Ungleichheit schadet, Gleichheit nützt


pohl.jpg„50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern“ – so lautet der feine Titel eines Buches, das gerade federführend von der Frau- und Mannschaft der Berliner „tageszeitung“ herausgebracht wurde. Das Themenspektrum ist breit: In kurzen Kapiteln geht es um „Grundeinkommen“ und „Gemeinwohlökonomie“, „Genossenschaftsbanken“ und viele andere Dinge, für die man sich mit anderen gemeinsam stark machen kann. Und um viele kleinere Dinge, die man auch als Einzelner oder mit einer Handvoll Gleichgesinnter problemlos verbessern kann: Wie man etwa heute schon seine Stromversorgung „intelligent“ effizient machen kann (da gibt es tatsächlich schon die feine Initiative
www.atomausstieg-selber-machen.de). Es wird beschrieben, wie man durch kluge gesellschaftliche Reformen unser Schulsystem gerechter machen kann, aber auch, wie man mit Einzelinitiativen für mehr Gerechtigkeit sorgen kann: Etwa, indem man Lesepate oder -patin an einer Grundschule mit besonders vielen Kindern aus unterprivilegierten Verhältnissen wird. Mit einem Wort: Ein Buch voller visionärer, aber auch konkreter Projekte. Auch ich hatte die Freude, dazu einen Aufsatz beisteuern zu dürfen. Er folgt hier:  

Es gibt kein gesellschaftliches Problem, keine soziale Pathologie, die sich nicht mit dem Grad an materieller Ungleichheit in einer Gesellschaft erklären ließen. Wirtschaftliche Instabilität? Nicht unwesentlich eine Folge von mangelnder Binnennachfrage in wichtigen Volkswirtschaften und damit von mangelnder Kaufkraft unterprivilegierter Gesellschaftsschichten. Langzeitarbeitslosigkeit? Nicht zuletzt eine Folge von Chancenarmut jener, die schon mit miserablen Startbedingungen ins Leben gehen. Bildungskrise? Folge davon, dass viele Kinder schon als „geborene Verlierer“ eingeschult werden und sich kaum jemand darum bemüht, deren Nachteile auszugleichen – im Gegenteil, unsere Schulsysteme verstärken die soziale Selektion noch. Integrationsprobleme? Meist ein Resultat des Umstandes, dass Unterprivilegiertheit in Migrantenmilieus häufiger verbreitet ist und sich soziale Chancenlosigkeit in unterprivilegierten Stadtvierteln besonders ballt.

Aber im Umkehrschluss heißt das freilich auch: Es gibt kaum ein soziales Problem, das nicht entschärft oder vollends aus der Welt geschafft werden könnte, wenn man unsere Gesellschaften gleicher macht. Je egalitärer eine Gesellschaft, umso besser funktioniert sie – die Wirtschaft funktioniert besser, die Institutionen funktionieren besser, es lebt sich einfach besser in ihnen.

Nicht nur die neoliberalen Parolenschleuderer haben uns in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder glauben zu machen versucht, man müsse in Kauf nehmen, dass die Ungleichheitsschere aufginge. Schließlich sei eine brummende Wirtschaft nicht anders zu haben. Und von einer brummenden Wirtschaft hätten am Ende doch alle etwas – weil nur dann Wohlstand geschafften wird, der letztendlich auch zu den Ärmeren durchsickere. Aber es waren auch die progressiven politischen Kräfte und Milieus, die sich, manchmal nur klammheimlich, vom Ziel der Gleichheit verabschiedet hatten: Schließlich seien wir doch alle unterschiedlich, die Welt ist bunt und das ist ja gut so – ist „Gleichheit“ da nicht ein anachronistischer Wert?

Aber nichts von all dem ist wahr. Egalitärere Gesellschaften funktionieren auch wirtschaftlich besser, und das gilt auch für kapitalistische Marktökonomien. Denn Gerechtigkeit – oder in anderen Worten: die faire Beteiligung von möglichst vielen Bürgern am Wohlstand – ist kein langweiliges moralisches Gebot, das in einem Spannungsverhältnis zu den Geboten der Marktwirtschaft stünde. Gerechtigkeit ist wirtschaftlich nützlich. Weil eine egalitärere Wohlstandsverteilung die Nachfrage hebt, weil mehr Menschen dann ihre Talente entwickeln können und damit zur allgemeinen Wohlfahrt beitragen, und, umgekehrt, grobe Ungleichheiten in Kauf zu nehmen heißt, dass das Potential vieler Menschen ungenützt bleibt.

Aber darüber hinaus lässt es sich in egalitäreren Gesellschaften schicht und einfach auch besser leben. Und das wissen wir heute dank verschiedener sozial- und naturwissenschaftlichen Studien sehr gut. Sozusagen: Was man früher schon ahnte, kann man heute empirisch beweisen. Zunächst haben die „Happiness Studies“, die mit Langzeit-Daten in Hinblick auf die allgemeine Lebenszufriedenheit arbeiten, herausgefunden, dass die Menschen heute keineswegs glücklicher sind als vor fünfzig Jahren und dass die wachsende Lebenszufriedenheit in entwickelten Ökonomien kaum vom Wohlstandszuwachs abhängt, aber sehr vom Grad der Egalität eines Gemeinwesens. Soll heißen: Einkommenszuwächse können durchaus sogar unglücklich machen, wenn sie mit wachsender Ungleichheit einher gehen.

Zuletzt ist die Studie „Gleichheit ist Glück – Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ der britischen Sozialwissenschaftler Richard Wilkinson und Kate Pickett geradezu eingeschlagen. An Hand von über 200 Datensätzen aus mehreren dutzend Nationen haben sie so nahezu jeden Lebensqualitätsparameter verglichen und ins Verhältnis zum Grad der materiellen Ungleichheit gesetzt. Das Ergebnis ist eindeutig. Welchen Parameter man unter die Lupe nimmt, sei es Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, den Gesundheitszustand der Bürger, die Zahl der Teenagerschwangerschaften, Alkoholismus, das allgemeine Bildungsniveau oder sanfte Faktoren wie die subjektive Lebenszufriedenheit oder das Niveau wechselseitigen Vertrauens der Bürger zueinander – praktisch in jeder Hinsicht schneiden egalitäre Gesellschaften besser ab als weniger egalitäre. Und vielleicht noch wichtiger: Nicht nur die Unterprivilegierten auf den unteren Sprossen der sozialen Leiter leben in egalitären Gesellschaften besser, auch die auf den oberen Sprossen leben in egalitären Gesellschaften besser als ihre „Kollegen“ in ungleicheren Gesellschaften. Aus einer Reihe von Gründen, die wohl damit zusammenhängen, dass der soziale Stress in antiegalitären Gesellschaften für alle negative Folgen hat und dass in diesen wichtige gesellschaftliche Institutionen schlechter funktionieren, was wiederum für alle nachteilige Konsequenzen hat.

Ungleichheit lässt Gesellschaften von innen verrotten. Materielle Ungleichheit übersetzt sich in Statusungleichheit – wer Unten ist, ist täglichen Demütigungen und Respektlosigkeiten ausgesetzt. Wer Augen hat zu sehen, der weiß, was das mit Menschen anrichtet.

Wie kommt man nun zu egalitäreren Gesellschaften? Dafür braucht es gute Jobs für möglichst alle – und damit eine Wirtschaftspolitik, die das ermöglicht. Die Menschen brauchen ordentliche Löhne – dies begünstigt man, indem man etwa politisch Gewerkschaften stärkt, statt sie zu delegitimieren. Gesellschaftliche Institutionen, Kindergärten, Schulen, das Bildungssystem, das Gesundheitssystem müssen Ungleichheiten korrigieren, statt sie zu perpetuieren. Man braucht Vermögenssteuern, Erbschaftssteuern, statt hoher Abgaben auf Arbeit – weil nur so ein bereits erreichter Grad an materieller Ungleichheit wieder korrigiert werden kann. Und es braucht einen „Geist der Egalität“, zu dem sich all diese und viele andere Maßnahmen summieren – im Laufe der Zeit, über ein, zwei Generationen hinweg.

Mit einem Wort, es bräuchte einen massiven politischen Kurswechsel. Als Einzelner oder Einzelne kann man durch „individuelles Verhalten“ hier nicht viel verändern – abgesehen davon natürlich, dass man sich für einen solchen politischen Kurswechsel stark machen kann. In NGOs wie attac, oder auch innerhalb politischer Parteien. Aber es stimmt auch nicht ganz. Schließlich kann man ja auch durch individuelles Verhalten eine Kultur der Ungleichheit auch noch unterstützen, selbst wenn einem das gar nicht so bewusst ist – etwa, wenn man seine Kinder nicht ins „nivellierte“ Normalschulsystem steckt, sondern für sie irgendwelche Etepetete-Privatschulen sucht; oder indem man „in seinen Kreisen bleibt“ und anderen reserviert begegnet; oder indem man Statusunterlegene wie Dienstboten behandelt. Seien wir uns ehrlich: All das kommt auch in linken Milieus vor und fällt manchen gar nicht richtig auf. Ja, dass es nicht auffällt sondern manchen beinahe als „normal“ erscheint, ist Resultat einer Kultur der Ungleichheit. Insofern kann man umgekehrt auch im Alltag zu einer Kultur der Gleichheit beitragen.

Zum Weiterlesen:

Richard Wilkinson / Kate Pickett: Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Tolkemitt Verlag bei Zweitausendeins.

Homepage des Equality Trusts http://www.equalitytrust.org.uk/

 

Das Buch: Mit Beiträgen von Ute Scheub, Ines Pohl, Jürgen Gottschlich, Tom Schimmeck, Mathias Greffrath, Daniel Cohn-Bendit uva.
 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.