Sarkozy will mehr Glück im BIP

Für das Wahlblog der Böll-Stiftung

 

Erinnern Sie sich noch, wie gerne forsche Marktfetischisten darauf hingewiesen haben, dass Europa gegenüber Amerika im Produktivitätsfortschritt zurückfalle? Und wissen Sie, worauf ein Gutteil dieses „Produktivitätsfortschritts“ beruhte? Auf den Produktivitätsfortschritt in der Finanzindustrie! Aber wie misst man eigentlich die Produktivität von Bankern, Brokern und Kredithaien? Ganz einfach: Transaktionen pro Person und Zeiteinheit. Also: Ein bisschen weniger „Produktivitätsfortschritt“ und uns wäre so manches erspart geblieben.

 

Zahlen sind Fallen. Sie sind nicht nur Statistik, sondern auch Anreizsysteme. Sie messen nicht nur, sondern beeinflussen auch das Gemessene. Sie stacheln zu einem Wettbewerb an, jeder will so „gute“ Kennziffern wie die Konkurrenz. Aber versteckt sich hinter einem „guten“ Wert immer Gutes? Eine dieser fragwürdigen Kennziffern ist das BIP, das Bruttoinlandsprodukt. Es misst Güter und Dienstleistungen zu Marktpreisen. Und gibt’s kein Wachstum, also kein BIP-Wachstum, geht es uns schlecht, wächst es, das BIP, dann geht es uns gut. Aber was misst schon das BIP? Wird ein Kraftwerk gebaut, das die Umwelt verpesstet, wächst das BIP. Wird ein Kraftwerk gebaut, das die Umwelt nicht verpesstet, wächst das BIP auch. Wird ein Kraftwerk gebaut, das die Umwelt schont, und eines abgerissen, dass die Umwelt verpesstet, wächst es noch mehr. Ersteres ist schlecht, zweiteres besser, dritteres noch besser – aber die BIP-Kennzahl ist keine gute Maßeinheit dafür. Manche Güter werden überhaupt nicht auf dem Markt verkauft. Der Beitrag der Polizei zum BIP besteht in den Lohnzahlungen an Polizisten – was diese Polizisten „produzieren“, etwa „Sicherheit vor Überfällen“, geht in die gefühlte Wohlfahrt ein, aber nicht in die gemessene. Stehen Autofahrer im Stau, wächst das BIP, weil sie Sprit verbrauchen. In Wien wird am Tag mehr Brot weggeworfen – also berufsmäßig von Leuten, die dafür bezahlt werden, entsorgt – als in Graz gegessen. Gut für’s Wiener BIP.

 

Eine 22-köpfige Kommission unter Leitung von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stieglitz und Amartya Sen hat nun vorgeschlagen, eine neue Wohlstandsmessung einzuführen, die die Wachstumsorientierung des BIP nicht aufgibt, aber ergänzt: Bildung, Lebensqualität, Umweltqualität, Lebenschancen, Nachhaltigkeit, Gesundheit etc. sollten berücksichtigt werden. Schließlich sagen die Einkommen von Ärzten und Pharmaindustrie recht wenig über die Qualität der Gesundheitsversorgung aus. Sicher, Lebensfreude lässt sich schlecht messen – aber Lebenserwartung beispielsweise ziemlich leicht. Für den neuen Index ist schon der elegante Titel des „Bruttonationalglücks“ im Gespräch. Jetzt macht sich auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy stark dafür, einen solchen realitätsnäheren Index zum Maßstab volkswirtschaftlichen Fortschritts zu machen. Auch der EU-Umweltkommissar ist dafür. „Das BIP misst alles – außer das, wofür sich das Leben lohnt“, sagte Bobby Kennedy schon 1968.

2 Gedanken zu „Sarkozy will mehr Glück im BIP“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.