Einmal Neo, immer Neo.

Irving Kristol, Godfather der Neokonservativen, ist 89jährig in Washington verstorben. taz, 22. September 2009

 

 

 

Er war in seinem Leben Neo-Marxist, Neo-Trotzkist, in Religionsdingen zuletzt ein Neo-Orthodoxer und in die Geschichte wird er eingehen als der „Godfather“ (The New York Times) des Neo-Konservativismus. Und jetzt ist er ein Neo-Toter. Denn Irving Kristol, eine der schillerndsten intellektuellen Figuren Amerikas, starb vergangenen Freitag in Washington.

 

An Denkern ist der moderne Konservativismus ja nicht besonders reich. So nimmt es nicht wunder, dass die geistige Strömung, die Kristol mit einer Handvoll Mitstreitern begründete, bemerkenswerten Einfluss in der Gedankenwelt von Mitte-Rechts bis scharf Rechts ausübte. Kristol war sich dieser Bedeutung gewiss. „Ideen haben Folgen, wenn auch auf mysteriösen Wegen“, schrieb er einmal. Ohne seinen geistigen Einfluss hätte es keinen Präsidenten Ronald Reagan gegeben, er prägte die Gedankenwelt der Präsidentschaft George W. Bush‘, seine Thesen hatten Strahlkraft über die USA hinaus.

 

Dabei war Kristol in den dreißiger Jahren ein radikaler Linker. Wie sein Kumpel Norman Podhoretz hing er einer lokalen New Yorker Spielart des Trotzkismus an. Den Antistalinismus und den revolutionären Elan bewahrte er sich, als er sich in den fünfziger Jahren den Demokraten anschloss. In den sechziger Jahren, als die Demokraten unter Lyndon B. Johnson einen Sozialstaat errichten wollten, sich auf die Seite der Bürgerrechtsbewegung stellten und sich auch Kräften der linken Gegenkultur öffneten, machten Kristol und seine Mitstreiter einen scharfen Schwenk nach ganz rechts. Sie hießen fortan „Neo-Cons“, und das Präfix Neo bedeutete, dass diese Leute neu ins rechte Lager gestoßen waren.

 

Aber sie waren nicht nur ehemalige Linke, die sich zu Konservativen wandelten, sondern sie wandelten auch den Konservativismus. Sie wechselten ihre Überzeugungen, aber nicht den Habitus. Mental blieben sie Radikale. Kristol prägte die berühmte Formel, ein Neokonservativer sei ein Liberaler, „der von der Realität überfallen wurde“. Also: Ein Linker, der einsah, dass das in der Wirklichkeit mit dem Linkssein nicht klappt.

 

Letztendlich war es die Studentenrevolte, die Kristol nach rechts trieb. Sie machte in seinen Augen eine „Gegenkultur“ salonfähig, verdarb die Arbeiterbewegungs-Linke und mündete in eine „nihilistische Antikultur“. Kristol war aber klug genug, zu sehen, dass der moderne Kapitalismus, mit seiner hedonistischen Konsum- und Entertainmentkultur, selbst „Laster“ und „Vulgarität“ ausbrütete. So trommelte er dafür, dass eine freie Marktwirtschaft nur überleben kann, wenn die Politik eine starke Moral hochhalte: Liberalismus in der Wirtschaft, Ultrakonservativismus in gesellschaftlichen Belangen.

 

Diese „Werte“ sah er von allen Seiten bedroht, womit er einer gewissen Paranoia Tür und Tor öffnete. Bei aller Schwarz-Weiß-Malerei bewahrte Kristol aber immer ein intellektuelles Niveau, von dem man bei den meisten moderaten Konservativen nur träumen kann.

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