Ja, Panik

2010 – das „Anno Domino“ des globalen Finanzsystems? Falter, 12. Mai 2010

 

Wer dieser Tage den Computer hochfährt und die Nachrichten scannt oder die Zeitung aufschlägt und die Schlagzeilen überfliegt, den kann die nackte Angst packen. Und das ist nicht nur ein Rezipientenproblem – schließlich handeln die Nachrichten ja von erschrockenen Akteuren: Anlegern, die aus spanischen oder portugiesischen Staatsanleihen fliehen, griechischen Demonstranten in Zukunftsangst, EU-Finanzministern, die mit aschfahlen Gesichtern von einem „gefährlichsten Moment“ murmeln und Wirtschaftsnobelpreisträgern wie Paul Krugman, der immerhin noch seinen Sinn für Sarkasmus bewahrt, wenn er das „Anno Domini 2010″ schon mal das „Anno Domino“ nennt – das Jahr, in dem ein Stein den anderen umwerfen könnte wie bei einer Dominoschlange. „Wenn wir ehrlich sind, wankt das gesamte kapitalistische System“, urteilen die Kollegen vom „Herdentrieb“, dem Wirtschaftsblog der Hamburger „Zeit“.

 

Ja, es kann so ziemlich alles innerhalb weniger Tage zusammenbrechen. Wenn die Herde der Anleger aus griechischen, portugiesischen, spanischen und italienischen Staatanleihen flieht, dann können diese Länder ihre Schulden nicht mehr bedienen und gehen pleite. Dann haben die Banken, die Anleihen dieser Länder halten, große Löcher in ihren Büchern und gehen auch bankrott. Die großen Volkswirtschaften haben dann nicht mehr die finanzielle Potenz, sie zu retten. Und dann bricht das gesamte Welt-Finanzsystem zusammen. So einfach würde es laufen, das Horrorszenario.

 

Aber selbst wenn es nicht so schlimm kommt, ist ein Ausweg aus der Malaise nicht recht erkennbar: Weil im Grunde alle überschuldet sind – private Haushalte, die Staaten, und die Banken. Private und Unternehmen haben in den vergangenen zwei Jahren ihre Schulden zu reduzieren versucht, dafür sind die der Staaten explodiert. Wenn jetzt alle drei gleichzeitig versuchen, die Schulden zurückzufahren – dann ist eine tiefe Rezession die Folge. Mit Insolvenzen, Kreditausfällen und, Bingo, erst recht der Gefahr von Staatspleiten oder Bankzusammenbrüchen. Also: Die Schulden bringen uns an den Rand des Abgrunds, harte Sparmaßnahmen stürzen uns hinab. Und heute kann schon der Kollaps eines Akteurs alle anderen mit umwerfen.

 

Interesting Times sind das allemal, in denen man Montag morgens, knapp nach Börsenöffnung, mal schnell am Handy nachschaut, ob die Welt schon untergegangen ist.

Raus aus der Erdöl-Steinzeit!


Die Katastrophe im Golf von Mexiko könnte sich zur größten Ölpest aller Zeiten auswachsen. Aber sie ist nicht bloß Folge eines Unfalls – der Unfall selbst ist logische Konsequenz daraus, dass man sich obsessiv an eine überholte Technologie klammert. Der Energiegewinnung aus endlichen Ressourcen, deren Verbrennung das Klima und die Umwelt verpestet. Dabei könnten wir ohne große Probleme den Strombedarf der großen Industriestaaten durch Windkraft, Solarenergie, Wasserkraft decken. Wir könnten energieffiziente, intelligente Autos bauen. Und wir könnten sie mit Strom und Biodiesel aus städtischem Abfall oder Rasenschnitt antreiben. All dies wäre möglich. Aber dafür bräuchte es staatliche Investitionsprogramme. Und man müsste den Widerstand der großen Ölfirmen brechen, die natürlich kein Interesse daran haben, dass die Superprofite aus ihrem Kerngeschäft austrocknen. Die Konsequenz aus der Ölpest kann nur sein: Raus aus dem Öl!

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Hurra, wir gehen bankrott!


Was passiert eigentlich, wenn der Staat pleite geht?
Diesmal gibt es eine Lach- und eine Sachgeschichte. Die Lachgeschichte der Woche ist unzweifelhaft, dass der HC Strache total fertig und betroffen war, wegen der „Hexenjagd“ auf die arme Barbara Rosenkranz. Na sieh mal an, der Radaubruder als Sensibelchen! Wer hätte das gedacht! Die weniger lustige Sachgeschichte: Griechenland schlittert in die (Beinahe-)Pleite. Aber was passiert eigentlich, wenn ein Staat pleite geht? Wer verliert dann Geld? Gibt es dann wie bei normalen Firmen eine Insolvenzmasse, aus der man Vermögenswerte kaufen kann? Kriegt man demnächst vielleicht sogar billig eine griechische Insel? Und wie machen die Vermögenden das genau, dass sie an der Rettung ihrer Vermögenswerte durch die Steuerzahler auch noch ordentlich verdienen?

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Eine neue Sprache für die Linke?

Ein ganz toller Event steigt kommende Woche in Wien: George Lakoff, der progressive amerikanische Linguist, spricht auf der Konferenz der EAPC, der „European Association of Political Consultants“ im SAS Radison Hotel – also gewissermaßen der Konferenz der europäischen Politikberater. Lakoff wirft in seinen Büchern seit vielen Jahren die Frage auf, welche Sprache die demokratische Linke anschlagen muss, um mit den Emotionen der Bürger zu „connecten“. Und er beschreibt auch immer wieder sehr überzeugend, auf welche Weise das den Konservativen und den populistischen Rechten gelingt. Ich habe in einer uralten Folge von FS-Misik, die ich hier noch einmal verlinke, die Grundthesen Lakoffs zusammengefasst.

 

 

Bücher von Lakoff sind auf Deutsch leider nur ein paar zu haben. Empfehlenswert ist das Buch „Auf leisen Sohlen ins Gehirn“:

 

 

Das Programm der Tagung, die am Freitag beginnt, findet sich hier. Allerdings ist die Tagungsgebühr von 750.- Euro für Fachkonferenzen nicht unüblich, aber für Normalpublikum eher prohibitiv. Für Bundesgeschäftsführer, Wahlwerber, Bundeskanzler und sonstiges Personal progressiver Parteien dürfte, soviel Werbung sei erlaubt, das Geld dennoch sinnvoll investiert sein. Ich werde hier Ende kommender, spätestens Anfang übernächster Woche von Lakoffs Auftritt und der Tagung berichten.

Ein Lob dem 1. Mai

From the Archives. Aus Anlass von 120 Jahre 1. Mai hier ein Essay, den ich 2004 für die taz geschrieben habe:

Ein Lob dem 1. Mai. Mag der „Feiertag des Proletariats“ auch zu einem Volksfest geworden sein, so stellt er doch einen Eingriff in den öffentlichen Ablauf des Stadtlebens dar. Er irritierte Routinen und lässt die Ahnung entstehen, dass die Dinge nicht unbedingt so ablaufen müssen, wie sie immer ablaufen.

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Karl Heinz Grasser: In seiner Branche ist er Weltspitze!


Aber wie funktioniert diese Schattenwirtschaftsbranche wirklich?
FS Misik Folge 126
Man verliert ja langsam schon den Überblick, in welchen Causen man jetzt unbedingt die Unschuld von Karl-Heinz Grasser vermuten muss. Das allgemeine Urteil lautet: die Freunderlwirtschaft des KHG, das ist halt die typisch österreichische, provinzielle Art, einen Schnitt zu machen. Aber eine neue Studie aus den USA zeigt, dass die Korruption in den vergangenen Jahrzehnten global ihr Gesicht geändert hat. Die Autorin Janine R. Wedel stellt hier an Hand unzähliger Exempel folgende These auf: Eine ganze neue Klasse an Consultern, Beratern, PR-Leuten, Experten ist entstanden, die in einem Graubereich aus Staat und Wirtschaft agieren. Die haben privilegierten Zugang zu Informationen, gehören aber weder fix einem bestimmten Wirtschaftsunternehmen an noch fix der Regierung. Die sind überall nur befristet an Bord und entwickeln auch keine Loyalität zu einzelnen Institutionen. Die arbeiten nur auf eigene Rechnung, Loyalität haben sie nur mehr zu ihren Machtnetzwerken. Die propagieren den „schlanken Staat“ und „mehr Markt“, aber denen geht es letztlich weder um Ideologie oder eine Wirtschaftsdoktrin, sondern nur mehr darum, den Staat und die Institutionen für die sie arbeiten, auszuplündern. Na, da fällt es einem wie Schuppen von den Augen, nicht wahr?

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www.misik.at ruft auf: Am Sonntag Heinz Fischer wählen!

„Ich meine, dass man am kommenden Sonntag Heinz Fischer wählen muss. Das ist eine Wahlempfehlung, nichts Unübliches für seriöse Medien, aber nach meiner Meinung in diesem speziellen Fall sogar eine Notwendigkeit: Keine Wahlempfehlung abzugeben wäre hier ein Versäumnis“ – so schreibt Christian Rainer in seinem dieswöchigen Leitartikel im „profil“.

 

Üblich oder unüblich – egal. Auch ich möchte hier eine Wahlempfehlung abgeben. Und Ihnen oder Euch hier einfach sagen: Geh zur Wahl am Sonntag. Und wähle Heinz Fischer.

 

Dafür sprechen zunächst die unsäglichen Alternativen: Angesichts der eidestattlichen Rosi und des christlichen Fundamentalisten wäre es einfach deppert, wenn Heinz Fischer nicht annähend achtzig Prozent der Stimmen erhalten würde. Aber auch der Kandidat selbst rechtfertigt diese Wahlempfehlung: Fischer ist ein grader Michel, der das Herz am rechten Fleck hat. Man mag ihm vorwerfen, dass er charakterlich ein bisschen sehr zu Hinsichtl und Rücksichtl neigt und nicht der größte Meister im Klartext-Reden ist. Ich finde das in diesem Amt aber nicht einmal so problematisch. Eher würde ich sagen: Fischers Charaktereigenschaften passen ganz gut zur Jobdescription des Bundespräsidenten.

 

Ich wähl‘ ihn gerne. Das Gefühl hab ich in den letzten Jahren eher selten bei einer Stimmabgabe gehabt.

 

Natürlich wird die Wahlbeteiligung diesmal niedrig sein, nicht nur wegen der „Weiß-Wählen“-Kampagne der ÖVP. Und das ist auch nicht so tragisch, das braucht man auch nicht unnötig überbewerten. Natürlich werden viele Leute eine Wahl schwänzen, bei der vorher schon klar ist, wer sie gewonnen haben wird.

 

Aber gerade deshalb sag ich: Geh trotzdem hin. Wenn Du am Sonntag Abend die Nachrichten durchscannst und siehst, dass Frau Rosenkranz 20 Prozent der Stimmen hat, willst Du bestimmt nicht dran mitschuld gewesen sein.

 

Also: Wählen gehen. Der Aufwand hält sich ja in Grenzen. Gewiss,  der Nutzen auch, aber er ist auch nicht Null. So einfach ist das. That simple.

Wie wär’s mit einem Spitzensteuersatz von 80 Prozent?


FS Misik Folge 125
Noch eine Woche bis zur Präsidentschaftwahl: Und das Spektakulärste an ihr ist, wie famos sich die ÖVP in eine strategische Sackgasse manövriert hat. Wie ein Schachspieler, der nicht über einen Zug hinaus denkt. Hab ich nicht dauernd die Klagen der SPÖ im Ohr, die ÖVP wäre so oberschlau und taktisch supergeschickt? Nun, davon war in den letzten Wochen wenig zu sehen. Und, Apropos SPÖ: Was ist denn mit dem Faymann los? Der ist jetzt plötzlich auch für eine ganze Palette an Vermögenssteuern. Hat er so etwas nicht vor ein paar Wochen noch abgelehnt? Die Parteifunktionäre jedenfalls freuen sich: Endlich ein Beschluss, der den Funktionären gefällt! Ab jetzt geht’s steil bergauf, freuen sie sich! Nun, ich wär da nicht so sicher. Bis zur Glaubwürdigkeit, da sind es noch ein paar Meter.

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