Nur Optimisten können die Welt verbessern

Diese Rede hielt ich auf Einladung von Sigmar Gabriel bei der Vorstandsklausur der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, SPD, über das Thema „Verändern und Bewahren“. Potsdam, 10. Jänner 2011.

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Es wabert ja das Phantasma eines neuen, konservativen Geistes durch die Lande. Und ich bin da nicht völlig überzeugt, was die Indizienlage betrifft. Dass Bürger, wie in Stuttgart, dagegen sind, dass man die halbe Innenstadt umgräbt, um einen neuen Bahnhof zu bauen, wird als Indiz für diesen konservativen Geist angeführt, und dass die, die dort demonstrieren, keine bunten Haare mehr haben, wird als weiteres Symptom für einen konservativen Protest ins Treffen geführt. Oder, anderes Beispiel: Dass viele das gar nicht so gut finden, oder sogar mit sentimentaler Wehmut kommentieren, wenn wieder ein Traditionscafe durch ein Starbucks ersetzt wird, gilt dann gleich mit als Zeichen konservativer Tiefenströmungen. Oder wenn man Autobahnen nicht für die Ausgeburt der Hübschheit hält, und, im Gegenteil, alte gekalkte Bauernhäuser mit Kastenfenstern schön findet.

Also, liebe Freundinnen und Freunde, man kann „Konservativismus“ natürlich so definieren, dass nahezu alle von uns mit Leichtigkeit als „konservativ“ durchgehen. Aber wenn man den Begriff „konservativ“ derart entleert, und jede Prise Stilismus und jede Bereitschaft, sich nostalgisch anrühren zu lassen, schon als Indiz für Konservativ herhalten muss, dann waren wohl fast alle Menschen zu fast allen Zeiten konservativ, selbst in den progressivsten und reformorientiertesten Zeitaltern.

Seien wir uns ehrlich, das ist doch lächerlich:

Ich zieh mir gerne einen klassischen Anzug ab, aber im Alltag renn ich auch ganz gern wie ein Punk-Rocker rum. Ich finde moderne Architektur oft atemberaubend schön, steh aber auch auf alte Bauernhäuser. Ja, ich finde das auch gelungen, wenn man sie außen rum durchaus original rekonstruiert und sie innen so entkernt, dass sie wie eine Loft aussehen. Bin ich jetzt konservativ? Oder progressiv? Oder gar beides gleichzeitig? Irgendwie schizo?

Oh, ja, ich weiß natürlich, und ich muss Ihnen das nicht sagen, Sie wissen das besser als ich, es gab da auch in der klassischen sozialdemokratischen Tradition Leute, und man begegnet ein paar Fossilien diese Epoche gelegentlich auch heute noch, die meinten, wer dagegen ist, dass man jede Wiese in einen Parkplatz umwandelt und jedes Naturreservat in ein Kraftwerk, dass so jemand ein rückwärtsgewandter, wirtschaftsfeindlicher Spinner ist, und dass im Umkehrschluss alles, was neu ist, progressiv ist, ja, dass viel Beton progressiver ist als ein bisschen weniger Beton.

Aber das war natürlich immer schon eine eher exzentrische, man könnte auch sagen: lächerliche – Interpretation von progressiv. 

Damit will ich natürlich nicht behaupten, dass es heute nicht Schwierigkeiten gäbe, progressiv zu sein. Die demokratische Linke, und ich fasse diesen Begriff möglichst breit, so dass da durchaus die europäisch-kontinentalen Sozialdemokraten oder die amerikanischen Demokraten, die Grünen aber auch andere Linksparteien darunterpassen, sie haben heute schon ein kompliziertes Verhältnis zum gesellschaftlichen Fortschritt.

Um das zu illustrieren sei hier kurz an die vorangegangene gesellschaftliche Konfiguration erinnert – an die große Reformära, die Ende der siebziger Jahre, Anfang der Achtziger Jahre mehr oder weniger zu Ende ging. Sie in Deutschland verbinden diese, der Einfachheit halber, gerne mit dem Namen Willy Brandt, wir in Österreich mit Bruno Kreisky, der übrigens in zwei Wochen 100 Jahre alt geworden wäre, weshalb wir gerade ein bisschen Rückschau halten auf diese progressive Ära. Ja, auch das gibt’s, Nostalgie nach dem Fortschritt.

Wohlfahrtsstaatliche Reformen, so war man überzeugt, würden in Kombination mit stabiler Prosperität, zu mehr materieller Gleichheit führen und allen Menschen ein Leben in Wohlstand sichern. Jeder würde die Möglichkeit haben, aus seinem Leben etwas zu machen. Ökonomisches Wachstum und technologischer Fortschritt würden sich somit auch in gesellschaftlichen Fortschritt übersetzen. Gleichzeitig machten diese Mitte-Links-Regierungen gewissermaßen auch „die Fenster“ auf. Bildung für alle. Alte Zöpfe sollten abgeschnitten werden, Autoritäten wurden hinterfragt, hierarchische Ordnungen durchwehte ein Geist des Egalitarismus. Es herrschte ein Grundton des Optimismus vor: dass die Gesellschaften, dank progressiver Reformpolitik, bessere Gesellschaften werden würden. Nicht von heute auf morgen, aber in der Perspektive von zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren. Dass es den Kindern besser gehen würde als den Eltern. Dass ein noch höheres Maß an Gerechtigkeit und sozialer Gleichheit realisiert würde, dass es gelingen würde, eklatanten Mangel und eklatante Chancenarmut auszumerzen und auch ein höheres Maß an demokratischer Partizipation herbeizuführen.

Dass also der technologische Fortschritt und der „objektive“ gesellschaftliche Wandel, der, der sich hinter den Rücken der Akteure, oft ohne oder zumindest ohne klar zurechenbares willentliches Zutun vollzieht, dem gesellschaftlichen Fortschritt zuarbeiten würde. Fortschritt, das ist ja so ein Wort, das unterkomplex ist, unpräzise. Da kann man ja Innovation darunter verstehen, oder einfach Wandel oder aber Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen. Nur, damals war man noch so instinktiv sicher, dass das synchron verlaufen würde, oder besser: dass es möglich ist, diese drei Fortschritte zu synchronisieren durch gute Politik.

Natürlich, man fragte auch damals gelegentlich in nachdenklichen Runden, ob es nicht möglich sei, dass die Rasanz des Fortschritts die Menschen überfordern könnte. Aber seither, seit dem Ende dieser Konfiguration, ist noch etwas Dramatischeres geschehen: Die drei Fortschritte gerieten aus dem Takt. Wirtschaftliche und technologische Innovation, den objektiven Wandel, die gab es weiter, aber die Verbesserung der Lebensbedingungen hielt damit plötzlich nicht mehr Schritt, im Gegenteil.

Für viele Menschen verschlechterte sich die Wohlfahrt, die Ungleichheitsschere ging auf, der Konkurrenzkampf wurde härter, ach, ich brauche Ihnen das alles nicht zu erzählen. Sie wissen das alles, sie kennen alle Statistiken über die Ungleichheitsentwicklung von Einkommen und Vermögen, sie kennen die Erhebungen über die wachsenden subjektiven Ungerechtigkeitsempfindungen der Bürger, von den wieder zunehmenden Armutsgefährdungen ganz zu schweigen. Ich möchte mich darauf konzentrieren, was das bei den Politikern der Mitte-Links-Parteien, aber auch bei den Bürgern auslöste meiner Meinung nach.

Ich denke, ich trete niemanden zu nahe hier, wenn ich das so formuliere: Bei den Politikern der Mitte-Links-Parteien und ihren Anhängern verdichte sich das – vielleicht oft auch nur instinktive Gefühl -, der erreichte Grad an Wohlfahrtsstaatlichkeit sei das Beste, was zu erreichen sei; viel mehr, als es zu verteidigen, könne man im Grunde nicht tun. Dass es morgen besser sein würde als heute, das war jetzt plötzlich nicht mehr so klar. Dass es die Kinder besser haben könnten als die Eltern wirkte keineswegs selbstverständlich. Auch die Begriffe wandelten sich. Der Begriff des „Fortschritts“ verengte sich auf technologischen Fortschritt und wirtschaftliche Dynamik.

Der Begriff „Reform“, der in der vorausgegangenen Reformära identisch war mit gesellschaftlichen Veränderungen in Richtung mehr Gleichheit, mehr sozialer Sicherheit, mehr Wohlstand und mehr an Lebenschancen für alle, veränderte nach und nach seinen Inhalt. Oft wurde nun der Abbau sozialstaatlicher Regulierungen und der Abbau von Sicherheiten mit dem Begriff „Reform“ charakterisiert. Simpel gesagt: Während früher den Bürgern klar war, dass eine Reform ihre Lebensbedingungen verbessern würde, so war das nunmehr nicht mehr klar. Oft war das Gegenteil der Fall: War von einer „Reform“ die Rede, konnten die einfachen Leute meist davon ausgehen, dass ihnen irgendjemand etwas wegnehmen wollte.

All das veränderte die Politik der Mitte-Links-Parteien und damit auch ihre Wahrnehmung durch das Elektorat. Die einen sagten sinngemäß: Ja, wir sind auch für diese wirtschaftsliberalen Reformen – „Reformen“ -, aber wir achten im Gegensatz zu unseren Konkurrenten wenigstens darauf, dass es auch ein bisschen fair zugeht. Im Rahmen unserer Möglichkeiten. Soll heißen: In sehr begrenztem Maße.

Oder sie warfen sich in die Verteidigungspose und sagten: Besser machen geht nimmer, aber wir verteidigen wenigstens das Erreichte. Oft lief das darauf hinaus, zu sagen: Wählt’s uns, mit uns wird’s langsamer schlechter.

Gemeinsam ist beiden Rhetoriken, die natürlich in der Wirklichkeit in den schönsten Mischungsverhältnissen auftreten, dass eine Idee progressiver Gesellschaftsverbesserung nirgendwo mehr erkennbar ist. Aber damit riss auch ein Faden, der die Bürger mit demokratischer Politik verbindet. Es mag ja ehrenwert sein, wenn man sagt, wegen der Globalisierung, wegen der demographischen Realitäten, wegen der Funktionslogik komplexer Gesellschaften, wegen was auch immer, habe die Politik die Fähigkeiten verloren, langfristig und konzeptionell eine Gesellschaft zu verbessern.

Aber man braucht sich dann nicht wundern, wenn sich die Bürger von der Politik abwenden. Vielleicht nicht einmal angewidert und zornig, oft einfach desinteressiert. Weil, warum soll man denn Politik dann wichtig nehmen?

Und es mag ebenso oder vielleicht noch ehrenwerter sein, das Bestehende zu verteidigen, wenn man es als verteidigenswert empfindet, aber man wird Schwierigkeiten haben, die Menschen für eine solche Politik zu begeistern. Weil das Bestehende auch seine Mängel aufweist, die man sehr genau kennt. Weil das Bestehende, und sei es bloß durch den Wandel, der objektiv, also „irgendwie“ geschieht, seine Funktionstüchtigkeit verlieren kann. Weil das Bestehende doch immer auch das Gewohnte und damit das Langweilige ist. Es liegt nicht in der Natur des Menschen, sich für das Bestehende zu begeistern. Höchstens, sich an das Bestehende zu klammern, wenn die Veränderungen unheimlich werden und mit Veränderung eher Verschlechterung als Verbesserung verbunden wird. Wenn es diesen Konservativismus gibt, von dem ich Eingangs gesprochen habe, dann ist das so ein Konservativismus der Verunsicherung und Angst. 

Und umgekehrt können nur Ziele Menschen dazu anspornen, gemeinsam etwas anzupacken. Dazu braucht es schon, so glaube ich, einen historischen Horizont – keine „Utopie“ im Sinne der alten Ideen vom „Sozialismus“ oder einer ganz anderen Gesellschaft oder gar vom Paradies auf Erden. Aber so etwas wie ein Ziel einer Gesellschaft, die besser funktioniert und mehr Menschen gleichberechtigt am Wohlstand beteiligt und niemanden zurücklässt. Die allen erlaubt, ihre Talente zu entwickeln.

Einige von Ihnen kennen ja diese Studie „Gleichheit ist Glück“ der britischen Sozialwissenschaftler Richard Wilkinson und Kate Picket oder haben zumindest davon gehört. Sie wurde ja in praktisch allen großen Zeitungen gefeiert. Ich habe Richard Wilkinson vor ein paar Wochen im Wiener Kreisky-Forum zu Gast gehabt, und er hat mir erzählt, in den letzten 18 Monaten hat er 400 Mal die Ergebnisse seiner Studie präsentieren müssen. Also, jeden Abend ein Vortrag in einer anderen Stadt, in Europa, Amerika, Australien. Zum Glück haben sie das Buch zu zweit geschrieben, sonst würde das ja gar nicht gehen.

Also, dieses Buch ist immens eingeschlagen. Und wenn ein Buch so einschlägt, dann erklärt sich das natürlich nicht allein damit, dass es so toll ist. Sondern dass es einen Nerv trifft. Das zeigt dann, dass es eine Sehnsucht nach einer neuen „großen Idee“ gibt. Nach einem Ziel, nach einem Orientierungspunkt. Was zeigen uns die Forscher? Gesellschaften funktionieren dann in nahezu jeder Hinsicht besser, wenn wir mehr materielle Gleichheit unter ihren Mitgliedern realisieren. Und eine solche Gesellschaft ist nicht nur für die „Profiteure“ der Umverteilung von Vorteil, also für die heute Unterprivilegierten, sondern letztlich für beinahe alle.

Alle haben etwas davon, wenn die Institutionen besser funktionieren; alle haben etwas davon, wenn der soziale Stress sinkt, den krasse Ungleichheiten für alle bedeuten. Ungleiche Gesellschaften, kurzum, sind sogar für die Egoisten unbequem.

Aber seit dem Fiasko an den Finanzmärkten wissen wir noch etwas genauer, dass nicht nur die Gesellschaft als ganze besser funktioniert, wenn wir mehr an relativer Egalität herstellen – oder anders gesagt: dafür sorgen, dass sich die Ungleichheitsschere wieder ein bisschen schließt. Auch die Wirtschaft funktioniert dann besser. Ökonomien mit groben Ungleichheiten verspielen Wachstumspotential, sie nehmen im Kauf, dass ein abgehängtes Segment an Bürgern seine Talente nicht entwickeln kann und damit weniger Menschen etwas zum Wohlstand beitragen. Und grobe Ungleichheiten führen zudem zu ökonomischen Ungleichgewichten und damit zu Instabilität. Ungleiche Gesellschaften sind also auch wirtschaftlich ineffizient – und zwar gerade auch unter den Bedingungen kapitalistischer Marktwirtschaften.

Aber, liebe Freundinnen und Freunde, was heißt denn das? Wenn man das exakt durchdenkt? Das heißt, dass wir nicht nur aus moralischen Gerechtigkeitsgründen für mehr Gleichheit sind, und auch nicht aus Klientelismus, weil die Unterprivilegierten halt davon profitieren würden. Nein, es geht hier nicht allein um Moral und schon gar nicht um Klientelismus. Mehr Gleichheit ist für ein Gemeinwesen einfach besser, Ungleichheit ist für eine Volkswirtschaft ineffizient, da braucht man gar keine Moral und keine Interessensvertretung, um das zu verstehen.

Und wir wissen heute auch besser, was die Lebensqualität von Menschen – man könnte auch sagen: ihr Glück – steigert. Wachsende Ungleichheiten machen sogar dann unglücklich, wenn Gesellschaften als ganzes reicher werden. Umgekehrt erhöhen egalitäre Gesellschaften die Lebenszufriedenheit, und sie führen dazu, dass Institutionen besser funktionieren, dass das Band des Vertrauens von Bürgern zueinander stärker wird, und so weiter. Gute Jobs und die Möglichkeiten, ein gutes Leben zu führen, ein Mindestmaß an Sicherheit und ein hohes Maß an Optionen erhöht die Lebenszufriedenheit. Arbeitsmarktpartizipation erhöht die Lebenszufriedenheit. Arbeitslosigkeit oder schlechte Jobs machen unglücklich, auch dann, wenn durch sozialstaatliche Maßnahmen für das Minimum gesorgt ist.

Wenn man mit sechzig, dreiundsechzig oder fünfundsechzig in die Rente abgeschoben wird, macht das übrigens auch nicht glücklich, weil das bedeutet, dass man dann zwanzig Jahre oder mehr zum alten Eisen gehört, mit dem Gefühl, aussortiert zu sein, aber auch dem Mangel an kognitiven Herausforderungen, die damit verbunden sind. Ich komme ja aus eine Land, wo es als verteidigungswürdige sozialdemokratische Errungenschaft angesehen wird, wenn Menschen mit 59 in Frührente gehen können. Und das ist nicht nur eine große Belastung für die öffentlichen Haushalte, man tut den Menschen selbst nichts Gutes. Je höher die Arbeitsmarktpartizipation in allen Altersgruppen, in allen, umso höher die Lebenszufriedenheit der Bürger.

Mitte-Links-Parteien haben ihre Ideen zur Steuerpolitik, zur Wirtschaftspolitik, zu diesem und jenem Politikfeld. Oft sind die richtig, manchmal auch nicht. Aber es gelingt ganz selten, sie zu einer Geschichte zusammenzufügen. Dazu, dass Steuergesetzgebung vielleicht nicht nur dazu da ist, Geld in die Haushalte zu spülen oder Steuerungswirkung zu entfalten, sondern über die Frist von 15, 20 Jahren eine egalitärere Gesellschaft herzustellen.

Dass Bildungspolitik darauf abzielen muss, dass von den Kindern, die in ein, zwei Jahren eingeschult werden, alle einen ordentlichen Schulabschluss haben sollen, der nicht schlechter sein soll als das Abitur, sodass wir in siebzehn, achtzehn Jahren eine Gesellschaft haben, in der niemand in unverschuldeter Chancenarmut lebt. Dass Wirtschaftspolitik darauf abzielen muss, mehr und bessere Jobs zu schaffen, dass mehr Menschen länger eine ordentliche Stelle haben, in der sie das Gefühl haben, etwas Sinnvolles leisten zu können. Dass man ordentliche Mindestlöhne hat, damit die Lebensverhältnisse der Menschen am unteren Ende der sozialen Leiter nicht Lichtjahre von denen auf den oberen Sprossen entfernt sind. Dass die Familienpolitik, dass die Integrationspolitik sich an diesen ehrgeizigen Zielen orientieren muss. 

Klingt jetzt simpel? Und ist oft doch so schwierig. Wissen Sie, was mich am meisten wundert? Wenn man diese Ziele so formuliert, dann klingen die ziemlich moderat. Und doch sagen dann viele Leute, ja, vielleicht auch manche von Ihnen: Wie weltfremd ist das denn? Wie soll das denn gehen? Wie soll das denn funktionieren, mit der Politik, die so ist, wie sie ist? Oder auch, mit den Bürgern, die sind, wie sie sind – politikverdrossen, egoistisch, desinteressiert? Ja, aber erinnern wir uns zurück. Hundert Jahre zurück. Oder fünfzig Jahre zurück. Oder vierzig Jahre. Die Ziele, die man damals hatte, waren noch viel unrealistischer, aber viele davon sind heute verwirklicht. Aber wir, heutzutage, wir verzagen schon angesichts viel moderaterer Ziele. Das ist doch absurd.

Deshalb will ich zum Abschluss eines noch sagen: Ohne Optimismus, ohne die Zuversicht, dass das geht, eine Zuversicht, die in der Lage ist, andere anzustecken, wird das nicht gehen. Gesellschaften werden nie von Miesepetern verbessert, sie werden von Optimisten verbessert. Wenn sich Martin Luther King ans Lincoln-Memorial gestellt hätte und da gesagt hätte: Alles ist ein Alptraum, aus der Bürgerrechtsbewegung wäre wohl nicht recht etwas geworden. Er hat aber nicht gesagt: Ich habe einen Alptraum. Er hat aber gesagt: Ich habe einen Traum.

Wenn diejenigen, die sich als Progressive verstehen, es nicht schaffen, wieder einen optimistischen Geist zu verkörpern und die Gesellschaft auf einen optimistischen Grundton zu stimmen, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn die Menschen etwas werden, was man dann als „konservativ“ charakterisieren kann.

Dass die Mitte-Links-Parteien dann einen schweren Stand haben, braucht uns nicht überraschen. Man könnte sagen, das ist ihr Problem, wäre dieser Verlust an Zuversicht nicht Quelle vieler gesellschaftlicher Pathologien, Quelle von Zorn und Gereiztheit und von Verdruss und Kleingeistigkeit, von gesellschaftlicher Gruppenkonkurrenz, vom Verlust an Vertrauen der Bürger zueinander und zur Politik. Dann laufen die Leute im Extremfall den Egoisten nach oder den Populisten.

Glauben Sie mir, als Österreicher hab ich da eine Expertise. Aber ich weiß vielleicht auch deshalb verdammt gut: Nie laufen die Menschen den Populisten nach, weil die so gut sind. Sondern, deren Stärke ist immer nur das Unvermögen der progressiven Kräfte.

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