Die Biden-Revolution

Mehr Gerechtigkeit kriegt man doch sowieso nicht hin? Der US-Präsident zeigt, wie es gehen kann.

Große Trendwenden in den USA haben immer Auswirkungen auf Europa gehabt. Die radikale Wirtschaftspolitik von Präsident Franklin Roosevelt, die Millionen Jobs für Arbeitslose schaffte und das Sozialsystem stärkte, führte einst zu höheren Löhnen und mehr Sicherheit für die normalen Leute. Das setzte sich nach 1945 auch bei uns in Europa durch. Die Kennedy-Brüder wiederum hatten die Strahlkraft der Modernisierung, die auf die ganze Welt wirkte. Mit Ronald Reagan – im Bündnis mit seiner britischen Verbündeten Margaret Thatcher – ging es später in die schlechtere Richtung: Weniger Sozialstaat, weniger Gerechtigkeit, dafür freie Fahrt für Unternehmer und Reiche. Das Ergebnis wirkt bis heute. Für die besonders hart ausgebeuteten Beschäftigten gibt es Hungerlöhne und Arbeitsplatzunsicherheit, die Mittelschicht muss das gesamte Steuersystem schultern, während die Reichen ein Freispiel haben. Das oberste 1 Prozent der Superreichen hat bei uns jetzt schon 40 Prozent aller Vermögen.

Aber jetzt erleben wir eine neue Revolution, und auch sie geht von den USA aus: Die Biden-Revolution. Was der neue Präsident Joe Biden in den letzten 100 Tagen hingelegt hat, ist schon atemberaubend. Und auch wenn es bei uns erst langsam sickert: das ist die größte Pro-Kleine-Leute-Revolution, die wir seit 50 Jahren erleben können.

Überraschend ist das auch deshalb, weil Biden noch unlängst als „Sleepy Joe“ verspottet wurde. Vergangene Woche hat Biden dann seine erste „Lage der Nation“-Rede gehalten, in der er den Geist der „Bidenomics“ erklärte.

Ein 1,9 Billionen Konjunkturprogramm wird aufgelegt, es wird um höhere Mindestlöhne gekämpft, es werden weitere Billionen in Zukunftstechnologien, Klima und die Industrie von Morgen Geld gepumpt, auch damit das deindustrialisierte Herzland von Amerika wieder feste Jobs für normale Industriearbeiter schafft. „Die Mittelklasse erschuf Amerika. Und die Gewerkschaften erschufen die Mittelklasse“, sagte Biden. Sein Ziel: Ein Wachstum, das alle Boote hebt, nicht nur die Luxusjachten. Bildung, Chancen und Gerechtigkeit für alle, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind. Das ist das Ziel des Mega-Plans.

Biden wirkt so gar nicht wie ein Revolutionär, sondern eher wie der warmherzige Opa, der alle lieb hat. Aber das ist seine große Chance.

Das war das eigentlich Spektakuläre an seiner Rede: diese Sprache, die alle mitnimmt. Vergessen sind all die neunmalklugen Kommentatoren, die etwa meinten, die amerikanischen Linken wären hoffnungslos zerfallen in die, die für die „weiße Arbeiterklasse“ kämpfen, und die, die für andere Leute, die es noch schwerer haben, eintreten, die gegen Rassismus kämpfen, für Gleichberechtigung der Schwarzen, die für Feminismus sind, die Homosexuellen-Gleichstellung. Biden zeigt, dass das kein Widerspruch ist: Man muss Leute, denen Ungerechtigkeit widerfährt, nicht gegeneinander ausspielen – am besten ist es, wenn man sie zusammen schweißt. Auch bei uns ist es ja sehr beliebt, den einheimischen Installateur, die Pflegerin aus Jugoslawien oder den türkischen Paketfahrer und die antirassistische Studentin gegeneinander auszuspielen. Dabei haben sie alle drei das gleiche Problem: Korrupte Eliten, Großsspender und die „Freunderln“ gewisser „Familien“, die sich alles krallen und für den Rest nichts übrig lassen, und die Fortschritt und allgemeinem Glück im Weg stehen.

Ich weiß ja nicht, wie Sie das sehen, aber ich denke, wir könnten hier auch eine Biden-Revolution vertragen.

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