Kategorie: Texte aus dem Falter (Wien)
Die Occupy-Bibel
Dieses Gefühl der Unsicherheit
Wirtschaftskrise. Wie ein Gift frisst sich das
Unsicherheitsgefühl in unsere Gesellschaften. Jetzt sehen wir:
Sicherheitsgefühl macht nicht antriebslos. Im Gegenteil: Angst lähmt. Falter, 11. Juli 2012
Wie wir zur „Sicherheit“ stehen, das hängt verdammt davon
ab, wie man fragt. Würden Sie das „Risiko“ der „Sicherheit“ vorziehen? Eher
nicht. Aber dafür die „Freiheit“ der „Sicherheit“? Womöglich schon. Wir haben
die Phrasen im Ohr, mit denen in den vergangenen Jahrzehnten von „Wirtschaftsvertretern“
gegen die „Vollkaskomentalität“ polemisiert wurde, gegen das Bedürfnis der
Bürger, in einen langweiligen Wattebauschen aus „Sicherheit“ gehüllt zu werden.
Aber das Sicherheitsbedürfnis des Spießbürgers wurde auch von den Punks verlacht
– Motto: „No Risk, no Fun“ -, wahrlich seltsame Allierte der Neoliberalen.
Nur: Über das Sicherheitsgefühl kann man herrlich spotten,
solange es in ausreichendem Maße vorhanden ist.
Aber seit dem Absturz in die Wirtschafts- und Finanzkrise
haben wir nicht nur ökonomische Probleme, das Gefühl der Unsicherheit frisst sich
in die Gesellschaften hinein. Ja, so ein eigentümliches Unsicherheitsgefühl,
das sich ausbreitet, in jeden Einzelnen hinein. Es wirkt wie eine tägliche
kleine Dosis Gift, sodass wir mit einem mal dauernd Leuten begegnen, die Angst
haben. Und wir lernen plötzlich wieder, dass Unsicherheitsgefühle Auswirkungen
auf das Verhalten von Menschen haben und damit wiederum ökonomische
Auswirkungen – dass das Gefühl von Unsicherheit sogar noch mehr Unsicherheit
produzieren kann.
Das „Vertrauen der Märkte“ und andere Mythen
Zittern Sie auch vor einer Machtübernahmen der griechischen Syriza? Fürchten Sie sich auch vor der Inflation? Oder sind Sie ohnehin überzeugt vom notwendigen Systemkollaps? Ein paar populäre (Vor-)Urteile über die Finanzkrise, und was es mit ihnen auf sich hat. Eine etwas gekürzte Version dieses Fact-Checks erschien im Falter vom 13. Juni 2012
Vier Jahre ist sie jetzt schon alt, die Wirtschafts- und Finanzkrise, begonnen hat es mit einer Bankenkrise, dann ging es weiter mit einer schweren Rezession und stockender Erholung und, wie immer nach Bankenkrisen, mit einer Staatsschuldenkrise. Aber wie meist gibt es auch ein Gutes im Schlechten: Wir alle haben viel gelernt über die Wirtschaft und auch über makroökonomische Fachkategorien. Die Zeitungen sind voll mit Artikel, in denen Worte wie „Nachfrage“, „Leverage“, „Zinsspreads“ vorkommen, und verdammt viele Leute, die vor vier Jahren noch nicht mal diese Begriffe kannten, wissen heute, was es damit auf sich hat. Und noch etwas haben wir gelernt: Dass man simplen Parolen besser misstraut. Aber das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Heute spuken neue eingängige Thesen herum, die von vielen Leuten geglaubt werden, auf die man aber besser ein paar Minuten kritischen Nachdenkens verschwenden sollte. Was hat es also mit diesen populären (Vor-)Urteilen auf sich?
„Alarm! Jetzt droht Inflation!“
„Inflations-Alarm! Bundesbank weicht den Euro auf!“ titelte vor ein paar Tagen die deutsche „Bild-Zeitung“. Und wie so oft schürt der Boulevard in diesem Fall nicht nur Ängste, sondern macht sie sich zunutze. Denn dass „unser Geld“ bald nichts mehr wert sein wird, das befürchten viele Menschen. Die Zentralbanken haben in den vergangenen Jahren den Markt mit Geld geflutet. Das heißt, sie haben den Banken sehr viel Geld geliehen, damit der Finanzkreislauf zwischen den Instituten nicht ins Stocken gerät, oder – wie zuletzt die Europäische Zentralbank -, damit die Banken Staatsanleihen europäischer Staaten kaufen. Und da denken viele: Wenn mehr Geld im Umlauf ist, dann gibt es automatisch Inflation. Schon kurz nach der Finanzkrise wurde vorhergesagt, dass Hyperinflation die große Gefahr ist. Spätestens 2010, 2011 würde sie beginnen, die galoppierende Geldentwertung, wurde prophezeit. Aber die angekündigte Hyperinflation kam nicht. Warum? Mehr Zentralbankgeld löst nicht automatisch Inflation aus. Es braucht dafür ein „inflationäres Klima“. Die Banken müssen mit dem Zentralbankgeld noch „mehr Geld“ produzieren, indem sie wie wild Kredite an Unternehmen vergeben. Das tun sie nur, wenn die Wirtschaft brummt, Unternehmen also investieren wollen. Aber auch das reicht nicht aus. Die Konsumenten müssen in bester Laune sein und ihr Geld mit beiden Händen ausgeben. Erst dann ziehen die Preise der Waren an. Mit den Preisen müssen die Gehälter mitziehen, damit die Menschen auch Geld genug in der Tasche haben, die teureren Güter auch zu kaufen. Löhne steigen aber nicht in einer Depression mit hoher Arbeitslosigkeit, sondern erst bei annähernder Vollbeschäftigung. Erst dann dreht sich die Lohn-Preis-Spirale und die Inflationsrate klettert hoch. „Aber halt! Die Preise steigen doch!“ mag man jetzt einwenden. Ja, aber das ist zum Großteil importierte Inflation, weil am Weltmarkt die Preise eines knappen Gutes steigen: Die Energie-, vor allem die Ölpreise. Aber das würden sie auch, wenn eine andere Geldpolitik gemacht würde. Das würden sie sogar, wenn es gar keine Krise geben hätte – dann würden sie womöglich sogar noch schneller steigen. Es ist fast ein bisschen kurios: Mitten in einer schweren Krise, mit Konjunktureinbrüchen und katastrophaler Jugendarbeitslosigkeit, machen sich manche Leute primär Sorgen um die Inflation – also und das so ziemlich einzige Problem, das wir im Augenblick nicht haben. Es kommt aber noch kurioser: Mancher Preisauftrieb, den die Bürger spüren, ist sogar die direkte Folge der Inflationsangst. Weil die Menschen Angst davor haben, dass ihr Erspartes an Wert verliert, investieren sie in scheinbar stabilere Anlagen – etwa in Immobilien. Deshalb steigen die Preise für Eigentumswohnungen und Häuser. Weil panische Vermögensbesitzer ihr Geld lieber in Beton als in Wertpapiere anlegen.
„Mit Schulden muss Schluss sein“
Zur Lage der Linken
Handbuch der Euro-Rettung
Merkel zerzaust
Der Krieg der Ökonomen
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Religiöse Maskerade
Zehn Jahre 11. September. Religiöser Jargon lässt sich wieder prima benützen, um Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Falter, 7. September 2011
Ach, was war das im Rückblick für eine schöne Zeit vor dem 11. September 2001! Klar, es gab noch Religionen. Klar, es gab noch religiöse Menschen. Und klar, es gab auch politische Konstellationen, in denen Religion eine Rolle spielte: In Polen, wo die katholische Kirche eine bestimmende Kraft im antikommunistischen Widerstand war. Politische Evangelikale in den USA. Islamische Fundamentalisten, von Afghanistan bis Algerien. Aber es war nicht der große Trend. Der große Trend ging in Richtung Säkularisierung, oder zumindest war das Feld des Religiösen klar abgesteckt: Als private Sache des einzelnen Gläubigen. Die öffentliche Wirksamkeit des Religiösen schien seit Jahrzehnten abzunehmen. Selbst da, wo politische oder nationale Spannungen sich auch entlang religiöser Konfliktlinien sortierten, kam kaum jemand auf die Idee, sie zu religiösisieren. Nicht einmal im Nahostkonflikt war es üblich, den territorialen Streit zwischen Israelis und Palästinensern in übertriebenem Maße als jüdisch-muslimischen Konflikt zu interpretieren. Wo nationale und ethnische Spannungen im religiöser Maskerade ausgetragen wurden, gab es weltweites Kopfschütteln – etwa über die Katholiken und Protestanten in Nordirland.