Wer die offene Gesellschaft gegen den Islamismus verteidigen will, darf sich nicht mit islamophoben Hetzern gemein machen.
Falter, 15. Jänner 2015
Vergangene Woche, am Abend nach dem Charlie-Hebdo-Massaker, vor der französischen Botschaft in Wien. Ein paar hundert Leute haben sich zum Gedenken eingefunden. Plötzlich kommt einer mit der Nachricht: Es sind Rechtsradikale und Nazis da. Ich will mich schon nach den rechten „Gegendemonstranten“ umsehen, da dämmert mir etwas und ich frage ironisch zurück: „Auf unserer Seite?“ Alle in der Runde lachen gequält. Ja, die Welt ist kompliziert geworden.
Anhänger der offenen Gesellschaft, die gegen Islamismus demonstrieren, stehen Seite an Seite mit Neonazis, die gegen den Islam hetzen? Moderate Muslime, die ein Zeichen gegen Gewalt setzen, mit Rassisten, die ihr Identitätsphantasma vom „christlichen Abendland“ hochhalten? All das wäre schon abstrus genug, würden nicht auch die Grenzen zwischen diesen Gruppen selbst fluide werden. Des Strache-Fantums unverdächtige Leute, outen sich auf Facebook als Pegida-Versteher, weil es ja „gegen die Moslems“ geht, und verbreiten Hetzlegenden, an die sie selbst glauben, etwa die Paranoia von der Taqia, also, dass Muslimen quasi religiös vorgeschrieben sei, zu lügen. Botschaft: In Wirklichkeit sind alle Muslime Dschihadisten, sie geben nur vor, gegen Gewalt zu sein. Das ist bösartiger Unfug: Taqia meint nichts anderes, als dass Muslimen etwa im Falle eines Pogroms erlaubt ist, vorzugeben, keine Muslime zu sein – keineswegs ist es ein religiöses Gebot, gegenüber Nichtmuslimen die Unwahrheit zu sagen. Dennoch ist dieser Unfug selbst unter vernünftigen Leuten populär, die an vergleichbare Hetztheorien, etwa die „Verschwörung der Weisen von Zion“ oder Ritualmordlegenden niemals glauben würden.
Angesichts des Dschihadismus und der Popularität des radikalen Salafismus unter desorientierten islamischen Jugendlichen grassiert die Moslempanik, und sie kennt viele Gesichter: Pegida, also rechtspopulistische und rechtsradikale Abendlandverteidiger, die simple Ausländerfeindlichkeit als Islamkritik tarnen und mit dem allgemeinen Frust an „den Eliten“ und „der Politik“ zu einem stinkenden Brei verrühren, die demnächst auch in Wien demonstrieren wollen; rundherum Leute, die sich mit der modernen, zeitgenössischen Pluralität von Lebensstilen ohnehin nicht abfinden wollen, und deshalb Menschen, die sichtbar anders sind, ablehnen und dies mit Antiislamismus nur notdürftig bemänteln. Aufklärer, die nicht in der Lage sind, die Grenze zwischen Religionskritik und antimuslimischer Hetze zu beachten und, umgekehrt, Rassisten, die sich als Aufklärer tarnen. Antitotalitäre Linke, die so tun, als wäre der Kampf gegen die Kopftuchträgerin von Nebenan ein emanzipatorischer Akt. Die FPÖ, die die grassierende Islamophobie instrumentalisiert, bisher quasi die österreichische Ausgabe von Pegida, die nicht auf der Straße Parolen brüllt, sondern im Parlament. Jüdische und nichtjüdische Israelfans, die wegen dem Nahostkonflikt und unten Muslimen verbreiteten Antisemitismus ihrerseits mehr und mehr antimuslimischen Stereotypen verfallen. Der Irrsinn feiert Hochblüte und viele Vernünftige haben das Gefühl, dass ihnen alle Felle davonschwimmen. Die Moslempanik weiterlesen