Eine Wagenknecht-Partei könnte die AfD kleinhalten, und „Die Linke“ endlich wieder aufblühen, hoffen manche. Aber wie realistisch ist das?
taz, August 2023
Linke sind voller Krisenbewusstsein. Es gibt ja ein paar Begriffe, die sehr häufig im Zusammenhang mit dem Wort „Krise“ gebraucht werden, und der Begriff „Linke“ ist da Top. Wenn die Linke stark ist, aber hinter ihren ambitionierten Zielen zurückbleibt, diskutiert sie „die Krise der Linken“. Ist sie schwach, dann erst recht. Man kommt problemlos durch ein linkes Leben, indem man von Debatte zu Debatte über die „Krise der Linken“ hüpft. Die herkömmliche Linksperson macht dennoch das Beste daraus. Die Krise, so hofft sie, könnte ja der Moment der Genesung sein. Bertolt Brecht wollte einmal eine Zeitschrift gründen, deren erste Nummer „Die Begrüßung der Krise“ als Generalthema haben sollte. Leider war die Krise schneller, und es wurde nichts draus. In der Medizin markiert die Krisis die notwendige Verschärfung der Malaise, auf die, sofern der Sieche sie überlebt, die Heilung folgt. Im Notfall halten wir uns an Hölderlin: „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.“
Gefahr ist gerade genug. Die SPD in Umfragen bei 18 Prozent, die Grünen bei 14. Die AfD bei 23 Prozent. Die Partei „Die Linke“ im existenzbedrohlichen Flügelkampf. In den Ost-Bundesländern könnten die Rechtsextremen stärkste Kraft werden. In Thüringen, wo nächstes Jahr gewählt wird, ist die Höcke-AfD in manchen Umfragen bei 34 Prozent, Bodo Ramelow, immerhin einziger Linke-Ministerpräsident, kommt mit seiner Partei gerade auf 18 Prozent (Ramelow selbst hat persönliche Zustimmungswerte von 52 Prozent). Das Land rutscht.
Und wo wächst jetzt „das Rettende auch“? Verachtung des Proletariats weiterlesen