„Wie bei Al Capone“

Großbritannien. Der Parteispenden-Skandal könnte Tony Blairs Gnadenfrist jäh verkürzen. Der einstige Strahlemann hat den Moment für einen Abgang in Ehren verpasst. profil, 11. Februar 2007

 

Oft kommt so etwas nicht vor in stabilen Staatswesen: Es war 6.30 am 19. Jänner, da trommelten Scottland-Yard-Beamte Ruth Turner, Stabschefin von Downing Street 10 – dem Amtssitz von Premierminister Tony Blair – aus dem Bett, führten sie wie eine Verbrecherin ab, vernahmen sie ausgiebig und ließen sie erst gegen Kaution wieder frei. Zuvor war schon der einstige Geldbeschaffer der Labour Party, Lord Michael Abraham Levy, kurzfristig arrestiert worden. „Lord Bankomat“ gilt als Schlüsselfigur einer undurchsichtigen Affäre, in der seit mittlerweile elf Monaten ermittelt wird: Für Spenden an die Labour Party seien Lordtitel, aber auch andere Beförderungen vergeben worden. Ob Scottland Yard wirklich Beweise in der Hand hat, ist zwar unbekannt – aber allein der Verdacht wiegt schwer und ist eine immense Belastung für Blairs Labour-Regierung.

 

Zwei Mal wurde der Premier selbst schon vernommen. So geheim, dass lange Zeit nicht einmal sein Pressesprecher von dem Verhör wusste. Noch gilt Blair offiziell als Zeuge, nicht als Beschuldigter.

 

Juristisch ist die Schlinge um Blairs Hals also noch reichlich lose, politisch aber wird es für ihn  dagegen zunehmend eng. Seit zehn Jahren steht er der Regierung vor, als glänzender Hoffnungsträger hat er begonnen, jetzt ist er nur mehr eine Belastung für seine Partei. Darum hat er bereits im Vorjahr angekündigt, er werde kommenden Sommer aus dem Amt scheiden. Aber jetzt ist nicht einmal mehr so klar, ob er diese Gnadenfrist noch erhält.

 

Wenn es zu einer Anklage gegen hohe Labour-Leute aus dem engsten Kreis um Blair kommen sollte, wird Blair wohl kein eleganter Abgang gegönnt werden. „Wenn es Anklagen gibt, muss er gehen“, zitieren Londoner Zeitungen einen anonymen Labour-Minister. Schon werden Notfallpläne gewälzt: Sollte es nicht genug Zeit geben, einen neue Führung nach allen Regeln der Verfahrenskunst zu bestellen, könnte Blair-Vize John Prescott Übergangs-Parteichef werden und der bisherige Finanzminister Gordon Brown Übergangs-Premier. Dass Brown spätestens im Herbst die Nachfolge Blairs in allen Ämtern antritt, darüber gibt es ohnehin kaum einen Zweifel.

 

Schon sind 56 Prozent der Briten der Meinung, Blair solle sofort zurücktreten.

 

Der gab sich vergangene Woche aufgeräumt, präsentierte sich vor einem Parlamentsausschuss strahlend und tat, als wolle er noch viele Zugaben geben, bevor der letzte Vorhang endgültig fällt. Doch die Frage, die heute über jedem Blair-Auftritt schwebt, ist längst: Warum hat der Mann den Zeitpunkt für einen würdigen Abgang verpasst? Jahrelang war er der Shooting-Star der europäischen Politik. Drei Wahlen in Folge hat er gewonnen. Auch hat sich Großbritannien prächtig entwickelt: Die Wirtschaft brummt, seit Jahren liegen die Wachstumsraten stabil über denen Kontinentaleuropas, die Arbeitslosenrate deutlich niedriger. Die große Imagedelle brachte vor allem Blairs Nibelungentreue zu US-Präsident George W. Bush und die britische Beteiligung am Irakfeldzug. Dennoch hätte er noch vor einem Jahr in Ehren gehen können. Die Bilanz hätte gelautet: Viel hat er erreicht. An einem Ziel – den Briten das Antieuropäertum auszutreiben – ist er gescheitert. Und einen großen Fehler hat er gemacht – die Beteiligung am Irakkrieg.

 

Doch mit der Entscheidung, seinen Rücktritt anzukündigen, aber noch ein Jahr im Amt zu bleiben, unterlag Blair einer schweren taktischen Fehleinschätzung. Damit nahm er zwar Druck aus der Nachfolgedebatte – aber seither gilt er als „lame Duck“, als „lahme Ente“, deren Abgang das Land schon herbeisehnt.

 

„Get on with the job“ – „einfach weitermachen“ – sei sein Motto, sagte er vergangene Tage in einem BBC-Interview. Gespannt wartet das Land jetzt darauf, ob es dem Scottland-Yard-Ermittler John Yates gelingt, eine rauchende Pistole zu finden. Es ist, schrieb der „Guardian“ vergangene Woche, „wie einst bei Al Capone“: Alle sind überzeugt, der Kerl ist ein Verbrecher, zweifelhaft ist nur, ob man es ihm beweisen kann.

 

Das zeigt, dass die Briten Blair alles zutrauen, steht dieses Urteil doch in scharfem Kontrast zu dem, was bisher über die „Cash-for-Honours“-Affäre („Geld-für-Ehren“) bekannt ist: Nämlich so gut wie nichts. Blairs Vertraute wurden auch nicht deshalb in Haft genommen, weil es gegen sie irgendwelche Beweise gibt, sondern lediglich, weil der Verdacht besteht, sie behinderten die Justiz und verwischten Spuren. Die Ermittlungen sind schwierig. Einerseits besteht kein Zweifel daran, dass es sich als nützlich erwies, Labour eine Spende zukommen zu lassen, wenn man von der Regierung etwas wollte. Andererseits wird schwer beweisbar sein, dass einzelne Beförderungen direkt das Resultat von Geldflüssen waren. „Eine Preisliste wird Ermittler Yates wohl kaum finden“, so Kommentatoren.

 

Doch selbst wenn die Ermittlungen ohne Anklagen enden, wird das an einem nichts mehr ändern: Allzu positiv wird Blairs Bild in den Geschichtsbüchern nicht ausfallen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.