Heiner Flassbeck zur Wirtschaftskrise und zur Sparpolitik

Via die Freunde von den Nachdenkseiten: Der UNCTAD-Chefökonom Heiner Flassbeck bei den Pleisweiler Gesprächen mit einem tollen Vortrag über makroökonomische Basics und die Perversion von Investmentmärkten, auf denen nichts Produktives mehr investiert wird:

 

Hier die Links zu Video 2-8.

Geht’s noch, Ihr Dödelbanker?

Kollege Weissgarnix machte auf seinem Blog auf folgendes Zitat aus der Propagandaabteilung des Investmenthauses Nomura aufmerksam, das man sich so richtig auf der Zunge zergehen lassen muss:

„Bei dem Gerede über die Einbindung privater Gläubiger muss Zurückhaltung geübt werden. Den Märkten zu drohen, verschreckt Anleger nur vom Kauf weiterer Anleihen und das gerade zu einer Zeit, wo zur Krisenbewältigung Investoren gewonnen werden müssen.“

Ist allen klar, was damit gesagt wird? Herrisch wird gefordert, „das Gerede“ müsse aufhören, dass Investoren ihr Risiko, oder wenigstens einen Teil ihres Investmentrisikos selbst tragen sollten. Es müsse also ein für alle mal klar gestellt werden, dass ein Finanzanleger, dessen Investment den Bach runter geht, immerzu von einfachen Steuerzahlern rausgehauen wird. Es müsse also immer so sein, dass Gewinne privatisiert, aber Verluste von den einfachen Leuten bezahlt werden.

Da frag ich mal: Geht’s noch, ihr Dödelbanker?

UPDATE:

Mark Schieritz argumentiert in einem kleinen Eintrag auf dem Herdentrieb-Blog dagegen. Er gibt zu bedenken, dass sich der Kapitalismus

meines Erachtens nicht seine moralische Überlegenheit (auszeichnet), sondern seine Fähigkeit, Güter zu produzieren. Und zwar eine ganze Menge und ziemlich effizient. Er muss sich also nicht moralisch legitimieren, sondern technisch.

Soll heißen: Auch wenn wir den Free Lunch der Finanzmarktakteure moralisch bedenklich finden, so kann er doch funktional sein für die bestmögliche Performance des Systems. So allgemein gesagt. Ob das im konkreten Fall so ist, auf die Diskussion läßt er sich nicht ein. Ist auch okay so. Freilich, die technische Effektivität des Kapitalismus wird ja meist als Folge des Wettbewerbsgeistes argumentiert. Dass die Effektivität gerade in der Sistierung des Risikogeistes liegen soll, ist nun durchaus ein Argument, das in der Realität mal stimmen kann – man muss es sich aber dennoch erst mal auf der Zunge zergehen lassen.

Nehmt nicht von den Lebenden, nehmt von den Toten!

Demonstration am 27. November, 13 Uhr, Urania

Ein Streichkonzert bei Studierenden, jungen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, bei Pflege und bei den Familien, bei der außeruniversitären Forschung und und und – im Umfang von vielen hunderten Millionen Euro. Das sieht der Budgetentwurf für die kommenden Jahre vor. Dagegen stehen gerade ein paar neue Steuern auf Vermögenszuwächse von knapp achtzig Millionen. Steuern auf die Vermögenssubstanz: Eine glatte, elegante Null.

Dabei gäbe es eine Steuer, über die leicht substantielle Beträge aufzubringen wären und die auch positive gesellschaftliche Auswirkungen hätte, weil sie so ziemlich die einzige Maßnahme ist, über die bereits vorhandene grobe Ungleichheiten korrigiert werden könnten: Die Erbschaftssteuer. Ein paar Zahlen gefällig? Die obersten dereiheinhalbtausend Haushalte, das sind 0,1 Prozent aller Haushalte, besitzen genausoviel Geldvermögen wie die unterste Hälfte aller Haushalte zusammen. Die Ungleichheit bei den Immobilienvermögen ist ähnlich krass: Die obersten zehn Prozent besitzen 61 Prozent aller Immobilienwerte. Und wenn dann der Besitzer stirbt, erben seine Hinterbliebenen all das, und der Steuersatz beträgt wiederum: elegante Null Prozent. So werden Ungleichheiten nicht nur über Generationen fortgeschrieben, Ungleichheiten wachsen sogar noch an.

Besonders bizarr ist in diesem Fall das Argument, Vermögenssteuern wären „leistungsfeindlich“. Denn es läßt sich kaum eine Einkommensart denken, die weniger mit Leistung zu tun hat als zu erben. Aber wie fast immer gilt auch in diesem Fall: die ÖVP verteidigt ihr Klientel, während sich die SPÖ, die ja so ein bißchen verdruckst irgendwie dafür wäre, sich nicht drüber traut. Noch das Vermögen der Toten wird geschont, dafür wird dann bei den Lebenden gespart.

Daran etwas zu ändern, auch darum geht es bei der Demonstration für ein Zukunftsbudget, zu der viele Initiativen und Organisationen für Samstag, 27. November aufrufen. Treffpunkt 13 Uhr, Urania. Näheres hier. Zur Facebook-Seite der Organisatoren geht es hier.

 

Wir trauern um Kurt W. Rothschild

Misik Rothschild.jpgGerade eben erst habe ich erfahren, dass Kurt W. Rothschild, der letzte große lebende Ökonom, den Österreich hatte, vergangene Woche verstorben ist. 97 Jahre war er alt und bis ins vergangene Frühjahr war er vollkommen rüstig – geistig total auf der Höhe war er ohnehin. Ich hatte das große Vergnügen, mit ihm noch in den letzten Jahren zwei tolle Abende gemeinsam gestalten zu können. Einmal hatte ich ihn in meiner Reihe im Kreisky-Forum zu Gast (siehe Foto), und vergangenen Winter hatten wir einen Talk im Linzer Wissensturm. Und wenn ich sage, ich hatte das „große Vergnügen“, dann ist das keine Höflichkeitfloskel, sondern buchstäblich so: Dank Rothschilds spühenden Witz war es auch immer kurzweilig und lustig. Und interessant sowieso.

Ich weiß, dass ich für viele spreche, und ganz gewiss für das Team des Kreisky-Forums, wenn ich sage: Wir werden ihn vermissen.

Zur Erinnerung an Kurt W. Rothschild hier noch einmal der Link zum Transkript unseres langen Gespräches im Kreisky-Forum im Sommer 2008 mit dem Titel: „Was würde Keynes dazu sagen?“

Ein Nachruf im „Standard“ findet sich hier.

„Die Grünen bieten ein positives Lebensgefühl“

tagesschau.de, das Nachrichtenportal der ARD, hat mit mir ein Interview über den Höhenflug der deutschen Grünen gemacht. Hier ein paar Auszüge. Das gesamte Interview gibts hier bei tagesschau.de. Das Gespräch führte Patrick Gensing

tagesschau.de: Der Höhenflug der Grünen hält Umfragen zufolge an. Wo sehen Sie die Gründe?

Robert Misik: Zum einen ist da die ziemlich jämmerliche Performance der Regierung. Das ist ein banaler, aber nicht unwesentlicher Grund. Der zweite geht tiefer: Es gibt einen Politikverdruss – auch in der bürgerlichen Mitte – gegenüber den etablierten Großparteien, den machtpolitischen Spielen, dem Taktieren. Eine Verärgerung darüber, dass Probleme nicht wirklich benannt werden, weil dies vielleicht einem Ministerpräsidenten nicht passen könnte. Es gibt eine Aversion gegen den Alltag der Politik. Das ist ein anderer Politikverdruss als der der Unterschicht, die dann vielleicht Populisten nachrennt.

tagesschau.de: Was machen die Grünen anders als die Großparteien?

Misik: Sie machen keine Klientelpolitik. Sie wirken wie eine rationale politische Kraft, die sagt, wenn sie etwas schlecht findet – und sich nicht verweigert, wenn sie meint, es gebe eine gute Lösung. Dieser Zugang zur Politik spricht viele Bürger an. Vor 15 Jahren hatte man noch gesagt, die Grünen sind ideologische Träumer, sie galten als eine Partei, die am linken Rand des etablierten politischen Spektrums war. Jetzt ist sie in die Mitte gerückt, so dass sie als die vernünftige politische Kraft zwischen den beiden großen Blöcken wahrgenommen wird. Damit sind die Grünen wählbar für frustrierte Anhänger der SPD sowie der Union.
  
tagesschau.de: Gibt es noch ein anderes Erfolgsrezept als nur das Personal?

Misik: Die Grünen bieten ein optimistisches Lebensgefühl. Sie sagen: Wir haben eine ökologische, eine ökonomische Krise – und diese können wir mit einem Konzept lösen: dem „Green New Deal“, der neue und grüne Jobs schafft – und somit beiden Krisen bekämpft. Dieses Konzept hat den grünen Negativismus früherer Zeiten vertrieben, der da hieß: Wir müssen verzichten, um die Welt zu retten. Heute ist dies durch einen Positivismus ersetzt. Nein, wir müssen nicht verzichten – und retten die Welt trotzdem, so die Idee. Wir bauen viel bessere Produkte – und schaffen dadurch auch noch Arbeitsplätze. Die Idee einer Win-Win-Situation, wir können konsumieren und alles wird besser.

tagesschau.de: Klingt toll. Ist es mehr als eine schöne Utopie?

Misik: So ganz kann das nicht stimmen, denn wegen der begrenzten Ressourcen wird es auch Verzicht geben müssen. Der „Green New Deal“ ist eine Idee, die niemandem weh tut. Andere Konzepte setzen auf Umverteilung – da gibt es immer Gewinner und Verlierer. Das „Green-New-Deal“-Konzept tut hingegen so, als gäbe es nur Gewinner. Aus Marketing-Sicht ein ganz wunderbares Konzept.
 
tagesschau.de: Und es kommt offenbar an. Laut Umfragen könnten die Grünen künftig bei Landtagswahlen stärkste politische Kraft werden oder zumindest die SPD hinter sich lassen. Eine Zeitenwende für die Partei?

Misik: Das sind Umfragen. Aber wenn die Grünen bei einer Landtagswahl tatsächlich die SPD überholen, und es eine grün-rote Koalition gibt – dann beginnt eine neue Zeitrechnung. Die Grünen haben in ihrer DNA eingeschrieben: Wir sind die kleinere Partei, wir sind das Korrektiv. Wenn man aber auf allen Politikfeldern die Linie vorgeben muss, wird das nicht so leicht. Da wird es noch Wachstumskrisen geben. Die Partei hätte zudem ein Problem mit den Personalressourcen. Alle Parteien haben mittlerweile Probleme, die Ämter mit qualifiziertem Personal zu besetzen. Das hat damit zu tun, dass ein Großteil der Bevölkerung sich nicht in Parteien engagiert und keine politischen Ämter annehmen will. Die Bürger sind zwar verdrossen, dass die Parteien so sind, wie sie sind – zum Teil sind sie aber auch selber schuld. Denn wenn sich nur wenige engagieren, ist das Reservoir der qualifizierten Leute natürlich endlich.

 

Warum Mitbestimmung auch wirtschaftlich nützlich ist

IG metall 2.gifSeit einigen Wochen betreibt die deutsche IG-Metall einen ambitionierten Blog für einen „Kurswechsel für Deutschland“. Über einige Monate hinweg will die Gewerkschaft hier grundlegend diskutieren, wie progressive Reformen heute aussehen müssten. Und sie will das nicht nur unter der „engen“ Perspektive reiner Interessensvertretung machen. Eher soll geklärt werden: Was braucht es eigentlich für ein „gutes Leben“? Welche Reformen sind dafür notwendig? Wie müsste eine progressive Wirtschaftspolitik zugeschnitten sein? Auf welchen Werten müsste sie basieren? Im ersten Monat soll die Debatte über Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmungsrechten in Betrieben kreisen. Ich werde mich einmal im Monat in die Debatte einschalten. Ach ja, um das deutlich zu sagen: Ich kann die ausführliche Lektüre auch all der anderen substantiellen Beiträge nur ausgesprochen empfehlen. Hier mein erster Beitrag

Lothar Wentzel hat in diesem Blog, ebenso wie Hartmut Meine und Uwe Stoffregen oder wie Klaus Dörre schon sehr viel Wichtiges zum Thema „Wirtschaftsdemokratie“ und insbesondere zum Thema fortschrittlicher Mitbestimmungsrechte in Betrieben gesagt.

So lässt sich beispielsweise unter Gerechtigkeitsaspekten für Wirtschaftsdemokratie plädieren: Etwa, dass sich autokratische Managemententscheidungen oft

„gegen die Interessen von Beschäftigten (richten), obwohl diese durch ihre Arbeit den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens erst möglich machen. Das will Wirtschaftsdemokratie ändern.“ (Lothar Wentzel)

Mit genauso viel Recht kann man natürlich aus demokratiepolitischen Gründen darauf beharren, dass Partizipationsrechte von Bürgern nicht vor den Betriebstoren halt machen dürfen. Menschen haben ein Bedürfnis nach

„Ausweitung individueller Freiheit“ (Klaus Dörre).

Zu einem „guten Leben“ gehört dazu, dass man Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen vermag, die einen betreffen. Hat man diesen Einfluss nicht, fühlt man sich ohnmächtig, man wird sich dann oft passiv in sich zurückziehen.

All diese Dinge sind richtig und leicht einsichtig. Ich möchte aber gerade deshalb hier eine weitere wichtige Frage ins Zentrum rücken: Sind Mitbestimmung, betriebliche Demokratie und Wirtschaftsdemokratie funktional oder dysfunktional für eine kapitalistische Marktwirtschaft? Oder einfacher gefragt: Ist Mitbestimmung wirtschaftlich nützlich oder schädlich?

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Wann nützt Budgetdisziplin? Und wann schadet sie?

Ich habe hier ja schon darauf hingewiesen: Am kommenden Montag spricht der Wirtschaftsblogger Thomas Strobl in meiner Reihe „Genial dagegen“ im Kreisky-Forum (Mo, 22. November, 19 Uhr) um dort sein Buch „Ohne Schulden läuft nichts“ vorzustellen. Im aktuellen „Manager-Magazin“ ist dazu gerade ein feines, kleines Interview mit Thomas Strobl erschienen.

Schulden ermöglichen Wachstum und sind damit zunächst einmal weder verwerflich noch erstrebenswert. Nüchtern betrachtet gehören sie einfach zum Kapitalismus dazu. Wer den Kapitalismus, in welcher Form auch immer, gut findet, kann Schulden nicht prinzipiell ablehnen – aber er muss natürlich nicht jede Form und jeden Anlass von Schulden gut finden.

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Wie man „die Mittelschicht“ gegen Ausländerkinder aufhetzt

Der Koalitionspakt zwischen SPÖ und Grünen ist unterzeichnet, und dass die Oppositionsparteien und die ihnen nahestehenden Medien schäumen, ist nicht sonderlich erstaunlich. Aber ein Punkt im Koalitionsabkommen wird sofort halb offen, halb verdruckst auf ziemlich unappetitliche Weise schlecht gemacht: Der Beschluss, die Mindestsicherung für Kinder auf 200 Euro pro Monat anzuheben. Nur zur Klarheit: Damit ist nicht die Familienbeihilfe für alle gemeint, sondern der Mindestsicherungssatz, den armutsgefährdete Bezieher (früher hätte man gesagt: Sozialhilfebezieher) zusätzlich erhalten, wenn sie Kinder haben.

Für die Grünen ein wichtiges Projekt: „Kein Kind muss künftig in Wien in Armut aufwachsen“, sagte die designierte Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou gestern bei der Grünen Landeskonferenz.

Und das ist natürlich nicht so leicht denunzierbar. Weil, wer will schon dagegen sein, wenn armutsgefährdente Familien mehr Geld für ihre Kinder erhalten?

Aber das geht natürlich ganz einfach, wenn man dazusagt, dass das überproportional Zuwandererfamilien zugute kommt. Wenn man bedenkt, dass rund 20 Prozent der türkischstämmigen Bürger in Armutsgefährdung leben, aber nur ein viel kleinerer Teil der „autochtonen“ Österreicher, und wenn man noch dazu bedenkt, dass die Familien mit türkischem Migrationshintergrund kinderreicher sind, dann kommt man pfeilschnell zu dem Befund des abgehalfterten Ex-Presse- und Wienerzeitungs-Chefredakteurs Andreas Unterberger:

„Liebe schwer arbeitende Eltern, bitte nicht zu früh freuen: Ihr dürft das nur zahlen, zugute kommt das natürlich im wirklichen Leben nur Unterschicht-Kindern, also vor allem jenen aus der Türkei und dem Balkan.“

Kein Zufall ist es wohl auch, dass das Gratis-Blatt „Heute“ am Tag der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags gleich auch mit dieser Schlagzeile aufmachte:

heute.JPGEs ist dies ein beliebtes Mittel der Rechtspopulisten und der Neoliberalen: Die Transferleistungen des Sozialstaates, die ja an sich ohne Ansehen der Person jenen zugute kommen, die sie brauchen, damit zu delegitimieren, indem man sagt, in der Praxis führen sie dazu, dass Inländer sie bezahlen und Ausländer sie beziehen. Nicht zuletzt deshalb marschiereren rechtsradikale Ausländerfeinde und neoliberale Mehr-Markt-weniger-Staat-Fanatiker so gerne Hand in Hand, obwohl sie ja angeblich so überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Also, überraschend kommt das nicht. Ekelhaft ist es trotzdem.

Gewerkschaften sind mehr als bloße „Interessensvertretungen“

robert vida.jpgHeute habe ich auf Einladung der Gewerkschaft „Vida“ bei deren Kongress als Gastredner im Wiener „Austria Center“ sprechen dürfen. Was ich da so gesagt habe, können Sie hier nachlesen.

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