Eine Theorie des Gemüsegartens

Eben bin ich nach zwei Monaten Landaufenthalt wieder in die Stadt zurückgekehrt. Acht Wochen habe ich in meinem Landhaus im Waldviertel, einem recht idyllischen Landstrich nördlich von Wien, verbracht. Ich habe das alte Bauernhaus vor ein paar Jahren in verfallenem Zustand gekauft und renoviert. Neuerdings habe ich mir auch einen Gemüsegarten gebaut, mit Lattenzaun ringsum, und den ersten Ruccola, Erd- und Himbeeren gepflanzt. Ich verbringe soviel Zeit da drin, dass mein kleiner Sohn das Gärtlein schon "Papa-Käfig" nennt. Keine Sorge: Ich bin nicht total verrückt geworden, und ich denke auch nicht, dass ich in all dem Grün endgültig verblöde. Im Gegenteil: Ich mache mir darin so meine Gedanken über die kulturelle Konstruktion "Natur". Ich bin dabei nur, gewissermaßen, so nahe wie möglich an meinem Gegenstand.

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Die Entwicklung des Glücks von der Utopie zur Wissenschaft

Wir erleben einen Aufschwung der Glücksforschung. Das hat natürlich mit Fortschritten der neurologischen Wissenschaften zu tun – dem Umstand etwa, dass man Glücksempfinden heutzutage exakt messen kann. Aber nicht nur. Die eigentliche Ursache ist der Niedergang der Großutopien, der wiederum eine seltsame Bewegung auslöste. Die Großutopien versprachen Emanzipation und mussten sich um lächerliche persönliche Emotionen wie das Glücksgefühl nicht scheren.

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Was ist Shopping?

„Ich schlief gerne mit April“, berichtet Jolo, der Protagonist aus Joachim Lottmanns Pop-Roman „Die Jugend von heute“ über die sexuelle Routine mit seiner Freundin, „auch wenn jede Bewegung, jede Geste, jede Sekunde von der Werbung und von den Medien vereinnahmt war und somit nicht mehr mir gehörte. Ich lieh diese Stunden von der Werbung, und sie gefielen mir trotzdem.“ Eine schöne Sentenz, in der anklingt, wie unsere Gefühlswelt von der Kommerzwelt überwuchert wird. Die Theoretikerin Eva Illouz formulierte nämlichen Sachverhalt einmal so: „Viele Menschen würden sich niemals verlieben, wenn sie nicht so viel davon gehört hätten.“

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Aus der Avantgardeformel von der „Einheit von Kunst und Leben“ wurde die Einheit von Kunst und Wirtschaftsleben.

Das Buch der einstigen Berliner Kultursenatorin und Hauptstadtkultur-Kuratorin Adrienne Goehler über die „Kulturgesellschaft“ („Verflüssigungen“, Campus Verlag), taz-Lesern ob eines ausführlichen Vorabdruckes an dieser Stelle vielleicht vertraut, ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Ich will darum nur auf ein regelrecht frappierend-symptomatisches Moment hinweisen. Goehlers Kernbotschaft lautet ja, erfolgreiche Gesellschaften – und das heißt heute: ökonomisch erfolgreiche Gesellschaften – müssen den Künsten einen höheren Stellenwert einräumen. Aus verschiedenen Gründen: Die Künstler sind die Avantgarde. Sie arbeiten immer schon auf eigene Rechnung, waren immer schon Unternehmer ihrer selbst. Von ihnen kann man auch lernen, die Prekarität auszuhalten. Die kreative Klasse im weitesten Sinn hat längst auch wirtschaftlich ein bedeutendes Gewicht.

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Herdentrieb ins Netz: Technik als Allegorie sozialer Beziehungen.

Mein größerer Sohn ist jetzt in dem Alter, in dem man Erfinder werden will, aber neuerdings schwer frustriert, weil überzeugt: Alles, was er erfinden könnte, ist schon erfunden. Der Einwand, dass er von den Dingen, die schon erfunden sind, weiß, wohingegen er von jenen, die noch nicht erfunden sind, nichts wissen kann, vermag seine schlechte Laune nicht wirklich zu heben.

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End of Theory?

Es gibt einen anti-französischen Affekt. In Amerika ist er sehr verbreitet. Dort dachten sich die  Wahlhelfer von George W. Bush beispielsweise, sie würden dem rivalisierenden Kandidaten am ehesten schaden, wenn sie in Umlauf brächten, John F. Kerry "sieht französisch aus". Aber diese Aversion gegen das Französische zieht viel weitere Kreise. Nach vier Jahrzehnten Strukturalismus, Poststrukturalismus, Postmodernismus geht manchen schon die Galle hoch, wenn das Wort "Theorie" fällt und dann dauert es meist nicht lange, bis ein herablassendes Wort über "die Franzosen" folgt.

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Der erste Hippie

Lebende Mythen. Ein Denkmal feiert Geburtstag: Fidel Castro, linker Macho in Olivgrün, wird achtzig. Aber wer ist der „Comandante en Jefe“: Ein romantischer Held? Oder eher altersstarrsinniger Tyrann? Falter, Juli 2006 

„So oft, wie man mich schon totgesagt hat, wird es wahrscheinlich niemand glauben, wenn es dann soweit ist“, sagte Fidel Castro vor kurzem. Demnächst, am 13. August wird der „Comandane en Jefe“ Achtzig und, soviel ist sicher – er lebt noch. Es wird die große Party eines großen Mythos – des Mysteriums Castro.

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„Dekadent, feige, materialistisch“

Ian Buruma, global operierender Star-Essayist, über den Hass auf den Westen, den revolutionären Radikalismus der amerikanischen Neokonservativen und den neuen Antisemitismusstreit.

 

Herr Buruma, eben haben Sie ihr Buch "Occidentalism", gemeinsam mit dem israelischen Philosophen Avishai Margalit herausgebracht. Darin fügen Sie den Islamismus in ein allgemeines Panorama des Hasses auf den Westen. Was sind die Gemeinsamkeiten des Okzidentalismus?

 

Buruma: Es gibt einen bestimmten Blick auf den Westen, der heute besonders vom islamistischen Radikalismus vertreten wird. Aber, so unsere Argumentation, das ist nichts speziell Islamisches. Dieser Blick hat eine Geschichte. Diese Auffassung hat europäische Wurzeln. Feindschaft gegen die Aufklärung, faschistische Ideen, die Auffassung, der Westen sei dekadent, feige, materialistisch.

 

Falter: Der Hass auf die Stadt, gegen die urbane Metropole ist ein Leitmotiv eines solchen Radikalismus.

 

Buruma: Die Idee der Stadt, die der Okzidentalismus hasst, ist die Idee von der Stadt als Ort individueller Freiheit, in der sich Menschen verschiedener Rassen und Länder mischen, Handelszentren, wo verschiedene Ideen sich sammeln. Was es in allen Spielarten des Okzidentalismus gibt, ist eine Idealisierung der Bauernschaft, einer Reinheit, der Verwurzellung in der Scholle – in Opposition zum Kosmopolitismus der Stadt.

 

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„Eine Supermacht, der man mit Angst begegnet“

Richard Rorty über die bestürzende Neurorientierung der Bush-Regierung, die Unfähigkeit des demokratischen Establisments und die Hoffnung, dass George W. Bush 2004 abgewählt wird.

 

Herr Rorty, dem Krieg, in dem wir stehen, fehlt das Mandat durch den UN-Weltsicherheitsrat. War es ein Fehler von Frankreich, Deutschland und Russland, dass sie die Militäraktion nicht doch in letzter Minute autorisert haben?

 

Rorty: Nein, das war kein Fehler. Diese Länder haben ihre Entscheidung getroffen, sie hatten politische Gründe, vielleicht waren sie auch von ökonomischen Gründen beeinflußt aber am Ende ist unbestreitbar: die grundsätzlichen Argumente gegen das Konzept eines Präventionskrieges sind so stark, dass es sich eigentlich ausgeschlossen hat, doch noch mit den USA zu marschieren.

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