Im Sauseschritt in die Ausweglosigkeit. Paul Krugman, Joseph Stiglitz, Lawrence Summers, Jürgen Habermas & Co. über Europas Desastertage. Falter, 1. Juli 2015
Man glaubt, man hätte jede Absurdität in der Griechenlandkrise schon erlebt, und dann geschehen doch immer wieder Dinge, die einem den Mund offen stehen lassen. So wurde Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis am vergangenen Wochenende kurzerhand aus der „Eurogroup“, also der Runde der Finanzminister der Eurozone, hinauskomplimentiert, und die 18 verbliebenen Kollegen verabschiedeten dann gemeinsam ihr Abschlusspapier. Auf seine Frage, ob das denn überhaupt möglich sei, erhielt Varoufakis vom Juristischen Dienst des EU-Rates folgende Antwort: „Die Eurogruppe ist eine informelle Gruppe. Daher ist sie weder an Verträge gebunden noch an geschriebene Regeln. … Der Präsident der Eurogruppe ist daher nicht an explizite Regeln gebunden.“
Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen: Der Kreis der Finanzminister, der dauernd Entscheidungen trifft, die für das Leben von 350 Millionen Menschen elementar sind, existiert gar nicht. „Uns gibt es eigentlich gar nicht“, lässt der juristische Dienst ausrichten – und wer gar nicht existiert, der muss natürlich auch nach keinen Regeln spielen, so die bizarre Logik. Hut ab, auf so etwas muss man erst einmal kommen.
Aber was vollzieht sich da vor unseren Augen? Wir sind gewissermaßen Augenzeugen eines Schiffbruchs, aber wer sind die verantwortlichen – oder besser: unverantwortlichen – Kapitäne? Liest man primär deutschsprachige Zeitungen, sieht man gar nur deutsche Nachrichten und Talkshows, dann ist das „Bild“ natürlich klar: Die Griechen sind schuld. In einem ARD-Kommentar wird Alexis Tsipras vom Kommentator gar völlig unverhohlen als „Schurke“ bezeichnet. Und bei Günter Jauch darf man dieser Tage offenbar nur ins Studio, wenn man einen Eid auf das Programm der CSU ablegt oder ein Alibi-Grieche ist.
Blickt man aber in die Welt des internationalen Geisteslebens oder der global führenden Ökonomen, dann ergibt sich ein geradezu seitenverkehrtes Bild: da muss man heute schon beinahe mit der Lupe suchen, um Leute zu finden, die sich nicht demonstrativ auf die Seite von Syriza stellen.
„Griechenland soll einfach nein sagen zu den inakzeptablen Forderungen der Geldgeber. Stellt einfach die Zahlungen ein“ ———- Jeffrey Sachs
Paul Krugman, der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger, der gerade auf einem Fahrradurlaub im Handyfunkloch ist, machte sich sogar auf die Suche nach einer Netzverbindung um einen Blogpost abzusetzen: „Jetzt wird es endgültig ernst“, beginnt er. Und, ja, er würde, wäre er Grieche, der Empfehlung der Syriza-Regierung folgen und beim Referendum mit „Nein“ zu den Gläubiger-Vorschlägen stimmen. „Und zwar aus zwei Gründen. Erstens, wenn auch die Aussicht auf einen Euro-Exit der Griechen jeden ängstigt – mich inklusive -, so fordert die Troika faktisch die unveränderte Fortsetzung der Politik der vergangenen fünf Jahre.“ Selbst wenn Griechenland eine neue Währung einführen würde, „so würde das wohl kaum mehr Chaos anrichten als bereits da ist, aber möglicherweise den Weg zur Gesundung eröffnen. Zweitens, ist die politischen Bedeutung der gegenwärtigen Vorgänge tatsächlich bestürzend. Die Troika hat eine Art umgekehrtes Corleone-Spiel gespielt – sie haben Tsipras ein Angebot gemacht, das er nicht annehmen konnte, und das haben sie wohl auch gewusst. Dieses Ultimatum lief also darauf hinaus, die griechische Regierung zu Fall zu bringen.“ „Ich weiß, wie ich abstimmen würde.“ weiterlesen