Was haben wir aus unserer Welt gemacht?

Im Grunde müssen wir die Energieversorgung unserer Gesellschaften komplett neu planen und aufbauen. Solange das nicht geschieht, können wir höchstens zwischen verschiedenen Formen der Katastrophe wählen. taz, 16. März 2011

Sieben Plagen mussten die Ägypter über sich ergehen lassen – seit der biblischen Exodusgeschichte ist das das paradigmatische Höchstmaß an Verheerungen. Was die Japaner an realen Heimsuchungen in den vergangenen Tagen zu ertragen haben, kann es aber bald mit den legendenhaften Verwüstungen aufnehmen: Erdbeben, Tsunami, Atomkatastrophe – und jetzt ist auch noch der Vulkan Shinmoedake im Süden ausgebrochen. Ein bisschen viel für ein Wochenende.

Noch kämpfen die Ingeneure in den Atomanlagen von Fukushima gegen den absoluten Supergau. Derweil wird vom „Spiegel“ schon das „Ende das Atomzeitalters“ ausgerufen. Jetzt sind alle wieder ganz fest für den Ausstieg aus der Atomenergie.

Aber natürlich werden ihre Fürsprecher, wenn die Horrorbilder von den Titelseiten verschwunden sind, wieder ein paar nüchterne Erwägungen zu bedenken geben.

Dass Risiken vorhanden bleiben, aber Katastrophen äußerst selten sind. Sie werden es nicht so offen sagen, aber sie werden auch folgende Abwägungen in den Raum stellen: Ja, wenn es tatsächlich zu einer Megakatastrophe kommt, dann sterben Menschen. Zehntausende. Wieviele Menschen sind durch AKW-Katastrophen ums Leben gekommen in den vergangenen 50 Jahren? Wenn man alle potentiellen Folgetoten von Tschernobyl dazuzählt, in etwa 100.000.

Hunderttausend Tote – das ist viel. Aber natürlich sterben auch Menschen im Kohlebergbau, sie sterben an den Gesundheitsrisiken, die wir mit der Verbrennung von Kohle und Öl auf uns nehmen. Würde man alle Opfer zusammenzählen, sähe die Opferbilanz vieler anderer Arten von Energiegewinnung nicht sehr viel besser aus – eher schlechter.

Atomkraftgegner würden nun sicher einwenden, dass die Nukleartechnologie nicht nur Todesopfer im Falle von Katastrophen oder Störfällen fordert, sondern ganze Landstriche für tausende Jahre verstrahlen kann – und selbst im „Normalbetrieb“ radioaktiven Abfall produziert, dessen Endlagerung nicht geklärt ist. Dass sie also erhebliche Risiken für hunderte Generationen nach uns produziert.

Aber das, so könnten nun die Atomkraftbefürworter ins Treffen führen, machen Öl und Kohle auch. Ihr Beitrag zur globalen Erwärmung lässt die Polkappen schmelzen, droht Meeresströmungen umzuleiten. Im Extremfall, den wir kaum abschätzen können, werden durch sie ganze Kontinente unwirtlich, möglicherweise werden die Lebensbedingungen für Milliarden Menschen erheblich beeinträchtigt.

Sie könnten auch hinzufügen: Unsere Abhängigkeit von Öl stärkt Despoten in aller Welt. Diktatoren wie Muamar Gaddafi können sich waffenstrotzende Söldnerheere leisten, weil wir von ihren Rohstoffen abhängig sind. Jeder Pro-Demokratie-Demonstrant, der in Tripolis erschossen wird, ist in gewisser Weise ein Opfer unseres Energiehungers.

Kurzum: Wir werden also auch in den nächsten Jahren nicht eine entschiedene Flucht aus der Atomenergie erleben, sondern wir werden weiter mit den bekannten Abwägungsargumenten konfrontiert sein. Wir werden hören, dass wir, wenn wir unseren Lebensstandard halten wollen, zwischen Risiken wählen müssen. Und das ist schon eine Formulierung, die vernebelt. Denn das Wort „Risiko“ unterstellt ja, dass wir hier negative Folgen akzeptieren müssen, die eintreten könnten, wenn es schlecht läuft, aber nicht so eintreten müssen. Aber das ist natürlich nur zur Hälfte wahr. Denn die Katastrophen finden statt. Mal schleichend, mal sterben viele Menschen, manchmal wenige. Aber wir nehmen nicht das Risiko von Todesopfern in Kauf, wir nehmen Todesopfer in Kauf. Wir nehmen nicht das Risiko von Verheerungen in Kauf, wir nehmen Verheerungen in Kauf. Das ist ein kleiner, aber entscheidender Unterschied.

Und an dieser Stelle fragt sich, ob man nicht aus der Logik der Abwägungen ausbrechen und einmal auch simpel ausrufen muss: Was haben wir aus unserer Welt gemacht? Genauer: Was haben wir aus uns gemacht – wenn wir uns in eine Situation manövriert haben, in der wir es zwar als ein wenig beklemmend, nichtsdestoweniger aber selbstverständlich ansehen, dass wir nur mehr zwischen verschiedenen Übeln und Verheerungen wählen können?

Sind wir nicht mit dieser Form, über die Dinge zu reden, an einen Punkt gelangt, an dem man genauso gut dafür plädieren kann, Menschen zu erwürgen, weil es noch schmerzhafter ist, sie zu verbrennen?

Klar, wir wissen alle, wir können nicht von heute auf morgen aus Öl, Gas, Kohle und Kernenergie aussteigen. Zwar gibt es Berechnungen des Umweltministeriums, wonach in Deutschland bereits im Jahr 2020 78,3 Prozent des Strombedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden könnten – durch Windkraft, Wasserkraft, Solarenergie etc. Aber, erstens, deckt das, im positivsten Fall, nur die Energie, die aus der Steckdose kommt. Mit der Energie für unsere Mobilität ist das schon schwieriger. Zweitens sind das deutsche Berechnungen, für die USA, China, Brasilien, Russland sieht die Sache schon erheblich anders aus. Und drittens wird auch das nicht von selbst geschehen. Es braucht dafür einen Plan und entschiedenes Handeln. Energie gewissermaßen, aber diesmal nicht in Form technologischer Energieträger, sondern in Form von gesellschaftlicher Energie, energetische Akteure und, ja, nicht zuletzt Politiker, die dieses Ziel mit Kraft angehen.

Dafür braucht es: Effiziente Stromnetze, ganz neue Leitungen, Windparks mit vielen hunderttausend Windrädern, Wasserkraftwerke, Speicherkraftwerke, intelligente Tools zum Stromsparen in jedem Haushalt, Solarkraftwerke von vielen hunderten Quadratkilometern, womöglich in der Wüste, und damit ein integriertes Stromnetz, das von der Sahara bis nahe des Polarkreises reicht – denn Sonnenenergie gewinnt man am besten in Afrika, Speicherkraftwerke lassen sich dagegen am besten an der norwegischen Steilküste errichten. All das wird nicht „der Markt“ erledigen, weder geniale Tüflter in irgendwelchen Start-Ups, noch die großen Energiemultis. Dafür braucht es den konzentrierten Willen ganzer Gesellschaften.

Solange wir das aber nicht angehen, können wir höchsten wählen, welche Katastrophen wir vorziehen – solche wie in Fukushima. Oder eben andere.

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