Fürchtet Euch vor dem Unternehmergeist!

Gepriesen sei die Finanzkrise für solche Theaterabende! Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“ in einer „Urlesung“ am Wiener Akademietheater. taz, 18. März 2009

 

„Unsere Ersparnisse, die uns jetzt endlich erspart bleiben werden“, besingt der „Chor der Werktätigen“. Hinweggerafft hat sie der „freie Unternehmergeist“ – „fürchten Sie ihn, wenn Sie ihn sehen.“ Die Banker – der „Chor der Greise“ – antworten: „Damit müssen Sie sich abfinden, so wie wir uns mit unseren Abfindungen abfinden müssen.“ Das Geld, das arbeitet jetzt nicht mehr, das ruht sich jetzt aus, im Real Estate Heaven. Rudolf Melichar, bald achtzig Jahre alt, stakst derweil mit Engelsflügel und Goldhaarperücke über die Bühne.

 

Das war schon eine seltsame Ur-, ja, was eigentlich? Aufführung?, die Montag Abend im Wiener Akademietheater gegeben wurde. Als „Urlesung“ des neuen Stückes von Elfriede Jelinek „Die Kontrakte des Kaufmanns“ war der Abend angekündigt. Tatsächlich hat es Nicolas Stemann als popiges Schaustück inszeniert, mit Drums, Klavier und Gitarre, mit Videobildern, die jelinekesk mäandernden Textgirlanden schwappen so immer wieder ins Songformat hinüber. Es lesen, singen, spielen Schauspieler vom Schauspiel Köln, vom Hamburger Thaliatheater und vom Wiener Burgtheater. Im April wird das Stück in Köln offiziell Uraufführung haben.

 

Jelineks Skript ist das Stück zur Wirtschaftskrise. „Der Börsenkurs ist gefallen, weh, weh, weh“, singt der Chor. Jelineks Text ist eine Litanei, ein Gebet, ein Trommelfeuer, ein fünfstündiger Song, eine Empörung. Geschrieben hat sie ihn schon vor der Kernschmelze an den Finanzmärkten im September. Den Stoff lieferten ihr zwei österreichische Finanzskandale: die Beinahe-Pleite der Gewerkschaftsbank BAWAG, die sich mit Hedge-Fonds überhob und der Absturz des Immobilienfonds Meinl European Land. Die Geschichte, die sie erzählt – „Geschichte“ ist gewiss eine Hilfsvokabel für diesen Text – ist die von den Kleinanlegern, die mit ihrem Geld ein System befeuern, das andere reich und sie unfroh macht – und arm obendrein. Was ist die Enteignung einer Bank gegen die Enteignung durch die Bank?

 

Nichts ist schwerer zu dramatisieren als das Börsegeschehen. Umso fulminanter geriet diese Show. Der komplexe, zeitgenössische Kapitalismus ist weder irrational, noch ist er jenes rationale Geschehen, als das ihn die Anhänger der „Rational-Markets-Hypothese“ darstellen. Eher: Eine absurde Rationalität. Banker sind hier in der Position, sich Gehalt und Abfindung selbst zu genehmigen. „Warum sollte so jemand, um sich zu bereichern, ein Verbrechen begehen?“ Kleinanleger kaufen Verluste, die sie für Gewinne halten. „Wir haben ins Nichts investiert“, rufen die Investoren. In „forderungsbesicherte Wertpapiere“. Also in Schulden. In „weniger als Nichts“. Würde ein Revolutionsdirektorum dieses System übernehmen wollen, es fände buchstäblich NICHTS vor. „Wir haben in ein Unternehmen investiert, das es gar nicht gibt.“ Man investiert ins Nichts, das Nichts vermehrt sich, das Nichts wird über die ganze Welt verkauft – das, so Jelineks Pointe, ist die absurde Rationalität der Finanzmärkte.

 

Am Ende hat Ihr Geld ein anderer. Das ist nicht ganz wahr, aber auch nicht ganz falsch. Das Geld wurde nicht für „unternehmensfremde Zwecke verwendet“, rechtfertigen sich die Banker. „Es wurde für unsere eigenen Zwecke entwendet. Und unser Zweck ist, Ihnen zu nehmen. Sie konnten es nur vorübergehend beherbergen ihr kleines Kapital. Jetzt lebt es bei uns. Es lebt gerne bei uns. Es lebt jetzt auf einer schönen Insel.“ Auf einer dieser Postkastenfirmeninseln im Ärmelkanal oder in der Karibik.

 

Arme Leute von Reichen bestohlen? So einfach macht es sich Jelinek freilich nicht. Das ebenso lustige und wuchtige Stück kreist um die Glaubensstruktur eines Systems, das kleine Leute dazu bringt, an ihrer eigenen Enteignung mitzumachen und die ihre Verluste am Ende nicht einmal als Raub und Plünderei erleben, sondern als Ausweis ihres unternehmerischen Unvermögens, wie jener Axtmörder, der seine Familie auslöschte, weil er ihr die Schande der Fehlinvestition ersparen wollte. So mündet Jelineks Kapitalismusanalyse in ein hübsches, blutiges Massaker. Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Amoklauf schweigen. In einen viereinhalbstündigen Bühnenzauber hat Nicolas Stemann mit seiner großartigen Truppe Jelinkes Text verwandelt. Um Mitternacht gab es für die Austreibung des Unternehmergeistes stehende Ovationen. Gepriesen sei die Finanzkrise für solche Theaterstücke.

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