„Schön dass Du geboren bist…“

Meine taz-Kolumne zum 200. Geburtstag von Karl Marx

Die 50-Jahre-Achtundsechziger-Gedenktage haben ihren ersten Höhepunkt hinter sich, und schon rollen die 200-Jahre-Karl-Marx-Festivitäten auf uns zu. In seiner Geburtsstadt Trier stellten sie am Geburtstag die Marx-Statue auf, die der Stadt von den Chinesen geschenkt wurde. Dieses Standbild im Stile des pathetischen Pseudorealismus ist geradezu eine Verkörperung der Paradoxien unserer Zeit. Die Trierer Lokalpolitik steckte in dem Dilemma, dass ihr die Annahme des Präsentes ebenso peinlich gewesen ist wie dessen potentielle Ablehnung, zumal eine Absage an die chinesischen Parteikommunisten ein Affront gewesen wäre und Tourismus und Handelsbeziehungen mit der aufstrebenden wirtschaftlichen Weltmacht China belasten hätte können. Schöne Pointe: Man muss dem guten alten Karlchen ein Denkmal setzen, um keine kapitalistischen Absatzmärkte zu gefährden. Big Old Rauschebart hätte seine helle Freude an einer solchen Verrücktheit.

Der wusste ja schon in seinen legendären „Grundrissen“, dass im entwickelten kapitalistischen Weltmarkt „die Verrücktheit (für) das praktische Leben der Völker bestimmend“ würde.

Während der Rückblick auf die 68er bestenfalls von jener nostalgischen Zärtlichkeit ist, mit der man sich an die eigene Pubertät erinnert – mitsamt ihren sympathischen Verirrungen -, und kaum jemand fragt, ob das Exempel von 1968 irgendetwas für unsere Gegenwart zu bedeuten hat, so ist das Marx-Gedenken von einer ganz anderen Art: Stets schwingt die Frage mit, und sei es nur als Verdacht, dass uns der Alte für heute noch gehörig etwas zu sagen habe. Dass einer wie er fehlt. Das ist allein ja schon bemerkenswert bei einem, der mehr als 130 Jahre tot ist.

Einer der Giganten der Geistesgeschichte ist er sowieso. In Philosophie, Soziologie, Politikwissenschaften, in Ökonomie – also im gesamten modernen Denken -, hat er dem Wissen einen neuen Kontinent eröffnet.

Marx lesen ist immer noch der beste Beginn, um denken zu lernen. Seine ungebrochene Größe besteht in seiner Methodik, soziale Prozesse zu verstehen. Dass viele Akteure Handlungen setzen, manche bewusst geplante, andere eher instinktive; vom politischen Agieren bis zur Profitmaximierung, von neuesten technologischen Erfindungen bis zum Kampf um höhere Löhne oder bessere Arbeitszeiten. Diese unzähligen Impulse summieren sich zu einem neuen Arrangement, das aber von niemanden geplant war, das kapitalistische Verhältnis ist ein „Verhältnis von Verhältnissen“, oder, wie Marx-Buddy Engels einmal schrieb, „eine Wechselwirkung“ und eine „unendliche Menge von Zufälligkeiten“, die zwar alle ein Resultat von Einzelwillen seien, wobei aber etwas heraus kommt, „das keiner gewollt hat“.

Was aber logisch heißt: Mit Überraschungen ist stets zu rechnen und so etwas wie eine stabile Lage existiert nicht. Auch in stabilen Lagen tun unzählige Akteure irgend etwas, was die Stabilität untergräbt. „Weil es so ist, bleibt es nicht so“, sagte Brecht einmal, was ja etwas ganz anderes heißt als beispielsweise „weil es schlecht ist, bleibt es nicht so“. Sondern: Weil jeder Status quo ein Kraftfeld ist, wird es nicht so bleiben, und jedes Agieren wird paradoxe Folgen haben.

Witziger Kerl war dieser Marx auch, und wir haben stets ein falsches Bild von ihm, weil die einzigen Fotos einen Ehrfurcht erweckenden alten Rauschebart zeigen. Aber der Typ war ja primär jung. 24, als er für die Rheinische Zeitung zu schreiben begann, 26, als er die berühmten „Pariser Manuskripte“ schrieb, keine dreißig, als er das Kommunistische Manifest hinkritzelte. Betrunken schlug er schon mal spaßeshalber mit Steinen die Gaslaternen ein.

Einer der schönsten Marx-Texte ist jener über „produktive Arbeit“, der das Prozessdenken des Autors auf die ironische Spitze treibt: „Ein Philosoph produziert Ideen, ein Poet Gedichte, ein Pastor Predigten, ein Professor Kompendien usw. Ein Verbrecher produziert Verbrechen.“ Aber der Verbrecher produziert nicht nur Verbrechen, er produziert auch das Kriminalrecht, er produziert auch den Professor, der Vorlesungen über Kriminalrecht hält, und damit die Kompendien, die der Professor schreibt. „Der Verbrecher produziert ferner die ganze Polizei und Kriminaljustiz, Schergen, Richter, Henker, Geschworene…“ Der Verbrecher produziert auch moralische Gefühle, und sei es bloß aus Ablehnung, und natürlich schöne Literatur, wären doch Schillers „Räuber“ ohne ihn nicht denkbar. Der Verbrecher trägt seinen Teil zur Steigerung der Produktivkräfte bei: „Wären Schlösser je zu ihrer jetzigen Vollkommenheit gediehn, wenn es keine Diebe gäbe?“

Wer ein wenig marxistoid ist, der wird so gesehen stets einen Grundoptimismus bewahren: Es gibt nichts, was nicht auch seine positiven Seiten hätte. Oder zumindest fast nichts.

Ächtet die Hetzer

Wir haben nichts zu befürchten als die Mutlosigkeit der Vernünftigen. Der rote Faden, meine Kolumne aus der taz. Juni 2018

Ächtet die Hetzer. Ja, man muss das wieder einmal sagen. Ächtet die Hetzer. Tut man es nicht, haben sie bald ein Bein in der Tür. Wackelt man nur ein wenig, dann gerät alles ins Rutschen, wie auf einer schiefen Bahn. Und dann kann man gar nicht so schnell schauen, schon öffnet sich ein Abgrund, der alles zu verschlingen droht. Also: Ächtet die Hetzer.

Gibt man ihren Thematiken nur den Anschein der Legitimität, dann hat man im Handumdrehen eine Lage, die Georg Diez in seiner „Spiegel“-Kolumne jüngst so beschrieb: „Die Frage also, ob man mit Rechten reden soll, stellt sich gar nicht mehr, wenn die meisten eh schon wie Rechte reden.“ Die rechten Hetzer, autoritären Staatsumbauer und Gesellschaftszerspalter zerstören Liberalität, Rechtsstaat und Demokratie, aber nicht deshalb, weil sie so gute Argumente haben oder selbst so klasse sind, sondern sie sind deshalb erfolgreich, weil die Demokraten nicht entschieden genug sind. Das heißt aber auch: Wir haben nichts zu befürchten, außer die Mutlosigkeit der Vernünftigen.

Die aber wirklich.

Seit Jahr und Tag schon tun alle irgendwie so, als hätten die rechten Extremisten halb recht. Wir debattieren ihre Themen, in Medien und Journalismus, die demokratische Politik tut es auch. Ob wir denn zu tolerant seien, und zwar nicht gegenüber den rechten Extremisten, sondern gegenüber dem Islam wird da gefragt. Gerne wird die Phrase bemüht, man müsse „die Ängste und Sorgen der Menschen“ ernst nehmen, womit meist Ängste gemeint sind, von denen die Menschen nicht einmal wüssten, dass man sie haben kann, würden sie ihnen vom Propaganda-Pingpong der Rechtsradikalen und der Angstmedien nicht dauernd eingebläut. Besonders beliebt ist die Phrase, „wir können doch nicht alle nehmen“, eine Phrase, die wahrscheinlich die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen soll. Aber wer noch einmal genau hat gesagt, wir sollten „alle“ aufnehmen? Ah, eh niemand? Nun, entgegnen jene, die dann beim Dreschen dieser Phrase erwischt werden, wenn das denn sowieso eine Nullaussage ist, dann brauche man sich doch darüber nicht echauffieren. Aber warum drischt man so eine Phrase denn dann? Man könnte doch auch sagen: „Wir sollen nicht foltern und auch keine Erschießungskommandos aufstellen“, oder sonstiges Zeug, dass nie jemand gefordert hat. Tut man aber nicht. Somit hat die Phrase schon einen Sinn, der ist aber jenseits dessen, was sie buchstäblich ausdrückt. Sie heißt: Wir, die Demokraten hatten vielleicht unrecht, und die radikalen Rechten haben recht. Sie stiftet Verwirrung in den eigenen Reihen, untergräbt das Selbstbewusstsein der Verteidiger des Pluralismus und stärkt das Selbstbewußtsein der radikalen Rechten.

Die Frontkämpfer der illiberalen Demokratie gehen entsprechend stolzgeschwellt durch die Welt. Sie haben ein Projekt: Die Uhren zurück zu drehen. Alles, was ihnen nicht passt, aus dem Diskurs zu vertreiben. Pluralismus abschaffen. 68 ungeschehen machen. In den Redaktionsstuben aufräumen. Die kritische Kunst mundtot machen. Die Feinde des Volkes, wie sie das nennen – bis hin zu Verfassungsrichtern, die Minderheitenrechte hoch halten. Von Orban bis Trump, von Kurz bis Strache und bis zur Koalition der Irren in Italien haben sie genügend Erfolge erzielt in den vergangenen Jahren. Und die Demokraten sind verzagt, weil sie das Gefühl haben, dass es nicht gerade in ihrem Sinne läuft zur Zeit.

Und übernehmen, schwächelnd, den Diskurs der Rechten, gelegentlich explizit, viel öfter aber noch implizit, im Sinne dass man sich ihre Agenda aufzwingen lässt, statt dass man sagt, dass man niemals mit solchen Leute auch nur ein gemeinsames Gesprächsthema hat, außer vielleicht das Thema: Wieso waren wir zu lange zu tolerant mit den Rechtsradikalen? Man diskutiert über die Angemessenheit der rechten Parolen, statt deutlich zu machen, dass sich die Parolenschmiede außerhalb des Diskurses der anständigen Menschen stellen. Man tut so, als wären Demokratie, Liberalität, Rechtsstaat, Diversität und Wertepluralismus irgendwelche Schwächen, die es natürlich, wie das bei Schwächen so ist, schwer haben, sich zu behaupten. Irgendwelche defizitären Kompliziertheiten, wie sie das Leben leider so mit sich bringt. Muss man echt daran erinnern, dass das keine Schwächen sind, sondern Stärken? All das macht unsere Gesellschaften lebenswert. Muss verteidigt werden. Hätte sich leidenschaftlichere Verteidiger verdient.

Und klar ist es mit Verteidigung nicht getan. Den Freunden der Demokratie darf es nie um die Verteidigung des Status quo allein, es muss ihnen immer auch um seine Verbesserung gehen. Gerne auch radikal, wenn es mit der faden Gemäßigtheit nicht mehr geht, wie das Bernd Ulrich in der „Zeit“ schrieb. Aber die Feinde von Pluralismus und Liberalität sind nicht Gesprächspartner der Demokraten. Sondern ihre Gegner.

Kontrollverlust

Was heisst das eigentlich: Die „Kontrolle über das eigene Leben verlieren“? Der rote Faden, meine Kolumne aus der taz, Mai 2018

Der schrille Schneider Karl Lagerfeld sagte unlängst einem französischen Blatt, „ich hasse Merkel“. Irgendwie für ihre Flüchtlingspolitik, aber vor allem, weil diese Flüchtlingspolitik Nazis in Parlamente gebracht hätte. Vielleicht hasst er ja die Nazis und die Anti-Nazis, was weiß man. Wenn man Freude am Hassen hat, dann umso besser, wenn man eine ganze Armada an Hassobjekten hat. Schnell wurde herausgefunden, dass es derselbe Lagerfeld war, der einmal sagte: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“

„Spiegel“-Kollege Hasnain Kazim stichelte daraufhin auf Twitter: „Wenn ein Modemacher anfängt, dummes Zeug über Dinge zu reden, von denen er nichts versteht, hat er die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Er erhielt dafür viele schöne Hasspostings, aber die ist Kazim ja schon gewohnt.

Da ich die Eigenart habe, bei solchen Debatten schnell von der Hauptsache zu den Nebentönen abzuschweifen, begann ich mir sofort Gedanken über diese seltsame Wendung zu machen: „…die Kontrolle über das eigene Leben verloren.“ Wie kommt es, dass die Wendung zur Verächtlichmachung taugt?

Das Sprachbild vom Kontrollverlust geistert ja durch viele Debatten. Im neoliberalen Kapitalismus, in dem stets alles auf Messers Schneide steht, in dem man nie langfristig auf etwas bauen kann, in dem Karrieren, Jobprofile, Arbeitsstellen, Mietverträge und Lebenspartnerschaften stets nur befristet und mit Ablaufdatum (aber eben keinem exakten) versehen sind, empfinden die Menschen Kontrollverlust. Auch an der Flüchtlingswelle haben viele Menschen, so wird jedenfalls behauptet, vor allem die Bilder vom „Kontrollverlust“ als verstörend erlebt. Und die Brexit-Befürworter in Großbritannien gewannen ihre Kampagne mit der Parole, es gelte „die Kontrolle zurück zu gewinnen“. Soll heißen: Statt Spielball supranationaler Kräfte und undurchschaubarer Institutionensgeflechte soll wieder nationalstaatliche Kontrolle zurück gewonnen werden. In einer zunehmend unkontrollierbaren Lebenswelt die Kontrolle zu behalten oder zurück zu gewinnen – das scheint gerade ein Thema zu sein.

Nun stellt sich natürlich die Frage, was das überhaupt sein soll: „Kontrolle.“ Völlige Kontrolle haben wir nie und hatten die Menschen auch nie. Selbst wer im scheinbar stabilen Wohlstand lebt, der hat das Wissen darüber (ein Wissen, das wir natürlich gerne verdrängen), dass das Unwägbare jederzeit in die Stabilität einbrechen kann. Trennung, Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, eine Feuersbrunst, ein Autounfall, irgend etwas, was uns aus der Bahn wirft. Aber der Verdacht, dass alles nur auf Messers Schneide steht, scheint dennoch heute mehr zu grassieren, sich in das Leben vieler hineinzufressen.

Auf der Mikroebene des persönlichen Lebens, aber auch auf der Makroebene der „Weltrisikogesellschaft“, und die verschiedenen Sphären der Kontrollverlusts-Diagnose scheinen sich gegenseitig aufzuschaukeln. Globalisierung heißt auch, dass die Welt als Netzwerk von Kräften wahrgenommen wird, als Kraftfeld, in dem unzählige Vektoren wirken, die schlichtweg niemand unter Kontrolle haben kann. Die Kontrollphantasie, die man im Nationalstaat noch haben konnte, erscheint auf globaler Ebene nur mehr als irreale Wahnidee. Die schwindende Kontrolle, die man über die eigenen Lebenspraxen empfindet, und die schwindende Kontrolle, die man den politischen Eliten attestiert, kumuliert zu einer Art Gesamtpanorama.

Die Geschichte der Menschheit ist sowieso auch die Geschichte des Versuchs, die Risiken zu kontrollieren. Ganze Wirtschaftszweige verdanken dem Bedürfnis nach Sicherheit ihre Existenz – allen voran die Versicherungswirtschaft.

So gesehen ist es geradezu bizarr, dass wir zugleich das permanente Hohelied auf die Beweglichkeit singen, jene preisen, die die Pfade des Gewohnten verlassen und Risiken eingehen. Denn natürlich sind wir dafür nicht gemacht: Radikale Unsicherheit lähmt, erst die relative Kontrolle erlaubt, kalkulierbare Wagnisse einzugehen.

Aber Sicherheit und „Kontrolle über das eigene Leben“ sind nicht identisch. Forscher wissen, dass Menschen dann so etwas wie Glück oder Zufriedenheit empfinden, wenn sie das Gefühl haben, bestimmenden Einfluss auf wesentliche Stützen ihres Lebens nehmen zu können. Etwa am Arbeitsplatz: Wer nur einem Kommando von Befehl und Gehorsam unterworfen ist, sich nur als Rädchen im einen Räderwerk empfindet, wird unglücklich. Wer das Gefühl hat, zumindest zu einem gewissen Grad bestimmend eingreifen zu können, ist zufriedener.

All das ist sowieso immer in prekärer Balance: Seit Freud wissen wir, dass wir nicht einmal die Kontrolle über unser Innerstes haben, unser Unbewusstes, unsere Neurosen, unseren emotionalen Stil. Freuds Erkenntnis, dass das Ich nicht Herr im eigenen Haus ist, ist ja vielleicht die größte narzistische Kränkung der Neuzeit.

Sind Sie einsam?

Der rote Faden, meine Kolumne aus der taz

In der Gesellschaft der Singularitäten, wie das Andreas Reckwitz in seiner gefeierten Studie nennt, herrscht uns von Kindesbeinen der Zeitgeist an, dass wir etwas Besonderes sein sollen. Wir nehmen weniger auf das Bedacht, was uns mit anderen verbindet und uns ihnen ähnlich macht, sondern mehr darauf, was uns einzigartig macht, also von anderen unterscheidet. Dass das Fäden und informelle Bande zerreißt, ist naheliegend. Man kann das Ergebnis eine Gesellschaft der Total-Individualisierung nennen, wenn man mag. Das individualisierte Individuum genießt die Individualisierung und leidet zugleich unter ihr. In der Politik kommt das dann so an, dass man parolenhaft den „sozialen Zusammenhalt“ beschwört, ohne dass recht klar wird, wie der denn wirklich hergestellt werden soll.

Es ist wahrscheinlich kein Wunder, dass die Politik gerade in diesen Zeiten beginnt, die „Einsamkeit“ als gesellschaftliches und somit auch politisches Problem zu definieren. In Großbritannien haben sie jetzt sogar eine Einsamkeitsministerin, also eine Ministerin, die sich neben den Aufgabengebieten Sport und Zivilgesellschaft dem Kampf gegen Einsamkeit widmet. Gekommen ist das so: die energetische Labour-Politikerin Jo Cox, die sich als Studentin fürchterlich einsam fühlte, hatte sich das Thema auf die Fahnen geschrieben. Sie hatte eine Kommission gegründet, die sich mit der Erforschung des Themas befassen sollte. Dann wurde Cox von einem rechtsradikalen Wutbürger ermordet und das Thema wurde zu ihrem Erbe. Ihr Witwer führte die Kommission weiter, zur Ehrung der Ermordeten machten fast alle politischen und gesellschaftlichen Akteure mit. Sind Sie einsam? weiterlesen

Antidemokratie. Und woher sie kommt.

Der Rote Faden, meine Kolumne in der taz vom März 18

Forscher vom Berliner „Progressiven Zentrum“ haben unlängst eine Studie veröffentlich, die für einiges Aufsehen gesorgt hat. Sie haben an 5000 Wohnungstüren geklopft, und zwar vor allem in jenen Vierteln, in denen der Verdruss an der etablierten Politik besonders hoch und der Anteil von AfD-Wählern entsprechend ist. 500 Leute konnten sie in längere Gespräche verwickeln. Nicht wenige waren sogar froh, einmal so richtig reden zu können – denn so oft kommt es ja nicht vor, dass sich jemand für sie interessiert. Und die Ergebnisse der Studie sind beredt.

Das Resumee der Forscher, kurz zusammen gefasst: Auch wenn in den öffentlichen Metadiskursen Themen wie „Migration“, „Ausländer“, „der Islam“ überwiegen, sind diese Thematiken den Leuten letztendlich eher unwichtig. Was sie beklagen ist der Verlust an sozialen Netzwerken in ihrer Lebenswelt, dass sich die Politik aus den Vierteln zurück gezogen hat, dass sie das Gefühl haben, dass sich niemand mehr für sie interessiert. „Viele Befragte glauben, dass sozial und geographisch Gesellschaftsräume entstanden sind, aus denen sich die Politik zurückgezogen hat“, heißt es in der Studie: „Esn herrscht ein Gefühl des Verlassenseins.“

Die Metathematiken zahlen allenfalls in diese Deutung ein, etwa seit der Flüchtlingskrise vor drei Jahren, und zwar in Form folgender Assoziationskette: ‚Während sich für uns überhaupt niemand interessiert, wird Migrantinnen und Migranten sofort geholfen.‘ Aber sobald man ein wenig an der Oberfläche kratzt, wird klar: Nicht, dass Migranten geholfen wird, regt die Leute primär auf, sondern dass sie das Gefühl haben, dass ihnen nicht einmal jemand zuhört. Dass sich für sie niemand interessiert. Dass da niemand ist, der in der Nähe wäre, erreichbar wäre. Antidemokratie. Und woher sie kommt. weiterlesen

Lebe, liebe, und tue beides intensiv!

Taz, der Rote Faden, vom März 2018

In seinem berühmten Buch „Das Ende der Geschichte“ formulierte Francis Fukuyama den eigentümlichen Gedanken, es wäre denkbar, dass die Geschichte wieder in Gang komme, wenn zu viel Langeweile um sich greife. Wir sind heute Zeugen von Geschehnissen, die diesen Gedanken verständlicher machen. Die liberale Demokratie, die auf marktwirtschaftlicher Ordnung basierte, etablierte einen Trott ohne Spannung, Regierungen wurden gewählt, abgewählt, neue gewählt, aber dieser demokratische Prozess war weitgehend ohne Intensität. Bis dann plötzlich mit einem Mal alles in einem seltsamen Moment aus dem Lot geriet und innerhalb weniger Jahre in verschiedenen Demokratien die pluralistische Demokratie selbst von ihren Feinden herausgefordert wurde. Vielleicht auch, weil zu viel Stabilität einfach langweilig ist?

Wir Menschen der Jetztzeit sind für den Trott nicht gemacht. Wenn nichts geschieht, sehnen wir uns danach, dass sich etwas ereignen möge.

Die amerikanische Großessayistin Susan Sontag, die man auch eine Ikone der Intensität nennen kann, hielt immer die Intensität des Erlebens hoch. Auch ein wüster, noch nie gedachter Gedanke kann diese Intensität bieten. Von „intellektueller Ekstase“ sprach Sontag. Das „Ideal der Intensität“ steht bei ihr gegenüber der Langeweile, der Abgedroschenheit, dem Alltäglichen, dem Zahmen. Lebe, liebe, und tue beides intensiv! weiterlesen

Partei der Hoffnung werden

Selten war der Zustand der europäischen Linken so desolat wie heute. Höchste Zeit für einen fundamentalen Neuanfang. taz, 24. 2. 2018

Die Diagnose, dass die Linke in einer Krise sei, ist fast so alt wie alle heute lebenden Linken. Sie hat für sich genommen also keinen großen Neuigkeitswert mehr. Aber seien wir ehrlich: So desolat wie im Augenblick waren die politischen Kräfte links der Mitte noch nie in Europa. Sozialdemokratien schrammen an der Zwanzig-Prozent-Marke herum, wenn sie nicht gleich völlig untergehen, wie die einstmals glorreichen französischen Sozialisten oder die niederländische Partij van de Arbeid, die zuletzt gerade noch 5,7 Prozent der Wählerstimmen holte. Die griechische PASOK ist faktisch nicht mehr. Die österreichischen Sozialdemokraten könnten da auf ihre 27 Prozent bei der jüngsten Nationalratswahl noch stolz sein, wären sie nicht auf den zweiten Platz und in die Opposition gefallen, was zur Bildung einer rechts-ultrarechten Koalition führte, die das Land umpflügen will. Dagegen rangelt die SPD gerade mit der AfD um Platz zwei in den Umfragen.

Linke Parteien jenseits der Sozialdemokratie können dieses Vakuum nirgendwo auffüllen, die deutsche „Die Linke“ stagniert seit Jahren bei zehn Prozent und hat das Anti-System-Oppositionsmonopol an die extreme Rechte verloren. Allein im Sonderfall Griechenland gelang es der linken Syriza zumindest für einige Jahre, zur neuen hegemonialen Kraft zu werden.

Hatte man vor ein paar Jahren noch auf die Möglichkeit setzen können, eine neue Allianz sozialdemokratischer und linker Regierungen von Portugal über Griechenland bis Schweden, Österreich und Frankreich zu etablieren, ist heute von einer solchen Achse nur mehr ein Trümmerfeld übrig. Allein die britische Labour Party unter Jeremy Corbyn ist eine überraschende Erfolgsgeschichte. Partei der Hoffnung werden weiterlesen

In der Gehirnwaschmaschine

Der rote Faden, meine Kolumne aus der taz. 30. Dezember 2017

Im Wienerischen gibt es das schöne Wort „restfett“, wenn von der Betrunkenheit („Fettn“) des Vortages auch nach dem Ausnüchterungsschlaf noch ein gewisser Pegel übrig geblieben ist. In dem Sinn bin ich vielleicht ein wenig „resthegelianisch“, weil bei mir vom teleologischen Fortschrittsglauben, dass nämlich die Menschheit auf einem aufsteigenden Ast wandere, zumindest ein habitueller Optimismus noch übrig geblieben ist. Eine Jammersuse, die deprimiert im Eck sitzt, bin ich nicht. Pessimismus ist mir fremd.

Diese gewisse Fröhlichkeit, in der Realität, die bunt und grau zugleich ist, in der das Widersprüchliche gleichzeitig und nebeneinander existiert, primär das Positive zu sehen und sich vom Negativen nicht übermannen zu lassen, ist in diesem Jahr oder den vergangenen 14 Monaten auf eine harte Probe gestellt worden. Sie muss aber verteidigt werden, und sei es mit Autosuggestion, die ja auch nichts anderes als eine Selbstverteidigung ist, denn der Negativismus macht die Luft nicht besser, er hat keine Kraft, er frisst sich auch in die Seele hinein.

Vor einem Jahr trat Donald Trump in den USA an, und schnell konnte man hören, dass es doch nicht so schlimm kommen werde, man ihn doch arbeiten lassen solle. Das Unerhörte wurde rhetorisch normalisiert. Diese Normalisierung ist der mentale Modus der Opportunisten, die nicht opponieren, sondern sich arrangieren wollen. Auch er kolonisiert langsam das Herz und dann das Hirn.

In Österreich haben wir jetzt eine Rechts-Ultrarechts-Regierung mit Sebastian Kurz an der Spitze, unserem Baby-Orban, der seine Partei stramm nach rechts geführt hat. Er regiert mit der rechtsradikalen FPÖ, der er auch noch wichtige Ministerien überließ. Als Innenminister amtiert ab jetzt ein Rechtsradikaler, der selbst in seiner Partei eher zu den schlimmen, bösen Fingern zählt. In die Ministerkabinette ziehen Betreiber von Hass-Seiten im Internet ein, und nicht wenige haben eine Vergangenheit in Österreichs früherer Neonazi-Truppe, der „Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition“. Weil uns der Humor nicht ausgeht scherzen wir schon, diese VAPO hat nun endgültig ausgespielt, weil sie ja nunmehr weder außerparlamentarisch noch Opposition ist. Und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist als Vizekanzler auch noch für Beamte und Sport zuständig (was für eine schöne Gegenstrebigkeit, sind doch Beamte gewissermaßen das Gegenteil von Sport), aber die Zuständigkeit passt schon, denn zumindest mit Wehrsportübungen kennt er sich aus.

Dem Wahlausgang und der entsprechenden Regierungsbildung ging eine zweijährige Kampagne von ÖVP, FPÖ und den in Österreich dominanten Revolverblättern voraus, eine beispiellose Hetzkampagne, die die Bevölkerung mit Anti-Ausländer-Storys bombardierte, mit einer Flut an Fake-News, mit dem täglichen Nachrichten von irgendwelchen Untaten, die schon wieder irgendwelche Flüchtlinge und Migranten verübt hätten. Nicht, dass alle diese Nachrichten erfunden waren, aber jeder einzelne Fall wurde ausgeschlachtet, auch jede Rauferei und jeder Kriminalfall wurde in das Narrativ von Sicherheitsproblem, Kontrollverlust, Ausländerüberflutung hineingepasst. Selbst akkurate News, also nicht im strengen Sinne Fake-News, wurden so montiert, dass es in Summe eine Fake-Reality zeichnet. Die sichersten Viertel dieses Globus wurden in dieser politmedial produzierten Fake-Reality zu No-Go-Areas und Bürgerkriegsgebieten umphantasiert. Und auch die sogenannten Qualitätsmedien kamen dem nicht aus, denn wenn in einer großen Kampagne nur mehr vom „Ausländerproblem“ als gesellschaftlichem Hauptproblem die Rede ist, kommt man nur mehr schwer mit dem Einwand durch, dass eigentlich diejenigen, die diese Kampagne führen, das Hauptproblem seien. Sondern es wird langsam und schleichend akzeptiert, dass von Ausländern als Problem geschrieben wird. Die Gegenposition wird dann gar nicht mehr vertreten, auch von den anderen Parteien nicht. Sie passen sich an. „Wann wurde das eigentlich üblich, von Flüchtlingen so zu sprechen als handele es sich um eine Termitenplage?“ fragte ein sarkastischer Kopf auf Twitter.

Kurzum: Was wir hier erlebt haben war eine großangelegte Gehirnwäsche der Bevölkerung.

„Die Welt ist von einer Angst-Epidemie befallen“, sagte Hartmut Rosa vor ein paar Tagen in der „Frankfurter Rundschau“. Darüber zu jammern wird aber nicht reichen, selbst bloßes „Dagegenhalten“ nicht. Wir brauchen ein packendes Bild einer Zukunft, in der die Menschen mehr Chancen, sicheren Boden unter den Füßen haben, in lebendigen Gemeinwesen, mit mehr Demokratie, Ideen eines Zusammenlebens, und wir müssen für diese packenden Ideen die Menschen gewinnen. Also Angst durch Zuversicht ersetzen. Das wäre ja ein kleines Projekt fürs nächste Jahr.

Wie erkennt man einen Rechtsruck?

Der Rote Faden, meine Kolumne in der taz vom 4. November 2017

Die Wirklichkeit liefert uns Eindrücke und manchmal sogar harte Fakten, die den Eindruck erwecken, sie böten ein klares, eindeutiges Bild, das nach keiner Interpretation mehr verlangt. Unlängst sprang mir im Internet eine dieser schönen Tortengrafiken ins Auge. Sie zeigten die Repräsentanz von Frauen im Fernsehen. In den Alterskohorten zwischen zehn und vierzig Jahren ist die Repräsentanz von Frauen beziehungsweise Mädchen ziemlich gleich gegenüber der der Männer und Jungs, aber bei den Ü-40 sind dann plötzlich 66 Prozent der Personen männlich, bei den Ü-50 sind es 76 Prozent Männer und bei den Ü-60 dann schon 80 Prozent Männer. Botschaft: Wenn Frauen alt werden, will sie keiner mehr sehen, bei Männern ist das anders. Und das ist ja sicherlich richtig. Aber dann begann ich nachzudenken. Was heißt eigentlich „im TV“? Nachrichtensprecherinnen, Moderatoren, Filmschauspielerinnen, Akteure von Beauty-Shows, Polit-Talkshows? Das ist ja eine ziemliche Bandbreite. Und sagt die Statistik zweifelsfrei dass es heute einen eklatanten Alterssexismus (oder gar Altersrassismus) gibt, dessen Opfer vor allem Frauen sind? Die Statistik könnte ja zumindest theoretisch auch etwas anderes zeigen: Etwa, dass es vor dreißig Jahren kaum Journalistinnen, Chefredakteurinnen und Politikerinnen gab, weshalb gerade unter den Ü-50 und Ü-60 die Männer in den Talk-Shows auch heute überrepräsentiert sind. Dann zeigt die Statistik aber eher die Langzeitwirkungen des Sexismus von vor dreißig Jahren und sie zeigt zugleich, dass es bei den jüngeren Kohorten schon viel besser ist.

Ich will gar nicht behaupten, dass das so ist. Ich will nur darauf hinweisen, dass Statistiken und Daten nicht immer das zeigen, was man auf dem ersten Blick zu erkennen glaubt.

Vielleicht habe ich mich mit der eher nebensächlichen Statistik auch nur deshalb beschäftigt, um mich von den politischen Erschütterungen in meinem Land etwas abzulenken. Wir haben in Österreich ja vor drei Wochen gewählt, und das brachte einen ziemlichen Erdrutsch. Die scharf nach rechts gewendete konservative Volkspartei holte unter ihrem neuen Wunderknaben Sebastian Kurz 31 Prozent und damit den ersten Platz, die Sozialdemokraten stagnierten bei 27 Prozent, die rechtsradikale FPÖ stieg auch noch auf 25 Prozent an und die Grünen flogen gleich aus dem Parlament. Jetzt verhandeln Rechte und ganz Rechte über eine Rechts-Rechts-Koalition unter einem Kanzler Sebastian Kurz. Orbanisierung steht im Raum. Keine rosige Zukunftsaussicht.

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Das Land erlebte also einen Rechtsrutsch. Das Wahlergebnis und die verschiedenen anderen Daten, die die Demoskopen so erheben, lassen einen schnörkellosen Schluss zu: Es gibt eine rechte Diskurs- und Themenhegemonie im Land. Österreich ist einfach gesellschaftlich nach rechts gerutscht. Und das Wahlergebnis ist einfach der Ausdruck dieser atmosphärischen Stimmungslage. Wie erkennt man einen Rechtsruck? weiterlesen

Wie der Wahlkampf aus dem Ruder geriet

Kern vs. Kurz vs. Strache. Mein taz-Report, drei Tage vor den österreichischen Nationalratswahlen.

Die jungen Fans in den türkisen Jacken mit den türkisen Luftballons jubeln und klatschen. „Es ist Zeit“, steht in großen schwarzen Lettern auf dem türkisen Autobus, der sich langsam mit eingeschalteter Alarmblinkanlage heranschiebt. Das sieht ein bisschen so aus, als würde der Bus den Leuten zuzwinkern. Dann hält das Monstrum an. Die Tür geht auf. Und Sebastian Kurz springt heraus. Mit dieser einstudierten Energetik, wie sie erfolgreichen Wahlkämpfern eigen ist. Mit diesem Lächeln. Mit diesem Blick, der jedem den Eindruck geben soll, dass ihm in diesem Moment die volle Aufmerksamkeit gehört. Mit dieser Professionalität, die zugleich die totale Glätte ist. Der Kandidat schiebt sich über den roten Teppich, den der TV-Sender Puls 4 extra ausgerollt hat. Menschengewusle. Stolpernde Kameramänner. Fotografen, die ihre Fotoapparate hochhalten. Aber natürlich ist die gesamte Szenerie eine einzige, große Bildproduktion. Hier kommt der Neue. Hier kommt der Junge. Hier kommt der Winner. Das ist die Botschaft, die diese Bilder schicken sollen.

Es ist Sonntag dieser Woche und es ist einer der Höhepunkte des österreichischen Nationalratswahlkampfes. Sebastian Kurz, der neue Obmann der ÖVP, trifft im TV-Duell auf den Kanzler und Amtsinhaber Christian Kern, den Sozialdemokraten. Und danach auf Heinz-Christian Strache von der Rechtsaußenpartei FPÖ. Der Startschuss zur letzten Wahlkampfwoche.

Nichts Unübliches also. Die Inszenierungen, das Schlagabtauschen im Fernsehen vor laufenden Kameras. Wahlkampfroutine.

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Aber doch ist nichts normal in diesem irren Wahlkampf, der sich dieser Tage in Österreich entfaltet.

Rückblende, Ende August. Illmitz im Südburgenland. Wohin immer Christian Kern kommt, erwarten ihn Menschentrauben. In der Pusztascheune stapeln sich 500 Gäste, die zum örtlichen Wahlkampfevent der „Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter“ gekommen sind. Hier ist nicht die Großstadtsozialdemokratie zu Hause, sondern die Sozis aus der Provinz, da, wo jeder jeden kennt und es noch ein wenig wie von gestern wirkt. Der Kanzler kommt nur schrittweise weiter. Fast jeder will ein Selfie mit dem SPÖ-Vorsitzenden. Kern erzählt vom „österreichischen Traum“, dem Traum, dass es jeder schaffen kann, in welche Umstände oder Familien er hinein geboren ist. Dem Traum vom sozialen Aufstieg, an den die Menschen den Glauben verloren haben in der neoliberalen Wettbewerbsgesellschaft, die nur dazu führt, dass die Reichen reicher werden. Kern erzählt seine Geschichte, die Geschichte vom Arbeiterbuben aus dem Proletarierbezirk Simmering, der es bis aufs Gymnasium, zum Abitur, auf die Universität geschafft hat und der später dann CEO der Bundesbahn geworden ist. Er erzählt das mit einfachen Worten, und die Gewerkschafter hören ihm lange und aufmerksam zu. Es ist eher eine stille Rede, unterbrochen von ein paar Punchlines. Kern hat die Leute auf seiner Seite. Wie der Wahlkampf aus dem Ruder geriet weiterlesen

Steuergeld für Ausländer?

Der rote Faden, meine Kolumne aus der taz

Es ist ja jetzt Wahlkampf, und zwar hier in Deutschland genauso wie bei mir daheim in Österreich. Und, klar, diese Wahlkämpfe unterscheiden sich signifikant. Hier bei Euch gibt es grosso modo einen noch immer intakten Konsens der demokratischen Parteien, gerade die CDU präsentiert sich nicht gerade als rechte Scharfmacherpartei und die Rechtspopulisten sind schwach, auch wenn sie den Einzug in den Bundestag wohl schaffen werden. Aber sie bestimmen nicht den Diskurs.

In Österreich ist das politische System seit Jahren nach rechts gerutscht, und mittlerweile ist es so, dass die politischen Botschaften der Christdemokraten von denen der rechtspopulistischen FPÖ kaum mehr zu unterscheiden sind. In Wirklichkeit hat ÖVP-Chef Sebastian Kurz die FPÖ an vielen Stellen längst rechts überholt, was das Satireportal „Die Tagespresse“ dazu verleitete, der FPÖ ein richtig „ehrliches Wahlplakat“ vorzuschlagen. „Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen – Strache statt Kurz wählen“. Steuergeld für Ausländer? weiterlesen

Das Roboterdilemma

Die gute Nachricht: Maschinen nehmen Ihnen künftig die Scheiß-Arbeit ab. Die schlechte: Wovon Sie dann leben werden, ist genauso unklar wie die Frage, wer dann überhaupt die schönen Güter kaufen soll.

Die Zukunft vorauszusagen, ist ja generell schwierig. Die Sache wird noch schwieriger, wenn es um die Voraussage von Geschehnissen geht, denen eine disruptive Note innewohnt – das heißt, wenn diese Geschehnisse den evolutionären Lauf der Dinge nicht einfach fortschreiben, als kontinuierliche Veränderungen im Rahmen des Gewohnten, sondern alles grundlegend verändern können. Selbst dann nämlich neigen wir dazu, die Vergangenheit und Gegenwart in die Zukunft zu verlängern, nämlich insofern, als wir glauben, es werde sich zwar irgendwie alles ändern, aber dennoch werde – wiederum „irgendwie“ – alles doch gleich bleiben oder zumindest ähnlich. Aus einem simplen Grund: Ähnlichkeit können wir uns vorstellen, völlig neue Muster aber nicht.

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Was die disruptiven Auswirkungen von Digitalisierung und Automatisierung betrifft, ist diese Neigung weit verbreitet. Nehmen wir nur die häufig gehörte Behauptung, wie bei allen industriellen Revolutionen bisher werden zwar viele Arbeitsplätze verschwinden, dafür aber neue und bessere Arbeitsplätze entstehen und – wiederum wie bei allen technologischen Revolutionen bisher – in ausreichender Zahl.

Es ist möglich, dass das geschieht. Aber seien wir ehrlich: Sehr wahrscheinlich ist es nicht.

Die Digitalisierung, smarte Software, aber auch Robotisierung und Automatisierung werden das Leben in den nächsten zwanzig Jahren dramatisch umkrempeln. Um diese Auswirkungen einigermaßen verstehen zu können, muss man aber die Dinge einigermaßen auseinander halten. Das Roboterdilemma weiterlesen