Die Einsamkeitsgesellschaft

FS Misik Folge 536

Ist eine Gesellschaft „radikaler Individualisierung“ eine Gesellschaft, in der sich das Phänomen der Einsamkeit auf ganz neue Weise stellt, nicht nur als etwas, das nur isolierte Dauersingles oder Witwer und Witwen befällt? In ihr wird das Phänomen von Menschen endemisch, die auch „in Gesellschaft einsam sind“, die nur lose eingebettet sind in soziale Netze. Mobilität spielt eine Rolle, Demographie, natürlich Migration, aber auch Charakteristika moderner Lifestyles. Die „Einsamkeits-Kommission“ in Großbritannien kam jedenfalls zu diesem Schluss, nennt Einsamkeit eine „Epidemie im Verborgenen“. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung titelt: „Ist der Mensch einsam, leidet die Demokratie“. Aber wie hängt das mit anderen gesellschaftlichen Pathologien unserer Zeit zusammen, der Erfolgskultur, der Krise des Allgemeinen? FS Misik heute als kleine Lektürestunde, behandelt werden aktuelle Bücher, darunter:

Tristan Garcia: Das intensive Leben. Eine moderne Obsession (Suhrkamp, 2017).

Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten (Suhrkamp, 2017).

Alain Badiou: Lob der Liebe (Passagen, 2015).

Lars Svendsen: Philosophie der Einsamkeit (Berlin University Press, 2016).

Jede Kritik mundtot machen. Der Feldzug gegen den ORF

Die FPÖ führt, mit dröhnender Duldung der ÖVP, einen Feldzug gegen den ORF, aber in Wirklichkeit gegen jeden Journalismus. Denn der steht ihr im Weg beim Verbreiten ihrer Angstbotschaften. Grundiert wird die Kampagne mit dem Märchen vom linken, politischen Mainstreamjournalismus. Dabei haben die Mainstreammedien seit Jahr und Tag mehrheitlich den populistischen und rechten Parteien in die Hände gespielt, indem diese einfach ihr Agendasetting akzeptierten oder sogar betrieben – von Themensetzungen wie „Gefahr Islam“ bis zur Behauptung, der „Stillstand der großen Koalition“ sei das Schlimmste, was dem Land passieren kann, und bis zur Verkleisterung aller Debatten durch das Flüchtlingsthema. Aber das reicht der FPÖ offenbar nicht mehr. Andere Gesichtspunkte, andere Meinungen und Kritik sollen einfach nicht mehr vorkommen.

Heimat – ein gefährlicher Begriff

Heimat ist ein umkämpftes Wort geworden. Von der extremistischen Rechten gekapert, versuchte zuletzt auch die liberale Mitte, den Begriff zurückzuerobern. Aber es war von Beginn an ein kontaminiertes Wort, wie die Medienwissenschafterin Alena Dausacker zeigt. Als Gegenbegriff gegen die Stadt und die Moderne, oder auch aufgeladen mit reinster Nostalgie. Und dann von den Nazis auch noch ins Nationalistische gewendet, sodass mit einem Mal Heimat keine kleinteiligen Lebenswelten beschrieb, sondern die Nation als ganzes (die natürlich niemals eine erlebte Heimat sein kann). Dann fehlte nur mehr ein kleiner Schritt zum Heimatschutz, und von da ist es nur mehr einen Wimpernschlag entfernt, anderen die Köpfe einzuschlagen. Heimat ist also kein unschuldiges Wort. Heimat ist ein gefährliches Wort.

Die Deutschen. Ein Land am Rande des Chaos

Deutschland stolpert in die Große Koalition – wenn überhaupt. Angela Merkel ist seit dieser Woche eine Kanzlerin, deren Tage gezählt sind. Ihre Partei sieht sehr genau: Die Anführerin ist derart geschwächt, dass sie fast alles verschenken musste, um eine Koalition noch irgendwie zuwege zu bringen. Und danach stürzte noch das kongeniale Duo Martin Schulz und Sigmar Gabriel die SPD in kuriose Turbulenzen und liegen jetzt politisch mausetot auf der Bühne. Die SPD-Mitglieder müssen nun in einer Urabstimmung der Koalition zustimmen. Verweigern sie, steht das Land endgültig im Desaster: Dann sind Neuwahlen wohl unvermeidlich, und die beiden großen Parteien gehen völlig zerzaust in den Wahlkampf. Ein politisches System derart schnell demolieren – das muss man erst einmal hinbekommen.

„Durchschummler“ – die verrohte Sprache der Entsolidarisierung

Wo der Sozialstaat zurückgebaut wird und seine Institutionen delegitimiert, wo das Kollektive in schlechten Ruf gesetzt und der Erfolg nie dem Gemeinsamen und stets der Anstrengung des Einzelnen zugeschrieben wird, da wird der Angsthemmer Sozialstaat durch den Angsttreiber „individuelles Risikomanagement“ ersetzt. Stets hängt alles vom Einzelnen ab, dass der keine Fehler macht, Gefahren frühzeitig erkennt, vorausblickend in sich selbst investiert, seine Kompetenzen aktiv sichert und ja nicht ausschert. Der weiß, wenn es nicht rund läuft, ist niemand anderer schuld als er selbst. Das neoliberale Selbst weiß stets, dass der Boden wankend ist, auf dem sein Hamsterrad steht. Es ist ein Ich, das von der Angst gebeutelt ist.

Einher damit gehen Rhetoriken der Verrohung und Diffamierung. Eine Einheitssprache hat sich durchgesetzt. „Erfolgreiche“ und „Loser“. Und damit werden sofort moralische Urteile verbunden. Der Erfolgreiche ist als ganzes ein gelungener Mensch, der Loser auf eminente Weise abgewertet. Wer arm oder bloß nicht ausreichend erfolgreich ist, dem wird unterstellt, dass ihm selbst das wenige, das er besitzt, nicht wirklich zusteht. Er hat sich zu schämen, und muss sein Armenleben in der Schamzone leben. Er wird unsichtbar gemacht. Es ist diese Ordnung der Diskurse, die es erst ermöglicht, das Anlegen von Daumenschrauben für die Schwächsten als vernünftige Politik auszugeben.

Sebastian Kurz – der Zauberlehrling in der Sackgasse

FS Misik diese Woche mit folgenden Themen: Michael Ludwig hat den Kampf um den SPÖ-Vorsitz in Wien gewonnen. Aber seine härtesten Aufgaben hat er jetzt erst vor sich. Die FPÖ hat innerhalb von sechs Wochen bewiesen, dass sie in einer Regierung nichts verloren hat. Sebastian Kurz ist der Zauberlehrling, der sich in eine Sackgasse manövriert hat und jetzt nicht mehr weiß, wie er herauskommen soll. Die SPÖ sollte ihm die Tolerierung einer Minderheitsregierung für eine bestimmte Zeitspanne anbieten, wenn er zum Wohl des Landes die FPÖ aus der Regierung entfernt.

Warum die Rechten die 60er Jahre so hassen

Die hiesige Rechtsregierung stehe für den Kampf gegen die Ideen von 1968, meint Herbert Kickl. 68 ist für die Adepten der „Konservativen Revolution“ aber natürlich nur eine Chiffre für die 60er-Jahre als Ganzes, für die gesellschaftliche Modernisierung, den sozialen Wandel. Dafür, dass sich der Mainstream des Konventionellen auflöste, dass sich auch die Frauen herausnahmen, das Wort zu ergreifen, eine Chiffre auch für Bewegungen, nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kunst, für das Avantgardistische, für das Antiautoritäre, eine Chiffre auch für vielfältige Befreiungen, etwa eine freie Erziehung. Sie hassen all das, aber vor allem hassen sie den Schwung, der damals herrschte, die Tatsache, dass sie über mehr als ein Jahrzehnt auf verlorenem Posten standen.

Kickl-Gate & Chaos. Der kuriose Fehlstart der Regierung

Menschen sollen in Internierungseinrichtungen „konzentriert gehalten“ werden, sagte der Innenminister Herbert Kickl und wunderte sich, dass irgendwer an irgendetwas denkt, wenn man hierzulande von Lagern und konzentriert in einem Atemzug spricht. Gemein, dabei sei er doch Philosoph, meinte Norbert Hofer. So wie Hegel oder Marx, nur halt unkonzentrierter, deswegen wohl auch ein Philosoph ohne Oeuvre. Wien der Philosophen ohne Oeuvre Was freilich nicht stört, denn Wien ist ja voller Philosophen, die kein Oeuvre haben. So wie ja die Wiener Kaffeehäuser voller Literaten sind, die noch nie einen Text geschrieben haben. Aber vielleicht könnte man ja zumindest die Slogans von Herbert Kickl – „Daham statt Islam“ und Ähnliches – als Buch herausgeben und, damit es ein wenig nach Hegel klingt, mit einem entsprechenden Titel versehen. „Phänomenologie der Geistlosigkeit“ würde sich anbieten. Nun, wir haben wenigstens etwas zum Lachen, auch wenn jetzt offenbar die Lingua Tertii Imperii, die Sprache des Dritten Reiches, zur offiziellen Amtssprache wird – im Österreich des Jahres 2018.

Eine radikale Regierung, die das Land zerreißen will

Drei Wochen nach Antritt der Regierung Kurz und Strache sind die naiven Illusionen, diese Regierung könnte sich normalisieren, zerstoben. Es kommt eher schlimmer, als noch die Pessimisten erwartet haben. Die Regierung zieht stramm nach rechts; statt sich gegenseitig zu bremsen, kombiniert sie vielmehr die schlimmsten Seiten der beiden Koalitionspartner: die Anti-Ausländer-Politik und den rechten Autoritarismus der FPÖ sowie die neoliberale Verachtung der Mittel- und Unterschichten der ÖVP. Noch im Staatsamt propagiert der Vizekanzler ultrarechte Pseudomedien wie unzensuriert.at und husst die Leute gegen Kinder mit dem Namen „Mohammed“ auf, just in einer Woche, in der ein aufgehetzter Internetmob über das Neujahrsbaby Asel herzieht. Und der Kanzler? Während etwa vom Kardinal über den Präsidenten bis zum Oppositionsführer alle klare Worte zu dem Internetmob-Skandal um Asel gefunden haben, war von Kurz bis Stand Sonntagmittag nichts zu hören. Zu einem Skandal, wohlgemerkt, der dem Land bis zur „New York Times“ Schlagzeilen eingebracht hat! Sorry to say, aber so jemand ist kein Kanzler, so jemand ist ein Kanzlerdarsteller. Schade eigentlich, dass die Erde keine Scheibe ist. Noch einen Schritt weiter nämlich, und sie würden dann rechts runterfallen.

Hass, Zorn & Wut. Gefühle in der Eiszeit der Hoffnungslosigkeit

Zum Jahreswechsel nehme ich mal wieder Heiner Müller zur Hand und lasse mich anwehen vom Geist der Dystopie. Die Welt ein Schlachtfeld, die Seelen Verwüstungen. Eine Welt, in der es nur Besiegte gibt. Die Besiegten sind tot. Und die Sieger scheinlebendig, zerfressen, innerlich. In völliger Leere tanzend auf den rauchenden Ruinen. Mitten in der globalen Erwärmung zwar, aber in einer Eiszeit, einer Eiszeit der Hoffnungslosigkeit. Die Reaktion zeigt ihre Zähne. Hütet euch vor den Zahntechnikern. Wie schrieb Brecht? Die Blinden reden von einem Ausweg. Ich sehe. (Robert Misik, 1.1.2018)

Der einzige Weg, wie wir Schwarz-Blau wieder loskriegen

FS Misik Folge 525

Wetten, jetzt wird die Normalisierung und Anpasserei beginnen? „Doch alles nicht so schlimm, dem Kickl, Strache und Co eine Chance geben …“ Die Verteidigung der liberalen Demokratie wird damit zu beginnen haben, gegen diesen Geist des Opportunismus anzukämpfen. Aber das ist nur ein Anfang. Wer zu Schwarz-Blau ein Gegenmodell erkämpfen will, sollte …

… ein attraktives Bild der Zukunft entwerfen und dafür werben.

… strategisch denken und Schicht für Schicht Mehrheiten gewinnen.

… Kraft der Veränderung sein, nicht nur des Verteidigens.

… bedenken: Schluss mit dem Jargon. Raus aus den eigenen Milieus.

… die Kleingruppenkultur bekämpfen, ob in NGOs, Freundeskreisen oder Parteien. … eine simple, verständliche Sprache benützen.

… vor allem als Oppositionspartei eine klare Markenidentität aufbauen und bewahren. Klar, Politik soll nicht mit Kommerzkultur verwechselt werden, aber die Konzerne wissen schon, warum sie Milliarden für Branding ausgeben.

… sich in Storytelling üben. Eine gute Story hat Schurken, Opfer und Helden.

… unbedingt: die Macht der ökonomischen Eliten bekämpfen, sich niemals mit ihnen arrangieren.

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Arbeitszeit: 30 Stunden pro Woche sind genug!

FS Misik Folge 524

Software kann heute Zeitungsartikel schreiben, Fabriken sind automatisiert, Roboter können Häuser bauen, 3D-Drucker Brücken ausdrucken. Das „zweite Maschinenzeitalter“ wird enorme Produktivitätsfortschritte bringen. Der Wohlstand wird wachsen, und wir müssen uns auch nicht davor fürchten, dass uns die Automaten die Arbeit wegnehmen – denn wie schon in der Vergangenheit können neue Maschinen die Menschen von mühseliger Arbeit befreien. Die Voraussetzungen für einen Reichtum sind da, der alles übersteigt, was die Menschheit bisher gekannt hat. Vor 120 Jahren betrug die Arbeitszeit oft noch 70 Stunden die Woche, dann wurde sie nach und nach auf 60, dann auf 50 und später auf 40 Stunden reduziert. Immer haben die Unternehmen prophezeit, es werde die Welt untergehen. Aber in Wirklichkeit waren das die besten Jahre des industriellen Kapitalismus. Doch seit beinahe 40 Jahren ist die Reduktion der Arbeitszeit ins Stocken geraten. Denn wieder heißt es: Die Firmen könnten sich eine Arbeitszeitverkürzung nicht leisten. Und just in dieser Zeit sollen wir eine zunehmende Verlängerung der Arbeitszeit diskutieren auf bis zu 60 Stunden die Woche, zwölf Stunden am Tag und mit Ruhezeiten von nur acht Stunden? Wie bescheuert ist das denn? Das Gegenteil wäre richtig: endlich weiter voranschreiten mit der Reduktion der Normalarbeitszeit, fürs Erste auf 30 Stunden. Und, wer weiß, vielleicht ist ja der Slogan der Zukunft: 20 Stunden sind genug. In jedem Fall werden wir zu hören bekommen: zu teuer, Weltuntergang. Das Gleiche eben, was man Generationen vor uns schon gesagt hat. Die gut daran taten, diesem Unsinn keine Beachtung zu schenken.