„Ich werde Bush nicht mehr wählen“

Francis Fukuyama, Vordenker der US-Konservativen, liest seinen Gesinnungfreunden die Leviten: Die Bush-Regierung und die Neokonservativen haben sich im Irak grandios verkalkuliert und Amerika schwer geschadet.

 

Herr Fukuyama, 1989 verkündeten Sie in einem großen Essay das "Ende der Geschichte" und wurden damit schlagartig weltberühmt. Seither werden Sie praktisch identifiziert mit dieser Idee. Ist das eigentlich mehr ein Vorteil oder mehr ein Nachteil?

 

Fukuyama: Naja, es hat ein paar negative Konsequenzen, unter anderem, dass ich immer wieder danach gefragt werde…

 

… so wie jetzt, beispielsweise…

 

Fukuyama: …andererseits, wäre ich damit nicht berühmt geworden, würde nicht so wahrgenommen, worüber ich mir sonst so Gedanken mache.

 

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„Anders sehen lernen!“

Guillaume Paoli, Gründer der „Glücklichen Arbeitslosen“, über das Gequatsche von „Kreativität“, „Motivation“ und „Selbstverwirklichung“ und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die in Wirklichkeit ein Kampf gegen die Arbeitslosen ist.

  

Falter: Herr Paoli, sind Sie motiviert für dieses Gespräch?

 

Paoli: Voll motiviert!

 

Motivation nimmt ja „eine zentrale Stelle im kapitalistischen Prozess ein“, schreiben Sie. Was ist so wichtig an Motivation?

 

Paoli: Das kapitalistische System herrscht nicht durch Zwang, sondern durch Verführung, Überredung, Motivation.

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Vergoldetes Elend

Reich ist in unserer Gesellschaft, wer reich an Beachtung ist, formuliert der Wiener Architekturtheoretiker Georg Franck. In seinem neuesten Buch "Mentaler Kapitalismus" beschreibt er, wie das funktioniert

  

Wir leben, schreiben Sie, im "mentalen Kapitalismus". Was ist denn das Neue daran?

 

Franck: Die Ökonomie des Acht-Gebens und des Beachtung-Einehmens ist eine ausgebildete Ökonomie im Sinn einer erweiterten Marktwirtschaft. Zunächst: Die Kapazität bewußten Erlebens wird knapp angesichts des Angebotes. Zweitens wird die Produktivität im wissenschaftlichen, publizistischen, künstlerischen Bereich eher dadurch gemessen, dass man Beachtung einnimmt, und nicht so sehr dadurch, dass man Geld einnimmt. In der Wissenschaft ist die Währung das Zitat. Wissenschaftler arbeiten für die Beachtung anderer Wissenschaftler. Der Reichtum an Beachtung, schließlich, kann auch kapitalisiert werden, er verzinst sich – man verdient Beachtung dafür, dass man ein Großverdiener an Beachtung ist. Da sind wir dann sehr nahe dem, was Bourdieu soziales und kulturelles Kapital nennt, auch an dem Reichtum an Beziehungen.

 

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„Totes Denken“

Nach drei Jahrzehnten Massenarbeitslosigkeit sollten wir den Glauben an die Lohnarbeitsgesellschaft aufgeben, meint der Berliner Kulturphilosoph Wolfgang Engler. Die Gleichung "Arbeit = Leben" geht nicht mehr auf.  

 

Heute schon gearbeitet?

 

Engler: Noch nicht…

 

Es ist knapp vor Mittag!

 

Engler: Ich kann ganz gut auch nichts tun.

 

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„Sind Sie ein Antisemit, Herr Bové?“

José Bové über seinen Kampf gegen das industrielle Agrarmodell, den Spaß beim Mc-Donalds-Zertrümmern und die zweifelhafte Ehre, als linker Antisemit zu gelten. 

  

Sie kämpfen gegen Agrarmultis, gegen Gentechnik und Handel mit Lebensmitteln – soviel "Antiglobalisierung" macht selbst viele Linke skeptisch. Bekämpfen Sie den Fortschritt?

 

Vor wenigen Tagen wurde in einem UN-Bericht festgestellt, dass wir, wenn die Dinge so weitergehen, in zehn, zwanzig Jahren ein großes Problem haben werden, die Menschen zu ernähren – besonders in den südlichen Ländern. Die Technisierung der Landwirtschaft hat keine Zukunft. Erstmals in der Geschichte der Menschheit führt "Fortschritt" nicht zu "Fortschritt", sondern zu einer Verschlechterung.

 

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„Die USA sind besiegbar“

Benjamin Barber, Politikprofessor und Bestseller-Autor, über das Erwachen der Demokraten, die düsteren Aussichten im Irak und das fundamentale Ressentiment gegen westlichen Kommerz und Amerikanisierung. 

 

Sie haben vor den Risiken eines unilateralen Abenteuertums im Irak gewarnt. Heute erweist sich Tag für Tag, wie richtig solche Warnungen waren. Haben Sie damit gerechnet, dass ihnen die Realität so schnell und so blutig recht geben wird?

 

Barber: Meine Prämisse war, dass Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, sein Vize Paul Wolfowitz, Vizepräsident Richard Cheney und Präsident George W. Bush eben nicht das Lager der "Realisten" repräsentieren. Die Realisten werden in der Regel von der Realität bestätigt. Früher einmal waren die Krieger die Realisten. Aber heute kann keine Nation ihr Schicksal definieren ohne die Kooperation mit anderen, in einer Epoche der Interdependenz sind die Unilateralisten die Idealisten und die Multilateralisten die Realisten.

 

Das Buch:

Benjamin Barber: Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt. München, Beck-Verlag, 2003. 276 Seiten.

Euros

Veloce: 89190.

 

 

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Die Intellektuellen und die Utopie

oder: Was ist eine Krise? Und warum begrüßen wir sie? Rede bei den Berliner Brechttagen zum 50. Todestag des Dichters und Dramatikers.

 

 

 

Ich habe mich, so muss ich gestehen, etwas geschreckt, als ich der Einladung entnommen habe, ich möge, noch dazu im Kontext dieser Brecht-Tage, Gedanken über die „Intellektuellen und die Utopie“ anstellen. Denn schließlich ist das Ausgangsthema, das uns über fünf Tage beschäftigt, die Kollaboration von Brecht und Benjamin, also die Zusammenarbeit von zwei, wenngleich recht eigenartigen, Marxisten. Und innerhalb des Weichbildes des Marxismus soll die Utopisik ja keinen Platz haben, ja, sie ist im Kreise der Marxisten geradezu verpönt.

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Spießeralarm!

Spießigkeit, gibt’s die eigentlich noch? Oder ist sie bloß ein Lifestyle unter vielen? Gar die ultimative Art, schräg zu sein? Eine Erkundung. taz und Standard, Februar 2006

 

 

 

Vor einigen Jahren wohnte unter mir ein bekanntes männliches österreichisches Fotomodell – um genau zu sein, das bekannte männliche österreichische Fotomodell. Tagsüber ein umgänglicher Mensch, wurde der Bursche nachts, wahrscheinlich unter Einwirkung raffinierter Substanzen, etwas eigenartig. Er hörte dann stundenlang dröhnend laut Musik. Nach drei durchwachten Nächten und nachdem ich mir die Hand an seiner Tür tatsächlich blutig trommelte (er konnte mich natürlich nicht hören), tat ich etwas, wovon ich nie gedacht hätte, dass ich es tun würde: Ich rief die Polizei. Ich hatte keine andere Wahl: Mein damals dreijähriger Sohn brüllte schon, weil er schlafen wollte, und nicht konnte.

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Wir gegen sie

Nach den Karikaturenstreit: Wenn identitäre Konflikte nur lange genug beschworen werden, dann gibt es sie irgendwann auch. Anatomie einer Kriegspsychose Falter & Frankfurter Rundschau, Februar 2006

 

Es riecht nach Krieg. Zumindest bekommt man langsam eine Ahnung davon, wie das in früheren Zeiten einmal gewesen sein muss; wie eines das andere ergab. Sich plötzlich gegenüberstanden: Wir gegen sie.

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Der Nutzensbegrenzer

Im Kaffeehaus ist er eine Berühmtheit und das reicht ihm schon: Franz Schuh, Kritiker, Chronist, Type aus Wien, hat mit „Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche“ sein Hauptwerk vorgelegt, das aus lauter Nebensachen besteht. taz, März 2006

 

Es gibt in Österreichs Hauptstadt den Typus des Großdenkers, über den man sagt, er sei „in Wien weltberühmt“. Das ist, wie das meiste in Wien, nicht freundlich gemeint. Gemünzt ist die bissige Formel auf Schein-Titanen, die daheim mit Genie-Geste renommieren, es anderswo aber, also in der Welt, zu nichts bringen. Des weiteren gibt es die, die tatsächlich weltberühmt sind, was meint, dass man sie zumindest in Deutschland kennt. Und dann gibt es Franz Schuh.

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