Du sollst Dein Leben ändern!

Die Lebendfalle ist ein Produkt, eine Einrichtung, mit der man Mäuse lebend fangen kann, aber auch eine Metapher. Eine Metapher auf das moderne Leben. Ist nicht die moderne Welt, die wir geschaffen haben, mit ihrem Erlebnishunger, den Verlockungen von Wohlstand und den sofort wirkenden unsichtbaren Fäden, die uns fesseln – Fäden, die die sichtbaren Ketten der Sklaverei abgelöst haben –, ist sie nicht auch eine Art Lebendfalle? Eine gesellschaftliche Struktur, in der es nichts gibt, das gut ist, welches nicht seine schlechten Seiten hat, aber in der es auch nichts gibt, das schlecht ist, das nicht auch verlockend genug ist, um uns anzuziehen wie der Leim die Fliege. Ein „FS Misik“ über Konkurrenzgeist, Posertum, das Gefühl, auf sich allein zurückgeworfen zu sein, die Kultur des Narzissmus, die Betriebsmodi der Dummheit und das zugleich grassierende Unbehagen an der modernen Kultur. Wird es diesmal wenigstens Anleitungen zur Lebenskunst geben?

Das „Rote Wien“ – was heißt das im 21. Jahrhundert?

Diese Woche tritt Michael Häupl als Wiener Bürgermeister ab, und Michael Ludwig wird sein Nachfolger. Mit seinem Regierungsteam hat Ludwig manche Skeptiker positiv überrascht – oder jedenfalls die erste große Klippe umschifft. Die Wiener SPÖ befrieden, die zerrissene Partei vereinen, eine handlungsfähige Truppe zimmern – das ist freilich nur die Pflicht. Die Kür wäre: einen Spirit zu entwickeln, was das „Rote Wien“ im 21. Jahrhundert sein könnte. Die „Welthauptstadt des demokratischen Sozialismus“ hat Armin Thurnher im „Falter“ Wien gerade genannt. Aber hat dieses „Rote Wien“ irgendeine Idee für die Zukunft, außer dass man das Erreichte der Vergangenheit verteidigen mag? Also, das Gesuchte wäre: ein packender Spirit, ein Selbstbild einer Stadt, die der neoliberalen Ego-Kultur trotzen will. Eine Idee modernen Gemeinsinns.

Der heldenhafte Kampf des HC Strache gegen den Rechtsextremismus

„FS Misik“ diese Woche mit folgenden Themen:

1. Mit Überzeichnung kann man Dinge sichtbar machen. Wenn alle aber nur mehr überzeichnen und übertreiben und sich alle in einen Wahn hineinschrauben, hat die Überzeichnung keine positiven Wirkungen mehr.

2. Die Krise der Demokratie als Krise der Handlungsfähigkeit von Politik, also: als eine Krise der Macht. 3. Eine seltsame Erzählung setzt sich fest: dass H.-C. Strache einen Kampf gegen den Extremismus und den Antisemitismus in den Reihen der FPÖ führe. Das zeigt: Das regierungsnahe Kommentariat lebt in seiner eigenen Welt und die muss nicht unbedingt eine Verbindung mit der Wirklichkeit haben.

„Die Verhältnisse zum Tanzen bringen“ – zum 200. Geburtstag von Karl Marx

FS Misik Folge 545

Das gute alte Karlchen. Am Sonntag wäre es 200 Jahre alt geworden. In seiner Geburtsstadt Trier stellen sie dann die Marx-Statue auf, die der Stadt von den Chinesen geschenkt wurde. Dieses Standbild im Stile des pathetischen Pseudorealismus ist geradezu eine Verkörperung der Paradoxien unserer Zeit. Die Trierer Lokalpolitik steckte in dem Dilemma, dass ihr die Annahme des Präsentes ebenso peinlich gewesen ist wie dessen potenzielle Ablehnung, zumal eine Absage an die chinesischen Parteikommunisten ein Affront gewesen wäre und Tourismus und Handelsbeziehungen mit der aufstrebenden wirtschaftlichen Weltmacht China belasten hätte können. Das Trum annehmen war ihnen peinlich. Aber das Trum ablehnen wäre ihnen noch peinlicher gewesen und hätte ökonomische Nachteile nach sich gezogen. Schöne Pointe: Man muss dem guten alten Karlchen ein Denkmal setzen, um keine kapitalistischen Absatzmärkte zu gefährden. Ein Marx-Potpourri zum Geburtstag: „Die Produktion produziert daher nicht nur einen Gegenstand für das Subjekt, sondern auch ein Subjekt für den Gegenstand“. „Die ganze alte Scheiße ist im Arsch.“ „Man kann in keiner famoseren Zeit auf die Welt kommen als heutzutage. Wenn man in sieben Tagen von London nach Kalkutta fährt, werden wir beide längst geköpft sein oder Wackelköpfe haben. Und Australien und Kalifornien und der Stille Ozean! Die neuen Weltbürger werden nicht mehr begreifen, wie klein unsere Welt war.“ „… man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt!“ „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.“ „Geld … Es verwandelt die Treue in Untreue, die Liebe in Haß, den Haß in Liebe, die Tugend in Laster, das Laster in Tugend, den Knecht in den Herrn, den Herrn in den Knecht, den Blödsinn in Verstand, den Verstand in Blödsinn.“ „Maschinerie … beseeltes Ungeheuer … hier ein mechanisches Ungeheuer, dessen Leib ganze Fabrikgebäude füllt und dessen dämonische Kraft, erst versteckt durch die fast feierlich gemeßne Bewegung seiner Riesenglieder, im fieberhaft tollen Wirbeltanz seiner zahllosen eigentlichen Arbeitsorgane ausbricht.“ „(Es gilt) alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“

Das Bedürfnis nach Sicherheit. Die (All-)Gegenwart eines Gefühls

Je mehr unsere Gesellschaften zu Risikogesellschaften werden, in denen das Individuum für Erfolg und Scheitern allein gerade stehen muss, umso eklatanter wird das Bedürfnis nach Sicherheit. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist etwas, das jeder und jede hat. Eine ganze Begriffswelt haben wir dafür zur Verfügung: Sicherheit, Vertrauen, Geborgenheit, Kontrolle haben über das eigene Leben, Aufgehobenheit. In einer Ära, in der Risikofreude und Beweglichkeit gepriesen werden, wird dieses Sicherheitsbedürfnis gerne belächelt. Hochnäsiger Unfug! Denn richtig flexibel und risikofreudig und zukunftsfröhlich kannst du natürlich nur sein, wenn du auf der Basis eines Sicherheitsgefühls agierst. Hast du ein Unsicherheitsgefühl, wirst du jede weitere Unsicherheit meiden. Das Sicherheitsgefühl ist also nicht der Antipode zur Risikofreude, sondern dessen Voraussetzung.

Die Normalisierung des rechten Radikalismus

Normalisierung des rechten Radikalismus heißt, dass das, was bisher als unsagbar galt, gesagt wird, dass die Grenzen des Sagbaren und damit Vorstellbaren verschoben werden und dass zugleich das, was gestern oder vorgestern noch unsagbar war, schleichend zum Common Sense wird. Bevor die Dinge gesagt werden, sind das Dinge, die bis dahin, dass sie gesagt werden, als unsagbar gelten. Als unsagbar in dem Sinne, dass sie als ein Bruch mit demokratischen, pluralistischen oder sogar zivilisatorischen Prinzipien gelten. Aber indem sie gesagt werden hört das Unsagbare auf etwas Unsagbares zu sein. Das heißt nicht, dass das Unsagbare, das dann ein Sagbares wird, gleich mit Applaus ausgestattet wird, aber es hört doch auf ein Unsagbares zu sein. Und damit tritt sofort ein Gewöhnungseffekt ein, ein Gewöhnungseffekt, der unterstützt wird nicht nur von denen, die das Unsagbare, das zum Sagbaren wird, in allen Teilen unterschreiben, aber die dann herumdrucksen, dass man sich doch nicht aufregen solle, man empöre sich doch nicht dauernd, diese Erregung, diese Dauererregung, die geht doch nicht…

Lieben Sie ihre Arbeit? Hassen Sie ihre Arbeit?

Mit den widersprechenden Prophezeiungen über Automatisierung, Robotisierung und die Arbeit der Zukunft grassiert auch Zukunftsangst – die bange Frage kursiert, ob die Mehrheit von uns in der Arbeitswelt von morgen nicht „überflüssig“ wird. Was Arbeit ist, wofür man sie braucht, was sie mit einem macht, wird auch deshalb zunehmend wieder zu einem zentralen Thema. Und zu einem paradoxen Thema. Denn wenn man sich die öffentlichen Diskurse über Arbeit ansieht, aber auch wenn man mit Menschen privat über ihre Arbeit spricht, gibt es immer zwei gegenläufige Erzählungen, die seltsam unverbunden parallel laufen: einerseits Arbeit als Druck, als Zwang zum Geldverdienen, als unsicherer Boden unter den Füßen, mit wachsendem Stress und Arbeitsleid und Fremdbestimmung durch die Chefetagen, Geschichten über Entfremdung und das Gefühl der Unsicherheit und Überforderung – und andererseits Arbeit als das im Leben, was Identität und Sinn gibt, als eine Tätigkeit, die erfüllt oder zumindest erfüllen sollte, auch als etwas, das einwebt ins Netz der Kollegenschaft und der Kooperation, als etwas, das soziale Beziehungen stiftet und zugleich fordert und anspornt, etwas gut zu machen und die Talente zu entfalten. Kurzum: die Arbeit, die zugleich geliebt und gehasst wird.

Jens Jessen in der „Zeit“: Der paranoide Stil der neuen konservativen Rechten

Jens Jessen, an sich ein bedächtiger, eher stiller Konservativer, klagt in der aktuellen „Zeit“ den neuen Feminismus und die außer Rand und Band geratene #metoo-Debatte an. Dabei versteigt er sich aber selbst immer mehr in schräge Thesen, etwa dass, was immer man als Mann sage und mache, es als Beitrag zu einer sexistischen Atmosphäre denunziert wird. Man(n) werde diffamiert, eine männliche Kollektivverantwortung konstruiert. Es gehe nur um den Triumph eines totalitären Feminismus, der so rigide wie der Stalinismus sei. Kurzum: Das totale zum Schweigenbringen der Männer sei das Ziel. Paranoide Schrillheit Das erinnert an einen legendären Essay des amerikanischen Historikers Richard J. Hofstadter aus dem Jahr 1964 über den „Paranoid Style in American Politics“. Darin wunderte er sich über die wachsende, paranoide Schrillheit des amerikanischen Konservativismus. Nun, dieser Stil hat sich ausgebreitet – und wenn selbst jemand wie Jessen davon schon angesteckt ist, dann ist das bemerkenswert. Generell ist es dieser paranoide Stil, der erlaubt, die hanebüchensten Dinge zu behaupten: Eben, dass Männer generell zum Schweigen gebracht werden sollen. Oder, dass wir alle islamisiert werden. Dass die Gewaltkriminalität eskaliert. Dass Gutmenschen ein linkes Meinungsdiktat exekutieren. Die Liste in endlos. Dieser Stil hyperventiliert vor eingebildeten Bedrohungen, und die Schillheit steht in umgekehrt proportionalen Verhältnis zu den Evidenzen, die solche Behauptungen auf ihrer Seite haben. Von der Aufmerksamkeitsökonomie der Netzdiskurse, die Aufgeregtheit und Gereiztheit triggern, Nachdenklichkeit aber im Ozean der Daten untergehen lassen, wird all das noch befeuert. Man würde am liebsten ausrufen: Kriegt Euch wieder ein!

Facebook verstaatlichen?

Daten, deren Ströme, aber auch soziale Netzwerke gehören heute zur kritischen Infrastruktur einer Gesellschaft – und können gnadenlos manipuliert werden, wie der Facebook- beziehungsweise Cambridge-Analytica-Skandal zeigt. Zugleich neigt der digitale Kapitalismus noch mehr als der klassische Industriekapitalismus zur Monopolbildung. Schuf ersterer durch seine „Economies of Scale“ – also durch Skaleneffekte, die großen Platzhirschen erlauben, effizienter zu produzieren, die Verbraucher leichter zu erreichen und potentielle Konkurrenten vom Markt zu kaufen – oft Oligopolmärkte, so kommen im digitalen Kapitalismus noch die Netzwerkeffekte hinzu. Nämlich: Wer mehr User hat, ist besser, weil er mehr Daten und darunter mehr Feedbackdaten hat. Mit dem Fortschritt der künstlichen Intelligenz wird all das noch schlimmer werden. Und außerdem: Wie nützlich wären soziale Netzwerke, wenn unser Bekanntenkreis auf zehn Plattformen verteilt wäre? Niemand kann wollen, dass unsere Daten der reinen Profitgier und der Käuflichkeit dienen, besonders, wenn die für eine Demokratie wichtige kritische Infrastruktur betroffen ist. Aber genauso wenig kann man wollen, dass der Staat oder gar die Regierungen darüber die Kontrolle haben. Es ist gewissermaßen ein Horrordilemma: Orwell-Staat oder Orwell-Privatkapitalismus. Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Kluge Regulierung? Zerschlagung durch Anti-Monopol-Gesetze? Eine neue, zeitgenössische Form von gewissermaßen „öffentlich-rechtlichen sozialen Medien-Plattformen“?

Der Zerfall der Demokratie

FS Misik Folge 539

Forscher des Berliner „Progressiven Zentrums“ haben mit französischen Kollegen eine Tiefenstudie in Vierteln gemacht, in denen die AfD beziehungsweise der Front National stark sind. Das Resume : Die Menschen fühlen sich als politisch Verlassene. Dass sich für sie überhaupt niemand mehr interessiert. Dass die Netzwerke in den Vierteln zerreißen, die Infrastruktur nicht mehr funktioniert. „Es herrscht ein Gefühl des Verlassenseins. Ein Gefühl, vom Staat im Stich gelassen worden zu sein.“ Die Studie stellt auch fest, dass zentrale Narrative der Populisten weitaus weniger stark verfangen als angenommen. „Wenn die Leute politische Zusammenhänge mit eigenen Worten schildern, spielen Islamisierung, Europaskepsis, pauschale Medienkritik oder die Betonung der nationalen Identität kaum eine Rolle.“ Im Gegenteil: „Zum Beispiel wird Europa mehr als Teil der Lösung denn als Problem gesehen.“

Das bestätigt einiges an den Thesen des deutsch-polnischen Harvard-Wissenschaftlers Yascha Mounk, der mit „Der Zerfall der Demokratie“ das Sachbuch der Saison geliefert hat. Es gibt nicht nur einen Vertrauensverlust, sondern nicht zuletzt auch einen Zutrauensverlust gegenüber der „gewohnten“ Politik. Der traut man einfach nichts mehr zu.

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die vergangene Woche veröffentlicht wurde, bestätigt das: Autokratien sind im Aufwind, und die Demokratien sind von einem inneren Zutrauensschwund befallen. „Die Abkehr von der Demokratie hat begonnen. „All das kann man als alarmierende Befunde ansehen. Aber man kann die Analysen auch als Leitfaden lesen und als Hilfe, um zu begreifen, was genau die Ursachen der Erosion der Demokratie sind.

Ausländersparpaket? Nein. Besser: Kindersparpaket

FS Misik Folge 538

Die Budgetdebatte wirft ihre Schatten voraus – und zwar in Form von Wording from Hell. Ein „Ausländersparpaket“ werde geschnürt. Darin enthalten sind Kürzungen für Integrationsmaßnahmen in Schulen, aber auch einfach für Unterstützungslehrer für Klassen, die natürlich nicht nur den Migrantenkindern, sondern allen Kindern zugutekamen. Es ist also eher ein „Kindersparpaket“. Diese Einschnitte werden auch mit dem Ende der „Kuschelpädagogik“ begründet. Auch so ein Wording aus dem Giftschrank. Was ersehnen sich eigentlich jene, die „Kuschelpädagogik“ als Hohnvokabel benützen?

Rohrstockpädagogik?

Kasernenhofpädagogik?

Strafvollzugspädagogik?

Wie der rechte Zeitgeist bekämpft werden kann

FS Misik 537

Der kluge Grüne Paul Aigner schrieb unlängst auf Twitter: „Hat sich irgendwer vielleicht einmal überlegt, wie viel das dauernde Sich-auf-die-Zunge-Beißen der Linken zum Rechtsruck beiträgt, weil aus ‚Pragmatismus‘ ganz wesentliche Positionen gar nicht mehr formuliert werden und in der Debatte fehlen?“ Das ist ein Punkt, der nicht unterschätzt werden sollte. Nämlich: Sind die Linken zu zahm geworden, zu mutlos, haben sie ihre Lust an der Provokation verloren, passen sie sich zu sehr an die Mitte an? Die Rechtsradikalen hämmern rein; was gestern undenkbar war, machen sie heute sagbar. Und die Linken beißen sich fest auf die Zunge, um nur ja nichts zu sagen, was jenseits der berüchtigten Mitte verortbar wäre – mit dem Ergebnis, dass sich die berüchtigte Mitte nach rechts verschiebt.