals zu einiger Prominenz: als erster Schwarzer wurde er Chefredakteur des angesehenen Havard Law Review, einer bedeutenden juristischen Zeitschrift. Seit 1997 ist er Senator in Illinois, die Nominierung als Kandidat für die Wahlen zum US-Senat gewann er zuletzt bravourös. Nachdem sein republikanischer Rivale um den Posten im Frühjahr nach einem Sexskandal seine Kandidatur zurückziehen musste, hat sich bisher kein Bewerber auf republikanischer Seite gefunden, der gegen den Shooting-Star Obama anzutreten wagt. Schon umgibt den jungen schwarzen Politiker eine Aura der Unschlagbarkeit. "Das Rennen ist entschieden", so die allgemeine Meinung in Illinois. Wird er im November gewählt, ist er der einzige Schwarze in der wichtigeren der beiden Kammern des US-Kongresses – und erst der dritte schwarze Senator seit dem Bürgerkrieg.

 

Das Zeitgemäße an Obama besteht darin, dass er sich weder durch seine ethnische Herkunft noch durch ideologische Traditionen festlegen lässt. Unter den Demokraten rechnet man den smarten 42jährigen, der von Beginn an gegen den Irak-Krieg war und staatliche Sozialprogramme unterstützt, dem linken Flügel zu – wenn er aber von den amerikanischen Gemeinschaftstugenden spricht, dann schlägt er eine Sprache an, wie sie zuletzt eher auf konservativer Seite gesprochen wurde, eine kommunitaristische Rhetorik, die auch George W. Bush vor vier Jahren mit seiner Idee vom "mitfühlenden Kommunitarismus" gebrauchte. Gerade dieses clintoneske Changieren zwischen links und rechts ist vielleicht Obamas stärkstes Talent und zeigt den Paradigmenwechsel, den er verkörpert: mit Obama kommt der Bürgerrechtspathos in der Postmoderne an. 

 

Kasten

 

Everybodys Darling – trotz Koks!

 

Nach seinem Auftritt beim demokratischen Parteikonvent hatte es Barack Obama nicht leicht, daran zu erinnern, dass er eigentlich nicht die Hauptperson in der Politik der Demokraten ist. "Vergesst mir nicht auf John Kerry", quttierte der gefeierte neue Star den Hype um seine Person. "Und auch nicht auf John Edwards". Auf allen TV-Sendern musste er über seine "exotische" Biographie und seinen "lustigen Namen" (Barack Obama über seinen Vornamen, der auf Suaheli "der Gesegnete" heisst) Auskunft geben und über wilde Jugendtage: "Ich habe Drogen genommen. Wirklich harte Sachen" (Obama hat auch schon Koks probiert).Wobei ihm nicht nur das liberale Amerika feiert, sondern auch das konservative: Ein Schwarzer, der den amerikanischen Patriotismus beschwört, großartig! Nur gelegentlich mischt sich in die Hymnen ein Schuss Spott: "Die gute Nachricht für die Demokraten ist: sie haben in Obama ihren künftigen Führer gefunden", ätzt das konservative "National Review", und "die schlechte Nachricht für die Demokraten ist: es gibt für Obama in dieser Rolle keine Konkurrenz."

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