Kalkulierte Eskalation

Iran. Die Krise um die gefangenen britischen Marinesoldaten zeigt, dass Teheran mit Einschüchterungspolitik nicht beizukommen ist. profil, 2. April 2007

 

 

Die Bilder sind grobkörnig und verwackelt. Die Marinesoldatin Faye Turney trägt einen Schal lose um den Kopf gewickelt – als Ersatz für das obligatorische islamische Kopftuch -, und sagt, „offenbar“ sei ihre Einheit in iranische Hoheitsgewässer eingedrungen. Ausgestrahlt wurden die hart geschnittenen Sequenzen vergangene Woche vom iranischen Fernsehen. Die TV-Übertragung ist an sich schon ein Kriegsverbrechen – die Genfer Konvention untersagt die Zurschaustellung gefangener Soldaten.

 

15 Marinesoldaten hält der Iran seit mehr als einer Woche gefangen. Aufgebracht wurde deren Schiff im Persischen Golf, nahe dem Mündungsgebiet des Schatt-al-Arab, einem der sensibelsten Gewässer der Welt. Seit Jahren streiten sich der Iran und der Irak um den genauen Grenzverlauf der Hoheitsgewässer. Die Briten hätten iranisches Hoheitsgebiet verletzt, argumentiert Teheran. Sie seien eindeutig in irakischen Gewässern unterwegs gewesen, noch dazu unter UN-Mandat, insistiert London – und legte zuletzt Satellitenfotos vor, die das ziemlich eindeutig beweisen.

 

Die Festnahme der 15 kann vom Iran nur als Provokation gedacht worden sein. Als Coup. Gefährlich: Geringfügige Anlässe dieser Art haben in der Geschichte schon zu Kriegsausbrüchen geführt. So weit wird es zwar diesmal wohl nicht kommen, auch wenn London zuletzt von softer Gentleman-Diplomatie auf etwas härtere Gangart umschaltete und die diplomatischen Kontakte mit Teheran herunterschraubte. Aber doch fragt man sich in der Welt der internationalen Diplomatie, was Teheran bezwecken mag – und welche inneren Machtkämpfe im Iran toben.

 

Erinnerungen werden wach: Anfang der achtziger Jahre, als sich die islamische Revolution radikalisierte, überfielen heißspornige iranische Studenten die US-Botschaft und nahmen das Personal in Geiselhaft. Die Eskalation trieb den Iran erst in die tiefe Feindschaft mit dem Westen. Jimmy Carter setzte damals mit einer missglückten Befreiungsaktion seiner Präsidentschaft ein Ende. Ganz anders verlief ein Zwischenfall vor drei Jahren. Auch damals wurden britische Soldaten gefangen genommen – aber schon nach drei Tagen wieder freigelassen. An einer tiefer gehenden diplomatischen Verwicklung hatte offenbar niemand in Teheran ein Interesse.

 

Diesmal scheinen Kräfte in Teheran eher auf kalkulierte Eskalation zu setzen. Zwar gibt es auch moderate Stimmen, wie Außenminister Manouchehr Mottaki, der bekundete, „das Problem“ werde „durch Gespräche“ zu lösen sein. Aber kaum jemand glaubt, dass die Festnahme ein blöder Zufall ist. Der Iran will ein Zeichen setzen.

 

Möglicherweise ist die Festnahme als Retourkutsche für die Gefangennahme iranischer Emissäre im Irak vor vier Monaten gedacht – die USA sagten damals, die Männer planten Anschläge. Fünf von ihnen befinden sich noch immer im US-Gewahrsam. US-Präsident George W. Bush hat jüngst auch einen Befehl unterzeichnet, der US-Soldaten erlaubt, auf iranische Abgesandte im Irak das Feuer zu eröffnen. Das Signal an Teheran war eindeutig: Ihr habt im Irak nichts zu suchen. Auch die verschärfte Gangart im Nuklearstreit sendet eine stetige Botschaft gegen Teheran: Wir erwarten von Euch Wohlverhalten.

 

Der Iran, der sich zu recht als regionale Großmacht mit wachsender Bedeutung sieht, reagiert auf solche Demütigungen gereizt. Der radikale Präsident Mahmud Ahmadineschad, dessen Popularität schwindet, setzt auf kalkulierte Konfrontation, um Herr des Geschehens zu bleiben und auch moderate Nationalisten an sich zu binden.

 

Manches deutet darauf hin, dass im Iran selbst ein Machtkampf tobt. Die alte Garde – Ex-Staatspräsident Ali Akhbar Rafsandschani, aber auch Khomeini-Nachfolger Ali Khamenei – sind politisch verbraucht. „Die nachfolgende Generation“, sagt der persische Langzeit-Oppositionelle Bahman Niroumand zu profil, „richtet sich gegen diese erste Garde und auch gegen die Geistlichkeit“. Seit einiger Zeit dürfte es auch zu Konflikten zwischen Präsident Ahmadineschad und dem geistlichen Führer Khamenei gekommen sein. Niroumand: „Seit einigen Wochen kritisiert Khamenei den Präsidenten öffentlich“. Möglich, dass eine diplomatische Krise Ahmadineschad und seinen Jungreaktionären sehr gelegen kam.

 

Weil sich vor allem die USA und Großbritannien weigern, den Iran einzubinden, werden auch moderate Nationalisten ins Lager der islamischen Scharfmacher getrieben. Doch jetzt melden sich auch in den USA immer mehr gewichtige Stimmen zu Wort, die einen Kurswechsel in der Iran-Politik fordern. So fordert Ray Takeyh, ein hoher Strategieplaner vom Washingtoner Council on Foreign Relations in der jüngsten Ausgabe des Diplomatie-Fachorgans „Foreign Affairs“: „Wir können den Iran nicht zurückdrängen, also müssen wir ihn einbinden.“ Titel seines Manifests: „Entspannungspolitik statt Regimewechsel.“

 

 

Ein Gedanke zu „Kalkulierte Eskalation“

  1. „Jimmy Carter setzte damals mit einer missglückten Befreiungsaktion seiner Präsidentschaft ein Ende.“
    Es wird ja immer spekuliert, daß das Umfeld von Ronald Reagan (und/oder er selbst) sich mit Teheran in Einvernehmen gesetzt hat, die Geiseln nicht vor der Präsidentenwahl freizulassen. Ich habe mich in die Chronologie nicht genauer eingelesen, aber die Iran-Contra-Affäre ein paar Jahre später könnte man als zumindest ein weiteres Indiz zur Bestätigung dieses Interpretationsansatzes deuten.

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