Die Huren der Reichen

Die ÖVP bekommt hysterische Anfälle, weil ihr jetzt ein echter, geerdeter Sozi als Gegner gegenüber steht.

Die ÖVP-Spitzenleute bekommen seit der Wahl von Andreas Babler zum SPÖ-Vorsitzenden jeden Tag einen theatralischen Nervenzusammenbruch und sind ganz erschüttert, weil sie den „Marxismus“ einziehen sehen. Nun ja, wenn „Marxismus“ heißt, den Skandal zu analysieren, dass in einer Gesellschaft, die auf breitester Kooperation aller beruht, sich die einen unermesslichen Reichtum krallen, und die anderen nicht wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen, dann würde gegen ein bisschen Marxismus ja gar nichts sprechen. Wie die ÖVP in den letzten Jahren ihren reichen Freunderln und Gönnern (Benko!) Vermögen zuschanzte, wie sich Unternehmensnetzwerke eine Regierung kauften und hielten (man denke an die berühmte „Adler“-Runde), das wäre, so gesehen, ja das beste Argument für eine kleine Prise Marxismus. Was der gute alte Rauschebart über Leute gesagt hätte, die sich selbst als „Hure der Reichen“ titulieren, das kann man sich schön ausmalen. Und wenn Marx einmal schlau beschrieben hat, dass die Fabrikbesitzer und Konzernherren das Einkommen ihrer Arbeiter immer drücken wollen, da diese für sie primär Kostenfaktoren seien, das Einkommen aller anderen Beschäftigten aber gerne in schönen Höhen sehen würden, da diese für sie primär Konsumenten seien, dann ist das auch eine Einsicht, mit der sich intellektuell herausgeforderte ÖVP-Sekretäre vielleicht besser vertraut machen sollten, bevor sie komisch herumlabern. Die Huren der Reichen weiterlesen

Nieder mit der Heizung!

Die Spinner nicht reizen? Über die ewig komplizierte Dialektik von Mäßigung und Radikalität.

taz, das Schlagloch. Juni 2023

Häufig kursieren in den Sozialen Medien lustige Memes von der Art: „>Viele Zitate im Internet sind erfunden< (Julius Cäsar)“. Gut, das ist deutlich erkennbar erfunden, obwohl auch darauf manche Leute reinfallen. Längst tut man sowieso gut daran, allen Zitaten zu misstrauen. Ehrlicherweise muss man aber auch einräumen, dass es nicht das Internet gebraucht hat, um Falschzitate zu verbreiten. Manchmal hilft das Internet sogar, verfestigtes Falschwissen zu untergraben. Eines meiner Lieblingszitate des großen Ökonomen John Maynard Keynes ist seit vielen Jahren: „Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Und was machen Sie?“ Leider beging ich unlängst den Fehler, die Quelle zu googeln, was in der schockierenden Entdeckung mündete, dass auch das ein Falschzitat ist und kein Keynes-Diktum. Sehr verdient um die Enttarnung von Falschzitaten hat sich in den letzten Jahren der Wiener Literaturwissenschaftler und Karl-Kraus-Forscher Gerald Krieghofer gemacht. Jeden Sinnspruch legt er in Trümmer, gelegentlich schafft er aber auch die zweifelsfreie Beurkundung des ungefähr Bekannten. So fand er für ein bisher mehr vom Hörensagen kursierendes Zitat des legendären sozialistischen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky die Ursprungsquelle in einer Ausgabe der „Salzburger Nachrichten“ vom Mai 1976. Der sagte: „Solange ich da bin, wird rechts regiert.“

Kreisky, der eine stark selbstironische Seite hatte, meinte damit: Man dürfe die Leute nicht mit gesellschaftlicher Progressivität, radikalen Plänen und wilder Rhetorik überfordern. Lieber solle man ein gemäßigter Sozialist sein, der dafür Mehrheiten hinter sich versammeln kann, als ein radikaler Sozialist, der wirkungslos bleibt, weil er keine Wahlen gewinnen kann. Nieder mit der Heizung! weiterlesen

Friedrich Merz, der AfD-Macher

Die ÖVP will Marxistenverfolgung, die CDU sieht im Aufstieg der Rechtsextremisten den Auftrag, die Grünen zu bekämpfen.

Die ÖVP in Wien hat nun wieder einmal mit einer ihrer „originellen“ Aktionen aufhorchen lassen. Nachdem man in den vergangenen Monaten von einem städtischen Markt zum nächsten gezogen ist, um dort „fremdländische“ Marktstandbetreiber zu beschimpfen (wir lernen: Ausländer, die arbeiten, sind offenbar noch schlimmer als Ausländer, die nicht arbeiten), will sie nun Andersdenkende verfolgen. Wer in Wien Förderungen bekommen will, der müsse einen „Marxismus-Check“ unterzogen werden, so die jüngste Forderung. Das war einigermaßen missverständlich formuliert, die ÖVP will natürlich nicht, dass man für Förderungen einen Marxismus-Test bestehen muss, sondern umgekehrt, wer in Marxismus-Verdacht steht, solle von Förderungen ausgeschlossen sein. Genauere Vorschläge zur Vorgangsweise, wie man Marxisten auf die Spur kommen sollte, die zwecks Förderungsabsicht ihr Marxisteln verbergen, sind bisher noch nicht am Tisch. Aber man kann sich da ja beim erfolgreichen Wirken des seinerzeitigen rabiat-antikommunistischen US-Senators Joseph McCarthy bestimmt viel abschauen. Ein „Ausschuss für anti-österreichische Umtriebe“ wäre doch etwas.

Ergänzen könnte man die Pläne der ÖVP durch einige flankierende Maßnahmen, wie etwa ein Aufführungsverbot für Stücke von Bertolt Brecht oder Elfriede Jelinek, öffentliche Gesinnungstribunale für Marxismus-Verdächtige, Grenzkontrollen an Flughafen und in der Bahn zwecks Aufspürens verbotener Literatur. Dann wird reisen endlich wieder ein Nervenkitzel, so wie seinerzeit, wenn man in die DDR ein paar Ausgaben des „Spiegel“ schmuggelte. Auch öffentliche Verbrennungen der Werke von Marx und Engels können erwogen werden.

Morgen macht die ÖVP dann sicherlich wieder eine Aussendung gegen die woke „Gesinnungsdiktatur“ oder grüne „Verbotspolitik“.

Es ist übrigens dieselbe ÖVP, die in Niederösterreich, Salzburg und Oberösterreich mit den rabiatesten Rechtsextremisten der FPÖ koaliert, die gewaltbereiten Identitärenfreunderln die Türen zum Regierungsapparat öffnet und diese Allianz des Grauens auch noch als Bündnis für die „Normaldenkenden“ bezeichnet.

Man sieht, wie weit der klassische Konservatismus, der vor ein paar Jahren noch in der Traditionslinie einer moderaten Christdemokratie stehen wollte, aus der Spur geraten ist. Friedrich Merz, der AfD-Macher weiterlesen

„Jemand, der Menschen mog.“

Andi Bablers Aufstieg vom Underdog zum Kanzlerkandidaten ist wie ein kleines Polit-Märchen. Was ist das Geheimnis seines Erfolgs?

Welch irre Tage die SPÖ hinter sich hat – gekrönt durch das Additions-Fiasko, welches dazu führte, dass Hans Peter Doskozil zum Parteichef ausgerufen wurde, und erst zwei Tage später entdeckt wurde, dass in Wahrheit Andreas Babler die Stichwahl gewonnen hatte. Das eigentlich Bemerkenswerte ist da fast in den Hintergrund gerückt: Ein Basiskandidat, eine geerdete Anti-Establishment-Person ist zuerst in den Wettkampf um die Parteiführung eingestiegen, hat dann beachtliche 32 Prozent der Stimmen aller Mitglieder erhalten und im Finale des Parteitags sogar die Mehrheit der Funktionäre für sich einnehmen können. Wer das vor fünf Monaten prophezeit hätte, wäre augenblicklich zu einem Phantasten oder Spinner erklärt worden.

Wer Parteien kennt, die Behäbigkeit von Apparaten, deren Hang zum Gewohnten, der ahnt, was das eigentlich für eine kleine Revolution ist. Mit Andi Babler wird kein abgeschliffener Kandidat SPÖ-Vorsitzender, sondern ein hemdsärmliger Bürgermeister, der sagt, was er sich denkt, der zu seinen Werten und Grundsätzen steht, so einer, von dem man früher wohl gesagt hätte, das sei „noch ein echter Sozi“.

Man kann jetzt schon fix davon ausgehen: Die herrschenden Zirkel, die Geschäftemacher, die Schlaucherln, Strippenzieher und Champagnisierer, diese Kamarilla aus Geldleuten und liebedienerischer Politik, sie werden das als die Größte Denkbare Bedrohung ansehen. Die Blase, die sich in Chats selbstironisch „Wir sind die Hure der Reichen“ nennt, wird mit Hilfe ihrer Berater-Clans und befreundeter Medienmacher aus allen Rohren auf Babler schießen. Sie werden tief in den Dreck greifen, um ihre Privilegien zu verteidigen. Jede Petitesse werden sie ausgraben, jede Kleinigkeit, die sie finden können, werden sie zu einem Elefanten aufblasen. „Jemand, der Menschen mog.“ weiterlesen

Kaiser, Nazis, Partisanen

Das Salzkammergut wird Europas Kulturhauptstadt 2024: Zwischen K&K-Kitsch und Avantgarde.

Die Zeit, April 2023

Es ist März, ein herrlicher Frühfrühlingstag, die Sonne wärmt, und wenn man von Norden aus nach Bad Ischl hineinflaniert, putzt sich rechts das Freibad schon für den Sommer heraus. Dahinter erhebt sich die alte pompöse Kaiservilla, wo Franz Joseph I. stets die Ferienmonate verbrachte. Der Zaun ist zu, wackelige Gatter verstellen auch die Nebeneingänge. Hier hat sich der alte Kaiser auf seine Spaziergänge gemacht, oft alleine durch sein Hintertürl, die paar hundert Meter rüber zur Villa seiner Langzeitgeliebten Katharina Schratt. Geht man weiter, Richtung Traun und Esplanade, durch Gässchen und repräsentative Promenaden der kleinen Provinzstadt, die immer groß auf sich hielt, landet man bald vor dem alten Postgebäude. „Post- & Telegrafen Amt“ steht auf der Fassade, und wenn man den Seiteneingang nimmt, dann erinnert uns eine Aufschrift: „Unter der glorreichen Regierung Sr. Majestät des Kaisers’s Franz Josef I. erbaut im Jahre 1895.“

Imposantes Signalgebäude eines Weltreiches, das nicht mehr existiert.

Im Obergeschoß herrscht und lenkt jetzt Elisabeth Schweeger, die mondäne Chefiza der Salzkammergut 2024 GmbH, die schon bei der Bewerbung von Saint Etienne mitarbeitete, viele Jahre das Schauspiel in Frankfurt leitete und überhaupt eine staunenswerte Berufsbiografie hat. Junge Kreative wuseln herum, die Next Generation Salzkammergut mit Elan, schrägen Ideen und ganz viel Energie. 23 Gemeinden „die alle sehr eigensinnig sind“ (Schweeger) werden ab kommendem Jänner zur Kulturhauptstadt Europas. Widerborstige Flecken, die nah beieinander liegen, sich aber oft gar nicht grün sind – ein Europa im Kleinen also.

„Wir sollen auch nicht übersehen, dass das alte Europa von hier aus zerstört wurde“, sagt Elisabeth Schweeger. Das mit dem „hier“ meint sie ziemlich wörtlich. Drüber in der Kaiservilla hat Franz Joseph 1914 die Kriegserklärung an Serbien unterschrieben. Vom „Post- & Telegrafen Amt“ aus ging sie um die Welt.

Europas Kulturhauptstadt Salzkammergut? Man stutzt intuitiv, allein schon, weil es hier, jedenfalls aus der Sicht von Metropolenbewohnern, gar keine Städte gibt. Turnusmäßig ist Österreich nächstes Jahr wieder dran. Graz und Linz hatten die Titel bereits einmal, diesmal bewarb sich ein Städte-Netzwerk in Vorarlberg, außerdem noch Sankt Pölten. Der damalige Ischler Bürgermeister Hannes Heide hatte die reichlich verwegene Idee, rund um die alte Kaisersommerstadt ein Bündnis von Kulturgemeinden zu schmieden. Mit Erfolg. Bad Ischl, Goisern, Gmunden, Hallstatt, Ebensee sind an Bord, aber auch Steinbach am Attersee, und zudem die steirischen Salzkammergut-Gemeinden Altaussee, Bad Aussee und weitere. Rund 140.000 Einwohner leben hier verstreut in ihren Schluchten. Kaiser, Nazis, Partisanen weiterlesen

Marxismus – ist das etwas krass Böses?

Die ÖVP führt gegen den neuen SPÖ-Chef Andreas Babler eine groteske Retro-Debatte. Dann wollen wir ihr mal bisschen Geschichtsunterricht erteilen.

Gelegentliche Leser und Leserinnen dieses Blogs werden sich daran erinnern, dass die österreichische Sozialdemokratie (SPÖ) in den vergangenen Monaten einen Wettstreit um den Parteivorsitz ausgetragen hat, und dass ich dabei einen Bewerber, den geerdeten, hemdsärmligen Basiskandidaten Andreas Babler unterstützt habe. Beobachter des Zeitgeschehens werden auch mitbekommen haben, dass Babler, der als Underdog begann, sich am Ende durchgesetzt hatte und nun neuer Parteivorsitzender der SPÖ ist.

Die Kamarilla an Eliten, Geschäftemachern, an Gutsituierten und Freunderlwirtschaftlern sieht Babler naturgemäß als die schlimmste denkbare Herausforderung an. Sie fahren alle Geschütze auf, werden tief im Dreck wühlen, im Versuch, ihn unmöglich zu machen.

Der ÖVP-Generalsekretär Stocker, in seinem ewigen Bestreben, der Trottelforschung Anschauungsmaterial zu liefern, hat jetzt gemeint, der Weg des „Marxisten“ Andreas Babler werde nach „Nordkorea“ führen. Das ist natürlich so verblödet, dass es sich nicht lohnt, darauf einen Gedanken zu verschwenden.

„Ich bin Marxist“

Hintergrund der Wortmeldung war aber, dass Babler sich in einem Interview als „Marxist“ bezeichnete, weil er seit seinen Tagen als Jungsozialist gelernt habe, dass man durch die Brille des Marxismus die Dinge scharf sehe; nur kurz darauf hat er dann in einem anderen Interview auf die Frage, ob er denn damit auch für die „Diktatur des Proletariats“ und die Verstaatlichung aller Produktivkräfte wäre, geäußert, „wenn man es so interpretiert, dann natürlich nicht“. Marxismus – ist das etwas krass Böses? weiterlesen

Plötzlich Sieger

Irre: Andreas Babler, der Underdog-Kandidat, wird SPÖ-Chef. Der ursprüngliche Gewinner wurde irrtümlich gekürt – man hatte sich verrechnet.

Vorwärts, Juni 2023

„Sozialdemokratie“, rief der Kandidat vom Rednerpult hinab, „ist nur ein anderes Wort für Träumer. Man sagt, ich sei ein Träumer“, so Andreas Babler, der Underdog, der es in die Parteitags-Stichwahl für den SPÖ-Vorsitz geschafft hatte, „aber auch die Gemeindebauten waren Luftschlösser, bis wir sie errichtet hatten, auch der Acht-Stunden-Tag war eine Utopie, bis wir ihn erkämpft hatten.“ Spätestens da hatte der fulminante Redner den Saal erobert. Ovationen. Die Herzen flogen ihn zu. Und so unwahrscheinlich es bislang erschienen war, dass ein idealistischer, geerdeter Basiskandidat gegen die gut geölte Apparatschikmaschine des Konkurrenten gewinnen könnte – da dämmerte es den ersten, dass es vielleicht doch gelingen könne.

Drei Stunden später waren der Wahlvorgang dann erledigt, die Stimmen und das Ergebnis in Listen eingetragen, notiert und addiert. Es hatte knapp nicht gereicht. 316 Stimmen seien auf den burgenländischen Landeshauptmann und Vertreter des rechten Parteiflügels, Hans Peter Doskozil, entfallen. 279 Stimmen auf Andreas Babler. 596 gültige Stimmen seien abgegeben worden, erklärte die Vorsitzende der Wahlkommission, Michaela Grubesa, eine akzentuierte Anhängerin des vermeintlich siegreichen Kandidaten.

Einige Stunden später setzte der ORF-Anchorman Martin Thür, als Zahlennerd im ganzen Land berüchtigt, einen wenig beachteten Tweet ab, der aber in die Politgeschichte eingehen dürfte. „316+279=595 und nicht 596“. Thür bat um Recherche. Dass er sich mit irgendeiner oberflächlichen Erklärung abfinden würde, dafür ist Thür nicht bekannt. Plötzlich Sieger weiterlesen

Eine Frau hat einen Plan

Die Ökonomin Isabella Weber hat klare Konzepte, wie die Inflation bekämpft werden könnte. Sehr spät, aber doch, folgen ihr immer mehr Regierungen.

Arbeit & Wirtschaft, Mai 2023

Sie ist gegenwärtig die wahrscheinlich meistdiskutierte Wirtschaftswissenschaftlerin der Welt, der neue Star am Ökonominnen-Himmel: Isabella Weber, Professorin an der Universität im beschaulichen Amherst in Massachusetts, zwei Autostunden von Boston entfernt. Seit sie Preiskontrollen zur Bekämpfung der Inflation vorgeschlagen hat, wird sie im britischen „Guardian“ diskutiert, entfachte Kontroversen in der „New York Times“, und nicht nur die neoliberalen Mainstream-Ökonomen reagieren geradezu panisch und hasserfüllt auf die Vorschläge der 35jährigen, aus Nürnberg stammenden Forscherin. Selbst progressive Wirtschaftsforscher, wie Nobelpreisträger Paul Krugman gerieten in Rage – „einfach dumm“, nannte er ihre Vorschläge, wofür er sich hinterher entschuldigte. Eine Armada an linken Forscherstars wiederum sprang ihr zur Hilfe, wie etwa James K. Galbraith oder Stephanie Kelton. Innerhalb von gerade etwas mehr als einem Jahr haben sich Webers Vorschläge aber allmählich durchgesetzt. Die deutsche Bundesregierung hat sie in ihre „Preiskommission“ zu Regulierung des Gasmarktes berufen. Sechs Wochen hat sie in Berlin – unentgeltlich, ehrenamtlich – mit anderen Ökonomen eine Konzeption entworfen.

„Die Frau, die den Preisdeckel erfand“, feierte sie der deutsche „Spiegel“.

„Bei einer Inflationsdynamik muss man immer genau betrachten, mit welcher Inflation man es zu tun hat“, erklärt Weber. „Natürlich kann es eine Inflation geben, die primär ein Ergebnis steigender Nachfrage ist.“ Also etwa, wenn die Wirtschaft brummt, die Unternehmen auf vollen Kapazitäten produzieren, wenn Vollbeschäftigung herrscht, die Arbeitnehmer hohe Lohnerhöhungen durchsetzen. „Aber das ist ja nicht unsere Situation. Wir haben steil ansteigende Energiepreise und einen Angebots-Schock. Und in einer solchen Situation muss man mit den Maßnahmen reagieren, die dafür passen.“

„Preiskontrollen“, das hat den neoliberalen Ökonomen-Mainstream und die konservativen und liberalen Politik-Eliten auch deshalb so in Panik versetzt, weil das Mantra von freien Märkten, auf denen freie Unternehmen freie Preise setzen, zu einem Dogma geworden ist. Dabei waren in vielen Epochen der Geschichte Preise kontrolliert, reguliert, um optimale wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen. Immer wurde das angegriffen: In den USA haben die Neoliberalen schon vor 70 Jahren die Regulierung des Milchpreises verdammt und als Einstieg in die böse Planwirtschaft diskreditiert – skurrilerweise ist diese Regulierung bis heute in Kraft. Eine Frau hat einen Plan weiterlesen

Eine kitzekleine Utopie – FS Misik reloaded #14

Heute wird zugleich ein „Utopieverlust“ beklagt, und zugleich würde jeder, der mit einer halbwegs ambitionierten Idee daher käme, als „irrealer Phantast“ verhöhnt. Aber ohne packende Zukunftsbilder und Hoffnung verkümmert die Politik. Ganze Gesellschaften werden angstgetrieben und zukunftslos. Es zeigt sich: Wer keine Visionen hat, braucht einen Arzt, und bald auch einen Totengräber.

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Wie ÖVP-Ideologie das Land ruiniert

Die Regierung sträubte sich monatelang gegen jede Preisbremse und hat auch verspätet kaum etwas zuwege gebracht, außer dem Strompreisdeckel. In „die Märkte“ dürfe man nicht eingreifen, so das Dogma. Den Mietanstieg boxte die ÖVP sogar gegen heftige Widerstände durch. Jetzt liegt die Inflationsrate im europäischen Spitzenfeld. Die ÖVP ruiniert das Land.

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Die Staatsfeindin

Modern und Reaktionär: Margaret Thatcher, die Mutter des radikalisierten Konservatismus.

ARTE-Magazin, Juni 2023

Wenn verrentete Staatsführer ein hohes Alter erreichen, legt sich über manches scharfe Urteil oft ein rosaroter Schleier der Milde. Margaret Thatcher dagegen polarisierte über ihren Tod hinaus. Nachdem die seinerzeitige britische Premierministerin 2013 verstorben war, sangen die Fans des FC Liverpool Schmählieder, der Song „Ding-Dong, The Which is Dead“ („Ding-Dong, die Hexe ist tot“) stürmte gar bis auf Platz zwei der Charts.

Thatchers Geist lebt sowieso bis heute weiter.

Sie bekämpfte die Konsenspolitik – den „middle Way“ – ihrer Parteifreunde, und schuf so etwas wie eine moderne Art, reaktionär zu sein. Denn der Nachkriegskonservatismus, sowohl in Kontinentaleuropa, als auch auf der britischen Insel, als auch in den USA war entweder moderat und wohlfahrtsstaatlich gewesen, oder eine Angelegenheit verstaubter Ewiggestriger, die mit der modernen Zeit nicht klar kamen. Und dann kam da Margaret Thatcher, erst als Tory-Chefin, ab 1979 als Premierministerin. Dass bald danach mit Ronald Reagan auch noch ein Geistesverwandter in den USA Präsident wurde, erleichterte die Begründung einer Ära.

In den USA war davor eine neue Spielart des radikalen Konservatismus entstanden, die „Neo-Konservativen“. Dessen Protagonisten lehnten Sozialstaat, Kompromisse und Mäßigung ab, hielten den freien Markt und seine Tugenden des Wettbewerbs hoch, feierten einen extremen Individualismus, und verdammten zugleich die linke Gegenkultur, die 68er mit ihrem „selbstzerstörerischen Nihilismus“. Im Unterschied zu Konservativen vorsichtigen Schlages waren sie Radikale. Mit den wirtschaftsliberalen Theorien ihrer Säulenheiligen wie Friedrich August von Hayek und Milton Friedman hatten sie alle nötigen Zutaten für ein geschlossenes ideologisches System rechter „Staats-Feindschaft“ im buchstäblichen Sinn. Die Staatsfeindin weiterlesen

Die Königin des Undergrounds

Mark Braudes packendes Porträt von Kiki de Montparnasse ist eine große Zeitreise an eine Brutstätte der zeitgenössischen Künste.

taz, Mai 2023

Wie kommt eigentlich das Neue in die Welt? In den Künsten entstehen Stilrevolutionen, indem neue Schreibweisen und Sprachformen erprobt werden, neue Sehweisen, neue Empfindungen, neue Wahrnehmungsweisen sich durchsetzen. Alle diese Entwicklungen gehen einher mit stetigen Neuinterpretationen dessen, was Kunst eigentlich sei, bis zu den Readymades von Marcel Duchamp und zu Dada, die proklamieren, dass alles „Kunst“ sein kann. All das ist wiederum mit vielerlei Kapillaren mit dem gesellschaftlichen Wandel verbunden, mit dem „Zeitgeist“, der die Künste prägt und den sie, umgekehrt, auch mit prägen. An manchen Orten bilden sich verdichtete Atmosphären, in denen sich diese Wechselwirkungen zu Wogen auftürmen.

Mark Braude hat eben mit „Kiki Man Ray: Liebe, Kunst und Rivalität im Paris der 20er Jahre“ eine packende, unterhaltsame und gut lesbare Geschichte eines dieser Brutplätze der Moderne vorgelegt. Hauptfigur ist Alice Prin, die als Partnerin des legendären Künstlers, Fotografen und Dada-Wegbegleiters Man Ray eine Zentralfigur der Pariser Bohème war. Allseits wurde sie Kiki gerufen, nachdem sie es schaffte, in die Kreise rund um das Café Rotonde hineinzukommen, und als „Kiki de Montparnasse“ wurde sie quasi zur Queen des Underground gekürt. Dabei war sie doppelter Outcast: Einerseits als Bohéme-Figur gegenüber der konformistischen Bürgerwelt, andererseits als Unterschichts-Geschöpf in den Künstlerkreisen, die in erheblichem Maße aus den bürgerlichen Bildungsschichten entsprangen. Alice alias Kiki wurde 1901 als Kind eines unverheirateten Landmädchens geboren und von ihrer Großmutter gemeinsam mit ihren ebenso unehelichen fünf Cousins und Cousinen aufgezogen wurde. Die markante Schönheit Kiki war Muse der Künstler – sie stand Modigliani Modell und vielen anderen Malern, Man Ray hat mit ihr seinen Stil entwickelt – aber sie war mehr als nur ein Modell. Die Königin des Undergrounds weiterlesen