„Eine illiberale Demokratie gibt es nicht…“

Im Mai hatte ich die große Ehre, bei der Befreiungsfeier des Mauthausenkomitees Gallneukirchen die Festrede halten zu dürfen. Hier jetzt etwas verspätet der Text zum Nachlesen:

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
verehrte Antifaschisten!

Ich sage das mit einer gewissen Absicht: „Antifaschisten“.

Denn heute wird gelegentlich so getan, als wäre der „Antifaschismus“ eine Meinung unter anderen, oder sogar so etwas wie eine radikale Werthaltung. Aber der Antifaschismus ist in unserer Republik keine bloße Meinung, die die einen haben, die anderen ablehnen können. Der Antifaschismus ist der Gründungskonsens unserer Republik, er ist der Gründungskonsens des demokratischen Nachkriegsösterreichs, er ist die Staatsräson dieses Landes.

Der Antifaschismus ist keine „Meinung“ unter mehreren möglichen, sondern der Gründungskonsens dieser Republik.

Jede Person, die kein Antifaschist ist, ist in diesem Sinne ein Staatsfeind.

Die jährlichen Befreiungsfeiern, an diesem Mahnmal wie an anderen Orten, sie haben den Sinn, uns dessen zu vergegenwärtigen. „Eine illiberale Demokratie gibt es nicht…“ weiterlesen

Die „Fleißigen“ und die „Faulen“

Der Soziologe Linus Westheuser über gefährliche Schlagseiten des Arbeitsbegriffes und von Sozialstaatsdebatten.

Arbeit & Wirtschaft, April 2024

Sie kommen gerade aus dem Urlaub zurück. Hatten Sie ein schlechtes Gewissen, nicht fleißig genug gewesen zu sein?

Westheuser: Ach Gott nein, das wäre ja eine traurige Haltung zum Leben (lacht). Außerdem ist der Urlaub ja eine wohlverdienter Teil des Arbeitens. Selbst für jemanden wie mich, der keine Balken schleppt, sondern den Großteil des Tages in den Computer schaut.

Dass man „fleißig“ sein und Leistung erbringen muss, das ist ein beherrschender Geist in unserer Gesellschaft, prägt unser Selbstverständnis und setzt sich sogar in unser Über-Ich fest.

Westheuser: Ja, es ist durchaus beängstigend, wie tief der Gedanke eingesickert ist, wir müssten uns unsere Wertigkeit als Mensch durch Leistung verdienen. Das ist Teil dessen, was Max Weber das moderne „Berufsmenschentum“ nennt. Leistung wird dabei oft auf Erfolg oder passive Pflichterfüllung reduziert oder so gewendet, dass man auf die herabblickt, die vermeintlich weniger leisten als man selbst. Zudem wird als Leistung oft nur Lohnarbeit verstanden, nicht aber unbezahlte Sorgearbeit, die Pflege von Beziehungen, politische Arbeit oder lokales Engagement. Das ist eine Verengung gesellschaftlicher Anerkennungsquellen. Die „Fleißigen“ und die „Faulen“ weiterlesen

Durch die Berge ins Exil

Uwe Wittstock erzählt in einer packenden Episodendokumentation, wie ein verwegener US-Beamter hunderte Künstler vor den Nazis rettete.

Falter, April 2024

Für die „Süddeutsche“ ist es die „große Erzählung der deutschen Exilgeschichte“, für Florian Illies in der „Zeit“ ist es schon das wichtigste Buch der Saison: Uwe Wittstocks atemberaubende Geschichtserzählung „Marseille 1940 – Die große Flucht der Literatur“.

Auf atemberaubende Weise rekonstruiert der Autor und Literaturkritiker Wittstock die verzweifelten Rettungsaktionen der europäischen Dichter, Künstler, Avantgardisten aus Frankreich, nachdem die Nazi-Armeen die Republik gleichsam überrannt hatten und politische Dissidenten, jüdischen Geflüchteten und antifaschistischen Künstler in einer lebensbedrohenden Falle saßen. Es ist das Who-is-Who der europäischen Kunstwelt, das sich panisch in den Südwesten Frankreichs geflüchtet hat, in den Internierungslagern des Vichy-Regimes eingesperrt war – und dessen Überleben davon abhing, es innerhalb kurzer Zeit über Spanien und Portugal nach Übersee zu schaffen. Durch die Berge ins Exil weiterlesen

Erinnerung an eine Irrsinnigkeit

Sollen die Corona-Maßnahmen „aufgearbeitet“ werden? Die erschreckende Befürchtung ist, dass vernünftige Diskurse gar nicht mehr möglich sind.

Das Schlagloch, meine Kolumne aus der taz

Eines der eigenartigsten Phänomene der Geschichte ist, wie wenig die „spanische Grippe“ 1918-1920 Eingang in Erinnerungsliteratur, Geschichtsschreibung, oder Populärkultur gefunden hat. Immerhin war sie das größte Desaster des 20. Jahrhunderts mit höchstwahrscheinlich rund 50 Millionen Opfern. Aber schon in der zeitgenössischen Publizistik war sie nur eine Randnotiz, kam gar nicht vor zwischen den Leitartikeln zu Revolution, Sturz von Kaiserhäusern, Kriegsende, Bolschewismus oder dem Ringen zwischen Demokratie und Reaktion. Hinterher war das Massensterben schnell verdrängt. Dass dieses Desaster so frappierend wenig Eingang in das kollektive Gedächtnis fand, führen kluge Köpfe daher auch auf folgende Tatsache zurück: Es gibt so wenige Episoden, die erlauben, sich darüber Heldengeschichten zu erzählen. Im Gegenteil, die Menschen mochten nicht, was die Epidemie aus ihnen machte: Egoisten nämlich, die nur überleben wollen. Seuchen sind keine Schule der Solidarität.

Man kann das heute etwas besser nachvollziehen. Jens Spahn, während der Covid-Jahre Gesundheitsminister, ist ja nicht für besonders intellektuelle Heldentaten berühmt, aber er hat am Höhepunkt der Pandemie einen tiefsinnigen Satz gesagt: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Erinnerung an eine Irrsinnigkeit weiterlesen

Die Stimme der Vernunft ist leise…

…aber sie ruht nicht. Warum wir dem Geschrei die Macht des Wortes entgegensetzen sollten.

Vergangene Woche fand die Leipziger Buchmesse statt und zur Eröffnung sprachen neben dem wunderbaren deutsch-israelischen Intellektuellen Omri Boehm auch Eva Illouz und Bundeskanzler Olaf Scholz. Während Scholz sprach, wurde er von lautstarken Palästina-Solidaritäts-Aktivisten unterbrochen, die die von ihnen attestierte Komplizenschaft mit dem „Genozid“ in Gaza anprangerten. Sie haben sich angewöhnt, durch lautstarke Schreierei Debatten gar nicht erst stattfinden zu lassen.

Scholz sagte dann irgendwann: „Uns alle führt hier in Leipzig die Macht des Wortes zusammen – nicht die des Geschreis.“ Es gab dafür sehr viel Applaus. Die Stimme der Vernunft ist leise… weiterlesen

Der Sozialbetrug der Rechten

FPÖ und Co. sehen sich als „Anwalt der kleinen Leute“ – und machen Politik für ihre reichen Gönner.

Rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien stilisieren sich zum „Anwalt der kleinen Leute“, wenn sie aber dann an die Regierung kommen, dann erledigen sie das Geschäft ihrer reichen Gönner. Die FPÖ hat sich sogar zur „sozialen Heimatpartei“ ernannt, dann aber in den verschiedenen Regierungsbeteiligungen radikale Pensionskürzungen verabschieden wollen (der Reform wurden seinerzeit durch Gewerkschaftskämpfe die Zähne gezogen), sie hat Ambulanzgebühren eingeführt, sie hat in der zweiten Regierungsbeteiligung den 12-Stunden-Tag abgesegnet, mittels Körperschaftssteuersenkung viele hundert Millionen jährlich an die großen Konzerne verschenkt und im Regierungsprogramm quasi die Einführung von Hartz-IV, also die Abschaffung der Notstandshilfe paktiert – eine Maßnahme, gegen die sie dann selbst halblaut protestierte, die aber schlicht und einfach nur deshalb nicht umgesetzt wurde, weil die Regierung zum Glück über das Ibiza-Video rechtzeitig gestürzt ist.

Rechte Bauernfängerei

Das Rechtspopulisten sind also, so gesehen, die größten „Sozialbetrüger“ im Land. Sie umgarnen eine potentielle Wählerschaft mit Sozialgerede, zieht diese dann aber über den Tisch. Simple Bauernfängerei und Prellerei.

Sieht man sich aber die wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen, Programmpunkte und die Regierungspraxis ultrarechter Parteien an (und Programm und Praxis können sich gehörig unterscheiden), dann stellt man neben dem chronischen Sozialbetrug noch etwas anderes fest: Auch in der Sozialpolitik kommt ein Gesellschaftsbild der Rechtsextremisten zum Tragen, das sie langfristig verfolgen. Philip Rathgeb, Assistenzprofessor an der Universität Edinburgh, hat dazu bei Oxford-University-Books gerade eine große Studie herausgebracht: „How the Radical Right has Changed Capitalism und Welfare in Europe and the USA.“ Der Sozialbetrug der Rechten weiterlesen

Die große Erschöpfung

Unsere Gesellschaft leidet an Überlastungsstress. Die „Polarisierung“ ist selbst schon eine Erschöpfungs-Ursache.

Einer der charakteristischen Gemütszustände unserer Zeit ist das Gefühl der Erschöpfung. 61 Prozent der Arbeitnehmer, so ergab jüngst eine Studie in Deutschland, befürchten ein Burnout, 21 Prozent empfinden sich als so erschöpft, dass sie diese Gefahr als „hoch“ einstufen. Das ist nicht nur eine Folge von Belastungen im Job, sondern von einem generellen Überforderungsgefühl. Gründe sind die Nachwirkungen der Pandemie, bei der alle die Zähne zusammengebissen haben, um den Überlastungsstress auszuhalten. Und hinterher kamen ja gleich die nächsten Krisen: Krieg, Inflation, ökonomische Sorgen. Belastung erschöpft, und Angst erschöpft erst recht. Viele Menschen empfinden, dass sie einen täglichen Hochseilakt vollführen. Die Gereiztheiten, die das auslöst, verstärken auch den politischen und gesellschaftlichen Hader. Dieses gesellschaftliche Klima trägt dann wiederum selbst zur Überforderung und zum Stress bei. Die Polarisierung wird in Umfragen als eine zentrale Erschöpfungs-Ursache angegeben.

Skurril: Die Erschöpfung führt zu Gereiztheit und die Dauergereiztheit erschöpft dann erst recht. Die große Erschöpfung weiterlesen

Die Tragödie der Judith Butler

Sind Gendertheorie, Queer Studies und der Postkolonialismus völlig entgleist oder gar eine Sackgasse? Eine Ehrenrettung.

Judith Bulter hat es wieder getan. Bei einer Debatte in Frankreich meinte die US-Professorin, eine der berühmtesten Intellektuellen der Welt, wir sollten das Hamas-Gemetzel vom 7. Oktober nicht als „Terroranschlag“ und auch nicht als „antisemitisch“ bezeichnen, sondern als „bewaffneten Widerstand“ gegen eine Gewaltherrschaft. Zwar hat sie damit das Blutbad keineswegs gerechtfertigt, immerhin hat sie hinzugefügt, dass wir, auf dieser Basis gewissermaßen, dann diskutieren könnten, ob es eine legitime Form des „bewaffneten Widerstandes“ sei oder nicht. Aber das sind dann schon eher Haarspaltereien. Der erwartbare Aufschrei blieb nicht aus. Schon vor vielen Jahren bezeichnete sie die Hamas, die Hisbollah und andere als „Progressive, auf der Linken, als Teil der globalen Linken“.

Bei aller Gutwilligkeit: da bleibt man nur mehr kopfschüttelnd zurück.

Eine Spielart der kulturellen Linken – die Schlagworte lauten dann schnell die „Woken“ oder die Anhänger von „Identitätspolitik“ – sind gegenwärtig sehr im Eck, sie zerlegen sich quasi selbst. Die Nachwehen und Verrücktheiten nach dem 7. Oktober und in Folge des Gazakrieges sind dafür ein Grund, aber nicht der einzige. Es gibt hier drei Gründe:

Erstens: Butler ist gewissermaßen die Ikone der „Gender Theory“ und der „Queer Studies“, die fixe Geschlechteridentitäten dekonstruierten und konventionelle Lebensformen angriffen, das, was man in dieser Denkschule die „Heteronormativität“ nennt. Viele Fans dieser Thorien der jüngeren Generation haben diesem Denken gewisse Breitenwirksamkeit beschafft, aber in den Augen vieler, etwa auch feministischer Zeitgenossinnen, auch massiv „übertrieben“. Das hat schon seit einiger Zeit sehr viel aggressive Ablehnung und Gegenwehr ausgelöst. Im linken Zirkelwesen grassieren neumodische Sprachspiele über „FLINTA“ oder Unfug-Rede über „weiblich gelesene Personen“. Das, so der Vorwurf, führe zu einer Isolation dieser radikalen, postmodernen Linken von den Lebensrealitäten der breiten Masse an Unterprivilegierten und schadet der Linken daher massiv. Für Konservative ist ein Kult von Queerness oder von Auflösung von Geschlechteridentitäten sowieso ein rotes Tuch, wir sehen das an den dauernden Triggerdebatten um Transpersonen. Die Tragödie der Judith Butler weiterlesen

Zufälle gibt’s…

Ein mutmaßliches russisches Agentennetz, ein Milliardenpleitier, gesteuerte Angriffe gegen Österreichs Sicherheit – und mittendrin mal wieder die FPÖ.

Österreich hat ja eher Pech mit seinen großen Wirtschaftstycoons. René Benko kommt nach seiner Jahrhundertpleite nicht mehr so richtig gut als „Mover und Shaker“ rüber, und der Glanz der Wirecard-Konzernchefs Markus Braun und Jan Marsalek ist auch gehörig verblasst. Ersterer sitzt im Gefängnis und muss sich seit Monaten vor Gericht verantworten, letzterer hat sich aus dem Staub gemacht und versteckt sich wahrscheinlich irgendwo in Wladimir Putins Machtbereich, in Moskau oder sonstwo.

Recherchen einer internationalen Medienkooperation haben jetzt ergeben, dass Marsalek wohl schon seit ungefähr 2014 ein russischer Agent war. Für die Welt der Geheimdienste hat er sich immer schon interessiert, sich auch ein wenig wie ein James Bond gesehen. Das Interesse der russischen Geheimdienstler hat ihm sicherlich geschmeichelt, für die Russen wiederum war ein Vorstandsmitglied in einem internationalen Zahlungsdienstleistungskonzern natürlich mehrfach interessant. Nach seiner Flucht wurde Marsalek offenbar sehr schnell mit neuen russischen Papieren versorgt. Es gibt sogar den Verdacht, dass er heute eine Agentenzelle führt, die auch Anschläge gegen Regimegegner plant. Es ist eine ziemlich atemberaubende Agentengeschichte. Zufälle gibt’s… weiterlesen

„Das Unglücksweisen, das ich bin…“

2024 steht ganz im Zeichen von Franz Kafkas 100. Todestag. Ein idealer Autor für das wirre Heute, eine Axt für das gefrorene Meer in uns.

Eine leicht gekürzte Fassung dieses Essays erschien im Januar in der „Neuen Zürcher Zeitung“

Am Náměstí Republiky kreischen Prags Straßenbahnen, mit ein paar Sprüngen ist man über die Pfützen, in denen der Regen tanzt, und mit hochgeschlagenen Kragen in die Na Poříčí, wo heute das „Hotel Century Old Town“ liegt. Man merkt dem Gründerzeitbau die leicht einschüchternde Aura früherer Amtsgebäude noch an. Vor hundert Jahren war hier die böhmische „Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt“ untergebracht, eine halbstaatliche Behörde. Franz Kafka hatte hier sein Büro als Versicherungsbeamter, wie man das damals noch nannte. Auch heute hat das Haus seine zentralen und peripheren Treppenhäuser, den Lauf der Flure, der sich amtshausmäßig auf jeder Etage entlangzieht, unvermutete Gänge zwischen den Geschoßen, labyrinthartige Verbindungen. „Profunde Kenntnis bürokratischer Strukturen“ (Oliver Jahraus) ist nicht unwesentlich in Kafkas Werk eingeflossen, das Wissen über das Mahlen einer Bürokratie, die den Einzelnen nicht nur im Kreis schickt – sondern der er ausgeliefert ist.

Von hier aus ist es nicht weit zum Altstädter Ring und dem alten Judenviertel, das in Kafkas Kindheit und Jugend seinen Charakter radikal änderte. Kafkas Vater hatte hier seinen prosperierenden „Galanteriewaren“-Laden. Nur ein paar Schritte sind es bis zur Schule, die Kafka besuchte. Das „Café Arco“, wo das intellektuelle Prag herumsaß, Max Brod, Franz Werfel, Albert Einstein während seiner paar Professorenjahre in der Stadt, ist einen Steinwurf entfernt. Zum „Café Louvre“ in der heutigen Národní třída (Nationalstraße), wo sich die Bande als Jungstudenten zu Philosophieabenden traf, ist es auch nur ein kleiner Spaziergang. Ein paar hundert Meter in die eine Richtung, ein paar hundert Meter in die andere, das ist der Lebensraum, den Franz Kafka nie für länger, aber immerhin für ein paar ausgiebige Reisen verlassen hat. Gelegentlich grübelte er über das Weggehen – „Prag, aus dem ich weg muß, und Wien, das ich hasse und in dem ich unglücklich werden müsste“ –, aber letztlich blieb er abgesehen von einem längeren Berlinaufenthalt kurz vor seinem Tod in Prag. „Das Unglücksweisen, das ich bin…“ weiterlesen

Dem Morgenrot entgegen

Rahel Jaeggi renoviert das Konzept des „Fortschritts“. Der Begriff ist heutzutage ja arg ramponiert.

Die Idee des „Fortschritts“ hat schon bessere Tage gesehen. Heutige Gesellschaften sind weniger von Fortschrittsgeist und Zukunftsvertrauen beherrscht, sondern von einem Gefühl depressiver Stockung. Es gibt zwar weiter „Fortschritte“, die allgemein unumstritten sind – in der Medizin, in der Wissenschaft, in den technologischen Innovationen. Dass die heutige Herzchirurgie ein Fortschritt gegenüber einstigem Frühableben sei, wird kaum jemand bestreiten, selbiges gilt für die E-Mail im Vergleich zum Telegrafenamt. Aber ob sich der technologische Fortschritt, der materielle Fortschritt (also der allmähliche Anstieg des allgemeinen Wohlstandsniveau), der soziale Wandel und moralischer Fortschritt (etwa, Richtung mehr Gerechtigkeit und Achtung von Menschenrechten), zu einer umfassenden „Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen“ (Rahel Jaeggi) addieren, wird heute eher angezweifelt. Dem Morgenrot entgegen weiterlesen

Der übergriffige Staat

Eine Studie sieht in Österreich fast 30 Prozent „Libertäre“. Kann das wahr sein? Der staatsfeindliche Instinkt ist verständlich, aber unsinnig.

Zackzack, Jänner 2024

Der aufmerksame Moritz Ablinger vom „profil“ hat in einer Studie der Akademie der Wissenschaften ein bemerkenswertes Detail entdeckt: rund ein Drittel der Befragten gaben eine gewisse Nähe zu entschieden libertären Ansichten zu erkennen. Es war jene Untersuchung, die die Corona-Maßnahmen „aufarbeiten“ sollte. Darin äußerten erstaunlich viele Leute „eine grundsätzliche Ablehnung von staatlichen Vorschriften und Zwängen und eine ‚herausragende Bedeutung‘ von Individualität, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, wie es im Bericht heißt“ (Ablinger). Üblicherweise findet solche Standpunkte „traditionellerweise bei Vertretern hart-neoliberaler Wirtschaftspolitik.“

Die Haltung, etwas salopp gesagt: Der Staat soll sich aus dem Leben gefälligst heraushalten. Der übergriffige Staat weiterlesen